Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (22) – „Die Begriffe“ begreifen.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/understanding-the-understanding

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"Die Begriffe" begreifen.

Lies das, und alles, was du an Russland rätselhaft findest, wird kristallklar sein.

Bei der Lektüre westlicher Kommentare zum Prigoschin-Putsch oder zur Verhaftung von Girkin ist mir aufgefallen, dass kaum jemand im Westen den Schlüsselbegriff versteht, der für das Verständnis Russlands notwendig ist. Ironischerweise heißt er "ponyatya", was übersetzt "Begriffe" bedeutet.

Es gibt ein klassisches russisches Sprichwort: "Der Zirkus ist weg, aber die Clowns bleiben". Ein Panzer, der während des gescheiterten Prigozhin-Putsches in einem Zirkustor in Rostow festsitzt - von Reuters

Wenn Du Begriffe verstehst, weiß du zwei Dinge. Erstens: Prigozin ist ein urka. Zweitens: Putin ist ein wor w zakone [In den Kommentaren unter dem Originalbeitrag wurde diskutiert, ob er doch ein pakan ist].

Deutsch, bitte? Jawohl!

Ponyatya ist ein Oberbegriff für die russische Gefängniskultur. Jedes Land hat eine, aber in einer typischen westlichen Gesellschaft, wenn man ein normales, langweiliges, bürgerliches Leben führt, schenkt man ihr keine große Beachtung.

Ein typischer Westeuropäer rechnet nicht damit, jemals ins Gefängnis zu kommen oder einen Freund oder Verwandten hinter Gittern zu haben. Für den durchschnittlichen Lars Nielsen oder Jan Nowak ist die Gefängniskultur etwas, das sie nur aus Krimis kennen.

Bei Iwan Iwanowitsch ist das nicht der Fall. Es gibt ein russisches Sprichwort, das sich in etwa so übersetzen lässt: "Jeder sollte auf ein Leben im Gefängnis oder ein Leben als Bettler vorbereitet sein". Eine hohe Inhaftierungsrate führt zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, die Gefängniskultur "auf die harte Tour" kennenzulernen.

Kein Lebensstil, kein sozialer Status kann einen davor schützen. Raketenwissenschaftler? Partei-Apparatschik? Arzt? Jurist? Sie haben einen besonderen Platz im Gulag, auf dem dein Name steht, Genosse.

Ein Mitglied der königlichen Familie zu sein, war während der Zarenzeit kein Schutz. Im Gegenteil, es machte Sie nur noch anfälliger dafür, wegen eines Verbrechens wie "Beleidigung einer Zarentochter während eines Balls" inhaftiert zu werden. Allein der Dekabristenaufstand von 1825 führte zu einer großen Zahl von adeligen Verurteilten.

Der Hauptgrund dafür war, dass Russland im Zuge der imperialistischen Expansion des 18. und 19. Jahrhunderts riesige Gebiete kontrollierte, die entweder unbesiedelt waren oder von einer einheimischen Bevölkerung bewohnt wurden, die so rebellisch und feindselig war, dass sie ausgerottet werden "musste" (z. B. die Tscherkessen). In jedem Fall wurden in den Einöden dringend russische Siedler benötigt.

Da aber niemand wirklich unter den harten Bedingungen der neuen russischen Gebiete leben wollte, war die Zwangsansiedlung die einzige Lösung. Die Grausamkeit des Urteils reichte von der bloßen Zwangsansiedlung in einer Kolonie bis hin zum Marsch in Fußfesseln zum Ort der Zwangsarbeit - "Katorga" -, wo man an Unterernährung sterben sollte (sofern man die mörderische Reise überlebte).

Das russische Justizsystem hat sich also nie um Gerechtigkeit oder Recht und Ordnung gekümmert. Das Hauptziel war es, unfreiwillige Siedler für Kolonien in Sibirien, im Kuban, im Kaukasus usw. zu schaffen.

Die Bolschewiki bauten dieses System erheblich aus. Katorga war ein Kinderspiel im Vergleich zu den völkermörderischen Grausamkeiten des Gulag. Es wurde nach 1991 aufgelöst, aber die Institution der "Strafkolonie" hat bis heute überlebt.

Es gibt noch ein anderes Land mit einer vergleichbar hohen Inhaftierungsrate - und es ist weltberühmt für seine eigene Gefängnis- und Gangsta-Kultur. Ich spreche hier natürlich von den USA.

Um sich jedoch einen vergleichbaren Einfluss der Gangsta-Kultur vorzustellen, muss man seine Fantasie weit über Snoop Dogg hinaus ausdehnen, der mit seiner Verbindung zu den Crips prahlt. Stellen Sie sich staatlich geförderte Gangsta-Rap-Festivals vor. Stellen Sie sich vor, die meisten Ihrer Schriftsteller würden dieses Thema auf die eine oder andere Weise erwähnen - von der Pulp Fiction bis zum Nobelpreisträger, alle Schriftsteller beschreiben Gangsta-Charaktere.

Stell dich also ein alternatives Amerika vor, in dem Menschen erfolgreich auf ein Posten zusammen mit jemandem  kandidieren, der "von der Ortsgruppe San Quentin der Aryan Brotherhood" unterstützt wird. Stell dich amerikanische Schriftsteller wie Cormac McGangsta, James Fennimore Gangstooper und Edgar Allan Gangstoe vor. Stell dich die Gangsta-Kultur in den wichtigsten Werken der Poesie und Belletristik der amerikanischen Klassiker vor, bis hin zu dem Gedicht "The Sot Weed Gangsta".

Staatsanwalt in der Stadt Obninsk, der stolz seine Gefängnistätowierungen zeigt (aus Kamil Galeew Twitter)

Ich übertreibe nicht. Wenn du nach Darstellungen der russischen Gefängniskultur suchst, musst du mit dem zeitlosen Klassiker "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" von Fjodor Michailowitsch Dostojewski beginnen. Aber wenn du ernsthaft recherchieren willst, musst du dich mit Lermontow, Tolstoi und sogar Puschkin beschäftigen. Für Gelegenheitsleser empfehle ich die historischen Krimis von Boris Akunin.

Wenn du "die Begriffe" wirklich begreifen willst, musst du dich natürlich mit akademischen Schriften befassen. Dieser Beitrag basiert auf einer Veröffentlichung von Jadwiga Rogoża, "Rosja za kratami: wpływ kultury więziennej na rosyjską kulturę polityczną i społeczną" (Russland hinter Gittern: der Einfluss der Gefängniskultur auf die politische und soziale Kultur Russlands, auf Polnisch erhältlich in Nowa Europa Wschodnia, 3-4/2013). Es ist auf Polnisch - izwenite! - aber für den schnellen Bedarf finden Sie hier einen Twitter-Beitrag von Kamil Galeew.

Das muss ich ihm lassen: Colin Farrell hat seine Hausaufgaben gemacht und spielt in Peter Weirs "The Way Back" (2010) einen Urka. Er tut sein Bestes, um wie ein Urka auszusehen, aber… er sieht immer noch aus wie Colin Farrell.

Also, wer ist ein Urka? Er ist (keine progressiven Pronomen hier!) ein skrupelloser Krimineller, der bereit ist, einen Mord zu begehen, auch wenn es nur um 50 Cent geht. "Original Gangsta" könnte eine entfernte Entsprechung im Englischen sein.

Urka befolgt nur drei Gebote: niemals Angst haben, niemals fragen, niemals vertrauen. Damit unterscheidet er sich von einem amerikanischen Gangster, der in der Regel seinem Anwalt und den staatlichen Vorschriften wie dem "attorney-client privilege" vertraut.

Offensichtlich gab es in der gesamten russischen Geschichte nie so etwas wie ein "Anwaltsgeheimnis". Eigentlich ist Ihr Strafverteidiger die letzte Person, der du vertrauen sollst - im Gegensatz zu dir hat er noch etwas zu verlieren.

Natürlich ist nicht jeder Russe ein Urka - nicht einmal jeder russische Kriminelle ist einer! - aber jeder Russe muss sich die Frage stellen: Werde ich eine Begegnung mit einem Urka überleben? Eine zufällige Begegnung auf der Straße ist immer möglich und immer riskant (Blickkontakt ist gefährlich, aber die aktive Vermeidung von Blickkontakt ist noch schlimmer). Eine nicht zufällige Begegnung im Gefängnis ist sicher.

Deshalb muss jeder Russe die Regeln die Ponyatya lernen. Die einzige Möglichkeit, sich bei einer Urka Respekt zu verschaffen, besteht darin, zu beweisen, dass man seine Gebote auf seine eigene, mittelmäßige Art und Weise befolgt. Zum Beispiel, dass du selbstmörderische Tapferkeit respektierst.

Deshalb haben die Russen auch kein Mitleid mit den im Exil Getöteten, von Trotzki bis Litwinenko. Indem sie versuchten, der Folter und dem Tod zu entkommen, haben sie (laut Ponyatya) gewissermaßen ihren menschlichen Status verloren.

Boris Jelzin und sein Gefolge auf einem Panzer, den er (angeblich) während des Pugo-Putsches am 19. August 1991 mit bloßen Händen entschärft hat. Foto von Reuters, über BBC: https://www.bbc.com/news/world-europe-14589691

Wenn man in der russischen Politik eine Rolle spielen will, muss man seine selbstmörderische Tapferkeit öffentlich zur Schau stellen. Jelzin kam an die Macht, weil er während eines gescheiterten Putsches keine Angst zeigte und vorrückende Panzer mit bloßen Händen aufhielt. Nawalny kehrte aus dem Exil zurück und ließ sich fast freiwillig foltern.

Wenn Sie die HBO-Serie "Tschernobyl" gesehen haben, werden Sie feststellen, dass eine Reihe bemerkenswerter Charaktere ihr eigenes Überleben missachtet und Dinge getan haben, die kein Westler getan hätte (natürlich hätte auch kein Westler diese Reaktorkonstruktion jemals genehmigt).

Es ist nicht so, dass jeder Russe dieses Wertesystem AKZEPTIERT (Dostojewski widmete sein Werk sogar seiner Kritik), aber jeder Russe KENNT es. Lange Zeit war es das einzige Gesetz, das in Russland wirklich funktionierte.

Sowohl in der Kultur als auch in der Folklore findet man verschiedene Versionen der Geschichte einer armen Witwe oder eines Waisenkindes, das seines gesamten Besitzes beraubt wurde. In ihrer Verzweiflung ging sie zum Anführer der Bande, "wor w zakonye", um sich zu beschweren, dass man nach dem "Gesetz der Diebe" seine eigenen Nachbarn nicht bestehlen dürfe. "Ich bitte um Verzeihung", antwortet der Anführer, und am nächsten Morgen findet die Waise/Witwe alle gestohlenen Sachen vor ihrer Haustür wieder, zusammen mit einer Flasche Schnaps als Ersatz für morale Schaden.

Putins Popularität beruht darauf, dass er sich als "wor w zakonye" der alten Schule präsentiert. In seinen Reden bezieht er sich häufig auf den Gefängnisslang - dies wird im Westen in der Regel falsch übersetzt, denn verblüffte westliche Journalisten, die Russisch wie aus dem Lehrbuch beherrschen, sind verwirrt über Ausdrücke wie "in der Toilette umbringen" (wenn die Urkas wollten, dass jemand spurlos verschwindet, ertränkten sie ihn im Latrinenloch - die Leiche würde sich zersetzen, bevor jemand sie findet).

Aber als "wor w zakonye" muss Putin ponyatya folgen. Er ist nicht an die Verfassung gebunden - er kann sie auf der Stelle ändern. Aber er ist an das Gesetz der Diebe gebunden - deshalb kann er Prigoschin nicht anfassen.

"Schoigu! Gerasimow! Wo ist meine Munition?" - dieses seltsame Video von Prigoschin hat viele Augenbrauen aufgeworfen, vor allem bei den pro-russischen, nicht-russischen Menschen im Westen. Wenn er Munition braucht, warum fragt er dann nicht danach? An dieser Stelle wissen Sie es bereits (über Prigoschins Telegram-Kanal)

Die Autorität des "wor w zakonye" ist streng an Bedingungen geknüpft: Sie gilt so lange, wie die Entscheidungen des Anführers für die gesamte Bande von Vorteil sind. Wenn seine Entscheidungen den Bandenmitgliedern schaden, wird seine Führungsrolle in Frage gestellt (in der Regel in einem blutigen Kräftemessen - der Prigoschin-Putsch war der erste Versuch, ich denke, es werden noch weitere folgen).

Bevor er von rivalisierenden Bandenmitgliedern getötet/entsorgt wird, genießt "wor w zakonye" die eigentümliche Macht, den "obschtschak" zu kontrollieren. Ich entschuldige mich für ein weiteres unübersetzbares Wort - ich schätze, das nächstliegende englische Äquivalent ist "the stash" (das Versteck), aber das russische Wort leitet sich vom Wort "obschtschyj" ab, was so viel wie allgemein / universell / allgemein bedeutet.

Obschtschak ist wie der Kommunismus vor dem Kommunismus - von jedem Gangmitglied nach seinen Fähigkeiten, zu jedem Gangmitglied nach seinen Bedürfnissen. Im Gefängnis hält der Obschtschak Vorrat an Geld, Zigaretten, Schnaps, Drogen, Waffen und allem, was das Überleben sichert. In der russischen Politik ist es die Kontrolle über natürliche Ressourcen, staatliche Unternehmen, das Bankensystem - was immer einen reich macht.

Putins Obschtschak operiert in aller Öffentlichkeit. Einige Teile davon sind sogar als legale Unternehmen eingetragen.

Eine davon ist die Kooperativa Ozero (See-Genossenschaft), formal eine Genossenschaft von Datscha-Besitzern. Jeder Teilnehmer kann einen beliebigen Geldbetrag vom Genossenschaftskonto abheben - eine sehr bequeme Art, Geld zu waschen. Sie können Putin nicht bestechen, aber Sie können jede beliebige Zahlung an die Genossenschaft leisten.

Im russischen politischen Sprachgebrauch ist das "Kooperative Ozero" eine Metapher für Putins inneren Kreis. Im Westen stellt man sich diesen inneren Kreis nach westlichem Muster vor - als enge Berater, Kabinettsmitglieder, Parteiführer usw.

Das ist einfach falsch. Leute wie Lawrow, Medwedew oder Peskow sind wie ein Krimineller, der von der Bande angeheuert wird, aber nicht wirklich ein Bandenmitglied ist. Denken Sie an einen Fluchtwagenfahrer, der für seine Rolle bei einem Bankraub ein Pauschalhonorar erhält.

Unser Komentator Formosa hat einen interessanten Fehler gemacht, als er sagte, dass "Putin seinen inneren Kreis mit der Invasion überrascht hat". Das hat er nicht. Im Gegenteil, es herrscht die Meinung vor, dass die ganze Idee von seinem WAHREN inneren Kreis aus der Datscha-Genossenschaft stammt, insbesondere von Juri Kowaltschuk, auch bekannt als "Putins Bankier".

Da dieser Beitrag bereits zu lang ist, möchte ich ihn mit einer Zusammenfassung darüber beenden, wie man diesen Krieg im Lichte von "Die Begriffe" verstehen kann. Bis etwa 2010 war Putin ein erfolgreicher "wor w zakone", dem sowohl die "Witwen und Waisen" vertrauten (die seine Herrschaft der chaotischen Gesetzlosigkeit der Jelzin-Jahre vorzogen), aber vor allem die Oligarchen/Bandenmitglieder, die die enormen Möglichkeiten genossen, die er für sie geschaffen hat.

Die ersten, eher nachsichtigen Sanktionen begannen unter der Obama-Administration - und verletzten einige der Bandeninteressen. Sie wurden durch die Invasion 2014 etwas kompensiert, aber die ursprünglichen, grandiosen Pläne, den gesamten Donbass einzunehmen und die ukrainische Demokratie zu beenden, wurden nicht verwirklicht.

Was noch schlimmer ist: Es gab weitere Sanktionen. Um seinen Oligarchen mehr Möglichkeiten zu geben, begann Putin, sich an militärischen Interventionen in Syrien und Afrika zu beteiligen (die ansonsten keinen Sinn ergeben - welche Interessen könnte Russland als Land in Mali haben?).

Viktor Medwedtschuk - a member of Putin’s inner circle, who was supposed to be the next president of Ukraine (should they take Kyiv in 3 days) - via Zelensky’s Telegram channel

Aber selbst das war nicht so profitabel wie erwartet. Also ließ er sich zum ultimativen Raub überreden: Kiew in drei Tagen einnehmen und ein Bandenmitglied namens Medwedtschuk als "Präsident" der Ukraine einsetzen. Sollte dies gelingen, wären die Möglichkeiten für Plünderungen und Profite enorm. Die Ukraine mag kein sehr reiches Land sein, aber es gibt dort sicherlich mehr zu stehlen als in Südossetien.

Was wir jetzt in Russland erleben, ist also ein klassisches Noir-Thriller-Szenario eines gescheiterten Raubüberfalls. Die Mitglieder der Bande beraten nun, was zu tun ist, und der Rest, von den Auftragskillern wie Peskow bis hin zu den Witwen und Waisen (von denen es immer mehr gibt!), wartet einfach auf ihr Urteil und versucht, nicht ins Kreuzfeuer zu geraten.

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Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (21) – Der Verrat des Westens oder warum für Danzig sterben

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-western-betrayal-or-why-die-for

Ich war an dem Originalbeitrag auch beteiligt - der Autor fragte in seinem polnischsprachigen Blog nach Ideen für neue Beiträge, der Vorschlag Ukrainekrieg mit Anschluss des Sudetenlandes kam von mir

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Der Verrat des Westens oder warum für Danzig sterben

Liefert diesem Kerl einfach Donbas/Sudetenland, wenn er es so sehr will...

Ich schenke den pro-russischen Russen so viel Aufmerksamkeit, dass ich das Gefühl habe, ich vernachlässige die noch seltsamere Gruppe der pro-russischen Amerikaner. Aber ich lese sie auch - zum Beispiel Chris Hedges.

Zitat von Chris Hedges (aus ScheerPost)

Da er Geld von Russia Today angenommen hat, fällt es mir schwer zu glauben, dass er in gutem Glauben handelt. Aber nehmen wir mal an, dass er es tut, um Konversations willen.

Oben finden Sie ein Zitat aus seiner jüngsten pro-russischen Tirade. Was ich besonders interessant finde, ist sein Vergleich mit Vietnam und dem Irak.

In den ersten Tagen dieses Substacks schrieb ich einen Beitrag darüber, wie wichtig unsere Geschichte für uns in Osteuropa ist. Wir schenken dem, was mit "unserer" Nation im Mittelalter geschah, unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit, und ich bin der Erste, der mir zustimmt, dass dies wahrscheinlich zu weit geht, aber ich kann diesem Drang nicht widerstehen.

Was ich in diesem Zusammenhang interessant finde, ist, dass er - ob er in gutem Glauben handelt oder nicht - definitiv nicht weit genug geht. Er scheint sich nur an die historischen Ereignisse zu erinnern, die zu seinen Lebzeiten stattfanden. Er war 19, als der letzte Hubschrauber vom Dach der Botschaft in Saigon abhob.

Ich würde sagen, dass dies typisch für Westler ist, zumindest für Amerikaner. Wenn sie "historische Analogien" herstellen, beziehen sie sich gewöhnlich auf etwas, das vor 20, 30, bestenfalls 50 Jahren passiert ist.

Dieser Krieg wird von Menschen geführt, die einen breiteren historischen Kontext haben, und zwar auf BEIDEN Seiten. Das muss man einfach berücksichtigen, egal ob man "pro Putin" oder "pro NATO", "true neutral" oder "chaotic good" ist.

Wenn ich russische Blogs und Medien lese, sind sie voll von Analogien zum Zweiten Weltkrieg, manchmal vermischt mit Verweisen auf den russischen Bürgerkrieg von 1917-1923 und den Krimkrieg von 1853-1856. In all diesen Fällen war die Frage, "wie man von Cherson auf die Krim vorrückt" (oder umgekehrt), ebenfalls ein zentrales Thema.

Lassen Sie mich nur beim Zweiten Weltkrieg bleiben - trotz allem, was nach 1945 geschah, sehen wir ihn immer noch als das wichtigste Ereignis der jüngeren Geschichte an. Schließlich wurden unsere Grenzen größtenteils 1945 gezogen (mit kleinen Änderungen).

Man kann Osteuropa nicht verstehen, wenn man das nicht von vornherein weiß. Analogien zum Zweiten Weltkrieg sind überall zu finden, von der Politik bis zur Populärkultur. Selbst wenn unsere Autoren sich Fantasie-Nimmerländer oder galaktische Weltraumimperien ausdenken, ist der Hauptkonflikt in der Regel erstaunlich ähnlich wie "Achse gegen Alliierte gegen Komintern".

Yennefer von Vengerberg, Ihre osteuropäische Zauberin (Netflix-Werbespot)

Ein Beispiel dafür ist die "The Witcher"-Reihe. Der politische Hintergrund dieser Fantasy-Saga ist ein Krieg auf einem imaginären Kontinent, in dem das totalitäre Reich von Nilfgaard die "Königreiche des Nordens" erobern will.

Nilfgaard ist nicht in der Lage, dies allein durch militärische Macht zu erreichen, da die nördlichen Königreiche stärker sind. Auf dem Papier. Aber der gerissene Kaiser Emhyr hält die Könige des Nordens zum Narren, sät Unzufriedenheit unter ihnen und nimmt sie einfach einen nach dem anderen.

Die Netflix-Verfilmung hat gerade den Teil der Buchsaga erreicht, in dem die Magier des Kontinents, angeführt von der Zauberin Yennefer von Vengerberg, versuchen, ein Bündnis mit dem Norden zu schließen. Technisch gesehen ist das ein Spoiler, aber es sollte Sie nicht überraschen, dass dieser Versuch ein kolossaler Fehlschlag sein wird.

Dies ist eine sehr osteuropäische Geschichte. Während der Westen den Zweiten Weltkrieg als den Triumph der alliierten Demokratien im Kampf gegen das böse Dritte Reich sieht, sind unsere Erinnerungen anders. Wir erinnern uns, dass wir Hitler und Stalin in schrecklicher Einsamkeit gegenüberstanden.

So haben wir es in Polen in Erinnerung, aber nach den Büchern zu urteilen, die ich gelesen habe, gibt es eine ähnliche Stimmung in der tschechischen, rumänischen und sogar ungarischen Literatur (z. B. Sandor Marai). Das ist besonders überraschend, wenn man Memoiren aus Ländern liest, die den Pakt mit dem Teufel eingegangen sind und sich der Achse angeschlossen haben - damals wurde das nicht als etwas angesehen, worüber man sich freuen konnte, sondern als das kleinere Übel, das ohne den "westlichen Verrat" nicht nötig gewesen wäre.

Auch wenn wir hier alle etwas anders darüber denken, wird das Konzept des "westlichen Verrats" in jedem Land von Finnland bis Griechenland leicht zu verstehen sein. Ich möchte das folgende Meme als Beispiel für dieses Missverständnis verwenden.

"Schließt ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien - kämpft am Ende allein gegen Nazideutschland und der UdSSR"
Scheint selbstmörderisch zu sein… aber war es das? (vermutlich Public Domain)

Ja, warum hat sich Polen für ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien entschieden? Es macht Sinn, wenn man den breiteren Kontext der gesamten Zwischenkriegszeit betrachtet. Beginnen wir mit der Pariser Friedenskonferenz von 1919-1920, auf der die europäische Ordnung der Zwischenkriegszeit festgelegt wurde.

Als Ergebnis der Pariser Verträge entstanden zahlreiche neue Staaten auf der Landkarte, von Finnland bis Jugoslawien. Die meisten von ihnen entstanden aus ehemaligen deutschen, österreichisch-ungarischen oder russischen Gebieten und waren als solche unmittelbar durch den Revanchismus der Großmächte sowie durch den Nachbarn von nebenan (dem nächsten Berg) bedroht, da der Prozess der neuen Grenzziehung zu zahlreichen neuen Grenzkonflikten führte.

Die westlichen Diplomaten wussten das und richteten einen Mechanismus ein, von dem sie hofften, dass er stark genug sein würde, um den nächsten Krieg für immer zu verhindern. In Wirklichkeit hielt dieser Mechanismus nicht einmal 20 Jahre lang, aber wenn man sich Europa im Jahr 1930 anschaut, wirkt er immer noch ziemlich solide.

Europa als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenzen - George Bacon, Public Domain (aus Wikipedia)

Die neuen Länder bildeten ein Bündnis namens Kleine Entente - unter der Schirmherrschaft Frankreichs. Frankreich garantierte die Kleine Entente und ihre Mitglieder garantierten sich gegenseitig. Es war fast wie das Bündnis, das Yennefer von Vanderberg in der Witcher-Saga aufbauen wollte... aber es gab einen Haken. Oder vielleicht zwei.

Erstens: Zwei osteuropäische Länder hatten im Ersten Weltkrieg auf der falschen Seite gestanden und wurden dafür mit Sanktionen, Reparationen und ungünstigen Grenzänderungen bestraft. Es handelte sich um Bulgarien und Ungarn.

Beide Länder hielten diese Bestrafung für ungerechtfertigt. Was Ungarn betrifft, so trat es nicht freiwillig in den Ersten Weltkrieg ein. Als Juniorpartner in der österreichisch-ungarischen Union hatte es nichts zu sagen. Sie waren der Meinung, dass sie es nicht verdienten, wie die Schuldigen des Ersten Weltkriegs behandelt zu werden, sondern dass sie die Opfer waren, die zur Teilnahme gezwungen wurden.

Das Gleiche galt für die Bulgaren. Sie versuchten, neutral zu bleiben, aber beide Seiten (die Achsenmächte und die Alliierten) machten deutlich, dass sie die Neutralität nicht respektieren würden und Bulgarien von beiden Seiten zerschlagen würde, wenn es sich weigerte, sich einer der beiden Seiten anzuschließen. 1915 schlossen sie sich widerstrebend den Mittelmächten an, da die russischen Bedingungen für den Beitritt zur Entente mörderisch waren.

Schon zu Beginn der Zwischenkriegszeit gab es also zwei östliche Länder, die dieses System verachteten. Erschwerend kam hinzu, dass es Länder wie Polen oder Litauen gab, die im Allgemeinen mit dem Versailler Vertrag zufrieden waren, aber unglücklich über die Grenzen, die sie am Ende erhielten - Polen entriss Litauen Vilnius, während die Tschechoslowakei dies mit Olsagebiet tat.

Daher betrachteten sich Polen und die Tschechoslowakei gegenseitig als Feinde, so dass sie nicht gemeinsam in der Kleinen Entente sein konnten. Aber keine Sorge! Es gab Rumänien, das keinen Konflikt mit Polen hatte, also gab es einen separaten bilateralen Vertrag zum gegenseitigen Schutz.

Technisch gesehen müsste jemand, der die Tschechoslowakei angreiftin einen Krieg mit Rumänien geraten, das seinerseits seinen zuverlässigen Verbündeten Polen um Hilfe bitten konnte. Für all diese Länder bürgte Frankreich, das ein herzliches Bündnis mit Großbritannien unterhielt.

Wenn man sich also die Landkarte von Jahr 1936 ansieht, scheinen Hitler und Stalin Papiertiger zu sein. Sie können nichts tun, ohne einen umfassenden Krieg mit den Siegern des Ersten Weltkriegs, Großbritannien und Frankreich, und den kombinierten polnischen, tschechoslowakischen, jugoslawischen und rumänischen Armeen (die auf dem Papier ziemlich stark aussehen) auszulösen.

Als Hitlers Rhetorik immer kriegerischer wurde, begannen die Länder Osteuropas, ihre Grenzen zu befestigen. Die Tschechoslowakei errichtete ein Bunkersystem im Sudetenland, Rumänien schützte sich mit einer König-Michael-Linie vor Ungarn, Polen befestigte die deutsche Grenze und Frankreich schuf die weltberühmte Maginot-Linie.

Wenn es so gut war, wie konnte es dann so schief gehen? Warum kam es überhaupt zum Zweiten Weltkrieg?

Dieses felsenfeste System begann mit dem Anschluss Österreichs im März 1938 zusammenzubrechen. Dies war ein direkter Verstoß gegen die Pariser Friedensverträge, aber die Welt unternahm nichts. Immerhin sprachen sie dieselbe Sprache und schienen glücklich darüber zu sein (vielleicht mit Ausnahme der österreichischen Juden, aber man kann es schließlich nicht allen recht machen, oder?)

Nun begannen die Grenzen der Tschechoslowakei hoffnungslos auszusehen. Der bevölkerungsreichste und am weitesten entwickelte "Kopf" des Landes war von drei Seiten von Deutschland umgeben, und der weniger bevölkerte "Schwanz" war zwischen zwei feindlichen Ländern, Polen und Ungarn, eingeklemmt. Im Falle eines Krieges wäre es unmöglich, den Landkorridor nach Rumänien aufrechtzuerhalten.

Im September 1938 forderte Hitler das Sudetenland. Er sagte, er habe keine territorialen Ansprüche mehr in Europa, aber es sei seine Pflicht, die deutschsprachige Bevölkerung zu schützen.

In seiner berühmten Rede im Sportpalast am 26. September präsentierte sich Hitler als der größte Pazifist in Europa, der lediglich versucht, gerechte und faire Verträge mit seinen befreundeten Nachbarn zu schließen, während die englischen und französischen "Kriegstreiber" in Europa Krieg provozieren. Mit der Einnahme des Sudetenlandes stellte er jedoch sicher, dass es "zumindest in 10 Jahren" keinen Krieg geben wird.

Neville Chamberlain, Edouard Daladier, Adolf Hitler und Benito Mussolini versichern sich gegenseitig, dass es nur um die deutschsprachige Bevölkerung der Tschechoslowakei geht und um nichts anderes (Public Domain, Autor unbekannt)

Als die Tschechoslowakei "einwilligte", ihre befestigten Grenzgebiete aufzugeben, wurde sie natürlich praktisch entwaffnet. Im März 1939 nahm Hitler den Rest des Landes ein, und in einem Akt wahnsinniger politischer Kurzsichtigkeit schnappte sich Polen Olsagebiet zurück.

Doch nun verfügte Hitler über die Goldreserven der tschechoslowakischen Nationalbank, die industrielle Macht von Skoda und Zbrojovka Brünn und vor allem über die Panzer und Geschütze der einst mächtigen tschechoslowakischen Armee. Sie sollten bald zur Zerschlagung Polens und Frankreichs eingesetzt werden, das sie dem Feind auf dem Silbertablett servierte und damit sein eigenes Verderben beschleunigte.

Die polnischen Grenzen waren nun nicht mehr zu verteidigen. Trotzdem waren wir das erste Land, das "Nein" zu Hitler und Stalin gesagt hat. Dafür haben wir einen so schrecklichen Preis bezahlt, dass Rumänien, als es an der Reihe war, diesen Fehler nicht wiederholen wollte und seine befestigten Grenzgebiete einfach an Ungarn und die Sowjetunion abtrat. Nun waren sie hilflos und hatten keine andere Wahl, als sich der Achse anzuschließen, entweder auf die leichte oder auf die harte Tour.

Mitte 1941 waren alle osteuropäischen Länder entweder von Hitler oder Stalin annektiert oder bestenfalls vasalisiert. Und das Schrecklichste ist, dass sie uns einen nach dem anderen erobert haben, während wir hätten gewinnen können, wenn wir 1938 geschlossen aufgetreten wären.

Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass niemand jemals etwas aus der Geschichte gelernt hat, aber ich denke, der Krieg in der Ukraine beweist das Gegenteil. Jeder in Osteuropa erinnert sich daran, wie dumm es war, das Sudetenland an Hitler auszuliefern.

Wir wissen, dass eine Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen keine "10 Jahre Frieden" bringen wird. Im Gegenteil, es wird den nächsten Krieg unausweichlich machen.

Wir sehen keine Ähnlichkeit mit "Vietnam, Irak und Libyen", aber eine Menge Ähnlichkeiten mit dem Zusammenbruch der Pariser Friedensverträge 1938-1940. Wenn man sich die Argumentation von Chris Hedges genauer ansieht, spricht er ähnlich wie Hitler im Sportpalast. Er beschuldigt einige nicht näher definierte "Kriegszuhälter" oder "Kriegstreiber" im Westen, wobei er die Interessen der osteuropäischen Nationen völlig außer Acht lässt.

Alle osteuropäischen Länder (einschließlich Griechenland und Finnland!) haben ihre eigene Version des "westlichen Verrats". Aber irgendwann zwischen 1938 und 1941 wurden wir tatsächlich von den Menschen im Westen verraten, die sagten: "Warum für Österreich sterben, warum für das Sudetenland sterben, warum für Danzig sterben". Ziemlich bald mussten sie für London sterben, aber unter viel schlechteren Bedingungen.

Deshalb ist sich Osteuropa, bei allen internen Kämpfen und Unterschieden, in dieser Frage fast einig. Egal, ob man links oder rechts, progressiv oder konservativ, Pole, Litauer oder Rumäne ist, man weiß, dass Appeasement nicht funktioniert. Die jüngste Geschichte Ihres eigenen Landes ist der beste Beweis dafür.

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Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (20) – Tod auf dem Dnipro

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch):  https://eastsplaining.substack.com/p/death-on-dnipro

Dieser Beitrag ist auch nicht mehr frisch, aber wenn ich sage, ich übersetze alle Beiträge, dann meine ich wirklich alle.

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Tod  auf dem Dnipro.

Panik, Aufruhr und Depression bei russischen Militärbloggern

Dieser Substack entwickelt sich allmählich zu einem "Digest of Russian Telegram Channels", aber ich finde, dass es eigentlich ganz gut ist. Die anderen Dinge kann man leicht anderswo finden, aber ich spüre ein akutes Defizit an Verständnis dafür, wie "russische Russen" den Krieg wahrnehmen.

In letzter Zeit gibt es viel Panik und Aufregung über den ukrainischen Brückenkopf auf der anderen Seite des Dnipro in der Nähe der Antoniwkabrücke. Einerseits besteht hier keine ernsthafte Bedrohung für die Russen - bis zur nächsten Stadt (Oleschky) sind es 2 km Sumpfgebiet und ein weiteres Vordringen der Ukrainer ist nicht möglich. Darin sind sich die Analysten auf beiden Seiten einig.

Die Russen sind vor allem verärgert, weil dieser Brückenkopf leicht zu beseitigen scheint. Ein Iskander oder eine FAB-500 sollten ausreichen. Dies führt die Russen in ein sinusförmiges Muster von Euphorie und Depression - an einem Tag heißt es "endlich! alle Ukrainer durch unsere Iskander / Luftfahrt / TOS-1 getötet!

Standbild aus dem Video vom Tod russischer Soldaten (aus Telegram-Kanal "Narodnyj Front")

Ein von ukrainischen Quellen veröffentlichtes Video sorgte für besondere Aufregung. Ich stelle hier absichtlich nur einen Screenshot ein, der aus einer zensierten und geschwärzten Version einer russischen Quelle stammt. Das Originalmaterial ist furchtbar, Sie können versuchen, es selbst zu finden, wenn Sie wirklich sehen wollen, wie jemand durch einen direkten Granattreffer stirbt. In ziemlich guter Auflösung.

"Sie hatten nur 18 Sekunden Zeit, um den Motor des Bootes zu starten und sich zu retten. Aber er sprang nicht an" - so lautet die Überschrift des russischen Telegrammkanals "Narodnyj Front" ("Nationale Front").

Die Russen haben eine Uhr in das Filmmaterial eingeblendet. Auf diesem Screenshot zeigt sie 00:00:57 an, was bedeutet, dass die beiden Männer im Boot in 17 Sekunden tot sein werden.

Das gesamte Filmmaterial zeigt einen gescheiterten Versuch, den ukrainischen Brückenkopf von hinten anzugreifen. Da das Ganze von einer ukrainischen Drohne gefilmt wurde, wissen wir, dass alle Russen in diesem Boot dem Untergang geweiht sind, noch bevor sie das Ufer erreicht haben.

Die Drohne fliegt über das Boot und wirft die erste Granate in das Boot. Alle Russen, ob tot oder lebendig, werden durch die Explosion vom Boot geschleudert.

Zwei schaffen es, zurück zu klettern. Einer von ihnen versucht verzweifelt, den Motor zu starten. Auch wenn man sie als Feinde wahrnimmt, ist es schmerzhaft, ihnen zuzusehen.

Kurz vor 00:18:00 Uhr schlägt eine weitere Granate ein und tötet die letzten beiden Überlebenden. Dann nähert sich ein ukrainischer Trupp, der letzte Granaten abfeuert, nur um sicherzugehen, dass es keine Überlebenden gibt.

Warum ist das überhaupt passiert? Wer hat diesen hirnverbrannten Befehl gegeben? Warum benutzt unsere Armee ein unzuverlässiges, ziviles Boot? Warum haben wir nach 16 Monaten Krieg, in denen der Fluss Dnipro vom ersten Tag an eine wichtige Rolle spielte, keine reguläre Flussflottille?

Die russischen TG-Kanäle stellen diese Fragen immer wieder. Einige von ihnen werden sogar beantwortet - laut russischen Militärbloggern ist dies ein weiteres Beispiel für den Führungsstil von General Oleg Leontjewitsch Makarewitsch.

Makarewitsch mit Putin, April 2023. © kremlin . ru (aus Wikipedia), CC BY 4.0

Offenbar ist dies nicht der erste hirnrissige Befehl, den er an diesem Frontabschnitt erteilt. Zuvor schickte er russische Soldaten, die durch russische Minenfelder getötet werden sollten. Andere Soldaten wurden geschickt, um von ukrainischer Artillerie dezimiert zu werden, die das höher gelegene Gelände der Cherson-Klippe ausnutzte. All dies wird von verschiedenen russischen Militärbloggern berichtet.

Wenn es tatsächlich die russische Seite war, die den Staudamm von Kachowka gesprengt hat, wäre er auch dafür verantwortlich. Und eigentlich scheint er die Art von Person zu sein, die bereit ist, solchen humanitären Unsinn zu ignorieren, wie "aber Sir, auf unserer Seite werden Zivilisten sterben!". Selbst wenn es jemand wagen würde, ihm das zu sagen, würde er mit "na und?" antworten, genauso wie auf das hypothetische "aber Sir, Sie schicken unsere Jungs in unser eigenes Minenfeld!".

Diese Diskussion führte zu einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Hass gegenüber den russischen Militärbloggern von ihren eigenen Lesern. "Warum verhöhnt euch unsere Truppen? Warum verleumdet ihr unsere Kommandeure? Und vor allem, warum lügt ihr? Es gibt eine große Flottille von super-duper ultramodernen Schnellbooten, die auf der Welt ihresgleichen suchen, wir haben die Bilder gesehen"!

Eine Sammlung von Bildern, die angeblich die Dnipro-Flottille zeigen (aus dem Telegrammkanal von Michman Ptitschkin)

Der Militärblogger Michman Ptitschkin, der über alles, was in Russland schwimmt (oder sinkt), gut informiert zu sein scheint, hat diese Bilder in einer ausführlichen Analyse analysiert. Er schrieb im Wesentlichen auf, was öffentlich verkündet wurde (alle Flussboote wurden im letzten Herbst geliefert) und was tatsächlich geschah (einige Flussboote wurden in diesem Frühjahr geliefert, aber nicht an die eigentlichen Fronttruppen).

Alexander Kots, der gleichzeitig Journalist der "Komsomolskaja Prawda" und Blogger ist (unter seinem eigenen Namen, das ist mutig!), liefert einen guten Kommentar. "Das ist der Klassiker des Genres ("klassika zhanra"): zu zeigen, dass alles da ist. Drei schöne Boote, die offenbar für das Foto sauber geschrubbt wurden".

Aus dem Telegramm-Kanal von Alexander Kots

Ich glaube, man kann es nicht oft genug wiederholen: In Russland besteht ein großer Unterschied zwischen der offiziellen Ankündigung mit Fotos und dem, was TATSÄCHLICH passiert. Bis zu einem gewissen Grad gilt das wahrscheinlich für jedes Land, aber es gibt einen Grund, warum die russische Sprache eine ganze Palette von Redewendungen und Ausdrücken entwickelt hat, die diese Diskrepanz beschreiben.

Viele Menschen - insbesondere pro-russisch eingestellte Menschen im Westen - fallen darauf herein. Sie sagen: Seht euch dieses Bild an, das ist ein T-14 Armata, der beste Panzer der Welt. Und hier ist eine Hyperschallrakete, die nicht abgefangen werden kann (und aus irgendeinem Grund setzen wir sie nicht ein, um die ukrainische Infrastruktur zu zerstören!). Und da ist die Su-57, ein Kampfflugzeug, das so ultra-turbo-stealth ist, dass niemand es je im Einsatz gesehen hat!

Falls mir jemand aus dieser Gruppe einen Besuch abstattet (hallo!), habe ich ein weiteres Bild für ihn. Es stammt von Andrey Medwedew, der einen anderen Blogger zitiert, "Poddubny Z-O-V" (er hat diese Buchstaben nicht in seinen Namen eingebaut, weil er gegen den Krieg ist, glauben Sie mir).

Jeder, der noch an die russische Macht glaubt, sollte dieses Bild sehen. Das sind tatsächlich die Räder eines Militärlasters einer Artillerieeinheit - so der russische Militärblogger Andrey Medwedew (aus seinem Telegram-Kanal)

"Mein Freund Evgeny Poddubny hat eine sehr gute Frage gestellt. Wer sind die Leute, denen es bis zum heutigen Tag erlaubt ist, die ausgemusterte militärische Ausrüstung zu verkaufen? Wer erlaubt ihnen immer noch - wenn der Krieg noch anderthalb Jahre andauert - das System der Abschreibung von Ausrüstung zum Schrottwert und den Weiterverkauf zum vollen Marktpreis?"

Medwedew verweist auf Poddubny, der eine besondere Situation schildert, die seine Freunde an der Front erlebt haben. Ihre Einheit konnte auf dem offiziellen Weg keine neuen Reifen für ihre Lastwagen bekommen. Und warum? "Fragen Sie nicht einmal, das ist die ewige Geschichte, die man nicht ohne obszönes Vokabular beschreiben kann" (meine wörtliche Übersetzung).

Poddubny kaufte die Reifen für seine Freunde, aber da nagelneue Reifen in Militärqualität "Millionen" kosteten, kaufte er gebrauchte Reifen von "den Gaunern aus den russischen Pseudo-Heeresbeständen" (wörtlich: "baryg iz psevdo rosreservov"). Es scheint, dass er sie mehr oder weniger von der gleichen Quelle gekauft hat, von der die Reifen einfach an die Einheit geliefert werden sollten, die sie benötigt.

"Wenn es sich um einen Einzelfall handeln würde, dann ist das in Ordnung - aber das ist Wildnis. Und das Gleiche gilt für die Boote, die gleiche Wildnis, mit der man zurechtkommen muss", so Poddubny abschließend.

Und Medwedew schließt mit einem Appell: Schließen Sie sich der Initiative der Nationalen Front an, um das Geld für den Kauf eines Bootes für unsere Soldaten zu sammeln! Denn die glänzenden Boote von der Fotosession sind immer noch nicht bei der Truppe - wenn jemand sie benutzt, dann wahrscheinlich derselbe Typ, der die gestohlenen Reifen verkauft hat, das Geld genommen hat und in den wohlverdienten Urlaub gefahren ist. Er angelt im Baykal-See, mit seinem glänzenden, brandneuen Super-Duper-Schnellboot.

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Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (19) – Es ist nicht leicht, ein Teufel zu sein.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch):   https://eastsplaining.substack.com/p/hard-to-be-a-devil

Hier bin ich auch spät dran, beim Girkin hat sich inzwischen auch einiges geändert. Aber diesen Beitrag übersetze ich besonders gerne, weil ich anderer Meinung als der Autor bin. Wir haben diese Meinungsunterschiede schon unter dem Originalbeitrag diskutiert, hier begründe ich meinen Standpunkt unten.

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Es ist nicht leicht, ein Teufel zu sein.

Igor Girkin kommentiert die Folgen des Putsches

Der pro-russische russische Blogger Romanow gibt nur ein einziges Kommentarwort ab: „Offizielle Fotos von RIA Novosti. Die Gesichter…“ (aus Telegram).

Der heutige Substack besteht fast ausschließlich aus einer Übersetzung von Igor Girkins Telegrammkommentar zum Treffen von Putin und der Kremlspitze nach dem gescheiterten Putsch. Girkin ist zwar ein gesuchter Kriegsverbrecher, der in Den Haag in Abwesenheit für seine Beteiligung am Abschuss des Malaysian-Airlines-Flugs 17 verurteilt wurde, doch kann ich ihm literarisches Talent nicht absprechen. Und ich möchte meine Leser einfach darüber informieren, wie Russen die jüngsten Ereignisse in Russland wahrnehmen.

Ein Wort zum Kontext: Sein Kommentar ist eine Pastische eines großartigen Romans der Gebrüder Strugazki, "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein". Ich empfehle ihn sehr. Westliche Leser könnten sich darüber beschweren, dass er von Ursula Le Guin abgeleitet ist, aber schauen Sie sich die Daten an, er wurde 1963 geschrieben. Le Guin veröffentlichte ihre "Rocannons Welt" nur drei Jahre später.

Strugazkis Roman handelt von menschlichen Beobachtern, die inkognito eine fremde, aber humanoide Zivilisation infiltrieren, die noch im Feudalismus feststeckt. Der Hauptprotagonist wird Zeuge von Blutvergießen, Verbrechen und Tyrannei, die er mit seiner überlegenen Technologie sofort stoppen könnte - aber er muss sich an die Regeln des Kontakts halten und den Rädern der Geschichte auf diesem Planeten erlauben, ihre blutige Arbeit zu tun. Reba, Vaga, Arkanar (usw.) sind Namen aus dem Buch.

1960-1964 war die Zeit des "Höhepunkts der Freiheit" in der sowjetischen Kultur. Sie endete ziemlich bald, aber sie brachte viele Meisterwerke hervor, die in anderen sowjetischen Ländern, insbesondere in Polen, verehrt wurden. Ich würde wagen zu sagen, dass dies die einzige Zeit war, in der wir anfingen, uns zu mögen.

Später stellten wir jedoch fest, dass russische Autoren, wenn sie über Tyrannen schreiben, dies nicht unbedingt tun, um die Tyrannei zu kritisieren. Manchmal geht es ihnen tatsächlich darum, dass dies historisch gesehen für das Allgemeinwohl notwendig war" (z. B. zahlreiche Darstellungen von Iwan dem Schrecklichen oder Peter dem Großen in der russischen Kultur). Dieses Thema wird in diesem Roman angesprochen, aber ich habe das Buch so verstanden, dass dies geschieht, um es zu entlarven. Aber ist das wirklich so, oder will ich das nur so sehen? Nun, man kann eine Doktorarbeit darüber schreiben. Irgendjemand hat das wahrscheinlich sowieso getan.

Wie Sie sehen können, ist Girkin ziemlich offen kritisch gegenüber Putin. Er hat ihn sogar zum Rücktritt aufgefordert. Wie kann er immer noch auf freiem Fuß sein, während einige Leute ins Gefängnis gehen, nur weil sie sagen "Cherson wurde verlassen", das ist mir unbegreiflich.

Da er ein ehemaliger FSB-Agent ist, denke ich einfach, dass er eine wirklich gute "Kryscha" hat. Und wahrscheinlich eine Art "Dead Man's Trigger", eine Sammlung von Kompromats ("kompromittierenter Materiale") bei diesem und jenem. Als Anführer der Donbass-Invasion 2014 weiß er wahrscheinlich eine Menge darüber, wer was gestohlen hat, wer wen getötet hat und wer genau in den Abschuss eines malaysischen Flugzeugs verwickelt war...

aus Strelkow Telegram Kanal

(Anmerkung cmos: Ich habe das Girkin/Strelkow Kommentar aus dem russischen Original direkt ins Deutsche übersetzt, die Quelle: https://t.me/strelkovii/5756)

Strelkow Igor Iwanowitsch
Nachahmung von Strugazki. "Es ist nicht leicht, ein Teufel zu sein."

Seine Majestät Reba der Erste blickte traurig auf die Mitglieder des Geheimenrates, die niedergeschlagen auf ihren Stühlen saßen... Es gab Gründe für Traurigkeit und Niedergeschlagenheit:
Nicht nur, dass der Krieg "schief gelaufen" war, sondern auch die kürzliche Meuterei des Lieblingskochs des Königs, auf den man so viel Hoffnung gesetzt hatte, der aber statt Dankbarkeit die Grauen Abteilungen erhoben hatte und auf dem Rückweg von der irukanischen Front beinahe nach Arkanar gestürmt wäre...

Jeder, auf den der Blick Seiner Majestät fiel, senkte den Blick und begann nervös rumzuzappeln.
Hier sitzt der Oberste Konstabl.... mit einem Gesicht wie ein Bratapfel. Einst vom Schicksal bei der Geburt angepisst, wurde er dadurch (als Ausgleich für seinen angeborenen Mangel an Intelligenz und seine unheilbare moralische Hässlichkeit) in die Höhen des vergangenen Königs (Pice der Sechste Ewige) erhoben, und noch mehr erhoben, nachdem die richtige Wahl getroffen wurde, als Reba der Erste an die Macht kam.

Er sitzt... so bescheiden... Anstelle einer glänzenden Uniform trägt er einen grauen Anzug, sogar seine Uhr (die einen halben Arkanar wert ist) hat er abgelegt. Während der Rebellion von Vaga dem Faulen konnte er überhaupt nichts tun. Sei es, weil die ganze Armee ihn für seine "alternativen Siege" in den östlichen Irukan-Ebenen hasst, oder weil er mitten in der Rebellion kneift, wegläuft und sich unter den Röcken seiner zahlreichen Stellvertreterinnen versteckt.

Und hier ist der Großinquisitor, der Donner der Dissidenten, Don Borton der Unsichtbare. Ein Gesicht so sauer wie eine Zitrone. Plötzlich stellte sich heraus, dass er in der Armee von Vaga dem Faulen nicht einen einzigen Agenten hatte, der in der Lage war, vor dem geplanten Komplott zu warnen. Oder hatte er es vielleicht doch getan, aber beschlossen, es nicht zu melden? Oder war er selbst in das Komplott verwickelt?

Majestät schaute nicht auf Don Sera Medwedgoldski, einen bekannten Lügner, Spaßvogel und Schwätzer, der im Geheimen Rat gehalten wurde, um sich vor der ewigen Kanzleilangeweile zu amüsieren. Bei ihm gab es nichts zu sehen. - Diese wertlose Kreatur kann nicht einmal konspirieren. Und die Konspiration zu verhindern noch weniger.

"Verlierer... nur Verlierer!" - Reba seufzte vor sich hin. Und wo andere finden? Don Ramsan der Bärtige, der Anführer der nördlichen Barbaren, hat viel versprochen, aber als es um die Erfüllung ging, hat er so lange gebraucht, um sich vorzubereiten, dass seine Garde erst am Ort der wahrscheinlichen Schlacht ankam, als alles schon vorbei war.

"Trudno byt' bogom", eine Verfilmung von Aleksej Juriewitch German aus dem Jahr 2013

Und das erbärmliche Geschwätz der Generäle? Don Sur von Vikinski, der Sieger von Cherson, war so erschüttert, als er die Armee zum Widerstand gegen die Rebellion aufforderte, dass buchstäblich niemand auf seine Worte hörte. Die versammelten Militärs interessierten sich vor allem dafür, ob Don Sur den Griff seines Schwertes, das er nervös um seine Pobacken drehte, in seinen Hintern stecken würde oder nicht.
Der große Saboteur Don Al Leksejew mit dem Spitznamen "Stepanytsch" war bereit, mit dem Koch zusammenzuarbeiten. Und der illustre General Don Ev Kurow konnte nicht mehr sprechen, als er von den grauen Jünglingen des Kochs umringt von Schwertern und Dolchen beraubt wurde.

Dennoch ist es ermutigend, dass sich keiner von DENEN als fähig erwies, etwas zu tun.
Selbst als König Reba der Erste selbst in einer Kutsche in Richtung der Zweiten Hauptstadt floh, wagte es niemand, die auf der Straße liegende Krone aufzuheben und den Thron zu besteigen....

Deshalb hielt Seine Majestät König Reba der Erste inne, holte Luft in seine gebrechlichen, senilen Lungen und sagte (weniger an den Geheimen Rat als an die gespannt lauschende Menge unter dem königlichen Balkon gerichtet):
"Gut gemacht, ihr alle! Ihr habt euch alle bestens bewährt!...."(Fortsetzung folgt).

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Ich habe "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" schon Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre gelesen, noch unter dem Kommunismus. Ich finde das Buch ist sehr gut, ich habe es immer noch in meinem Bücherregal stehen. Aber schon damals habe ich das Buch ganz anders verstanden als der Autor dieses Beitrags. Nachdem der Artikel über Girkins Text erschienen war, habe ich das Buch noch einmal gelesen.  

Und ich fühlte mich in meinem ersten Eindruck bestätigt: Das Buch könnte eine Pflichtlektüre beim KGB/FSB und GRU sein. Der Hauptheld Anton (Deckname Don Rumata) und seine Kameraden sind Agenten aus der kommunistischen Erde (alle haben russische Namen). Sie gehören einer ziemlich KGB/FSB/GRU-ähnlichen Organisation an. Ihre Aufgabe ist es, die gesellschaftliche Entwicklung auf fremden Planeten unauffällig in die "richtige" (sprich: "kommunistische") Richtung zu lenken. Alles nach den festen, wissenschaftlichen Regeln des historischen Materialismus. 

Die Agenten haben zwar ihre Regeln der Nichteinmischung: vor allem dürfen sie niemanden töten (auch nicht in Notwehr, sie lernten Kampftechniken, mit denen sie sich verteidigen können, ohne töten zu müssen). Trotzdem verliert der Don Rumata die Kontrolle (wegen des Alkohols, obwohl er Medikamente nimmt, die ihn gegen Alkohol unempfindlich machen sollen). Im Buch wird nicht beschrieben, was genau er angestellt hat, aber seine einheimische Freundin ist sehr verängstigt. Anton ist als ein Adeliger in einer feudalen Gesellschaft getarnt, so darf er mit den Leuten aus den unteren Schichten alles machen ohne als ein Verbrecher verfolgt zu werden, aber auch für seine Vorgesetzten ist das kein Problem. Als später seine Freundin getötet wird, sieht er rot und richtet ein Blutbad an. Für seine "Firma" ist das nur insofern ein Problem, als das der ganze Einsatz auffliegen könnte. So wird er evakuiert (bitte bemerke den massiven Einsatz von Schlafgas, wie bei der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002). Er wird nicht bestraft, seine Kollegen befürchten eher, dass er nach dem Erlebten nicht mehr als ein Agent arbeiten kann.

All das bedeutet für mich, dass diese ganzen Regeln der Nichteinmischung nichts als Heuchelei sind. Ich glaube, der Girkin sieht sich als Don Rumata von Planet Donbass, der Vorreiter von dem "russki Mir" dort - es gibt Tausende von guten Büchern, er hat aber für seinen Kommentar den Stil von genau dieses Buches gewählt, und für mich ist er der Erzähler, Don Rumata selbst, in seinem Text. 

 

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Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (18) – Prigoschin-Putch

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch):  https://eastsplaining.substack.com/p/prigozhins-putsch

Ja, ich bin spät dran mit der Übersetzung, inzwischen ist viel in der Sache passiert. Trotzdem macht es Sinn den Beitrag zu lesen. 

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Prigoschin-Putch

In Russland nennt man es „Freitag“

Aus Ian Miles Cheong Twitter

Bei zahlreichen Gelegenheiten habe ich hier über die Diskrepanz zwischen der "Export"- und der "Inlands"-Version der russischen Propaganda geschrieben. Englische pro-russische Twitter-Accounts, die oft von Leuten geschrieben werden, die der russischen Sprache nicht mächtig sind, sich aber als "Donbas Devushka" oder "Big Sergey" ausgeben, stellen ein anderes Land dar als pro-russische Russen.

Der Prigoschin-Putsch ist dafür ein gutes Beispiel. In der prorussischen englischen Welt war dies ein weiterer Erfolg von "Putin, dem Unbesiegbaren". In einem brillanten 5D-Schachzug entlarvte er die Verräter und tauchte so stark wie eh und je wieder auf, mit einem geeinten Russland hinter ihm.

Russische Russen zeichnen ein düsteres Bild. Sie konzentrieren sich auf zwei Dinge.

Ausschnitt aus Readovka Telegram Kanal

Erstens: Opfer. Der prorussische russische Blogger "Readovka" berichtet von 15 Gefallenen (einige Schätzungen liegen etwas höher), die meisten von ihnen Piloten.

6 Hubschrauber und ein Flugzeug wurden abgeschossen (laut dem prorussischen russischen Blogger "Rybar"), meist mitsamt ihrer Besatzung. Eine sehr gute Nachricht für die ukrainischen Profis ist der Verlust der Ka-52 mitsamt ihrer Besatzung - ausgebildete Kampfhubschrauberbesatzungen kann man nicht durch frische Mobiks ersetzen! Aber der Verlust des Führungsflugzeugs Il-18(22) und der drei auf elektronische Kriegsführung spezialisierten Mi-8 MTPR reicht aus, um in NATO-freundlichen Kreisen "Sovetskoje Igristoje" zu öffnen.

Aus Telegram Kanal "Powjornutje na Z wojne": "Ich wollte es nicht, aber ich werde es sagen. Der tote Junge von Ka-52 hat eine kleine Tochter hinterlassen".

Die von Wagner getöteten Menschen an Bord dieser Flugzeuge hatten Familien. "Ein Junge an Bord der Ka-52 hatte eine kleine Tochter", berichtet ein pro-russischer russischer Milblogger mit "Z" in seinem Spitznamen. Ich frage mich, was er von den pro-russischen englischen Idioten hält, die diesen Putsch als "relativ unblutig" bezeichnen?

Die russischen Russen fühlen sich nicht "geeint wie eh und je". Das ist die zweite Sache. "Die Kolonne der Wagneristen bewegte sich nicht auf dem Asphalt, sondern in den Herzen der Menschen und spaltete die Gesellschaft in zwei Teile", behauptet Alexandr Chodakowski.

"Unser Land wird nie mehr dasselbe sein", behauptet Alexandr Chodakowski, und er meint es nicht gut - aus seinen Telegramm-Kanal

Sie fühlen sich auch nicht "stärker". Sie sahen eine brennende Raffinerie in Woronesch, sie sahen seltsame "Panzerabwehr"-Gräben und Sperren, die in Panik auf der Autobahn M4 errichtet wurden.

Sie fragen sich: Wie ist das überhaupt möglich, dass eine feindliche Kolonne einen ganzen Tag lang ungehindert auf Moskau zurasen kann? Warum hat Putin harte Strafen für die Rebellen versprochen - und ohne Erklärung einen Rückzieher gemacht? Der Konsens im russischen Russian Telegram ist, dass der Putsch Putin und Russland nicht stärker, sondern schwächer aussehen lässt.

Chodakowski fährt fort und sagt: "Dies ist der vierte Putsch in meinem Leben. Jeder von ihnen begann unter einem wohlwollenden Vorwand, aber jeder machte die Dinge noch schlimmer (...) Millionen von Menschen erlebten den schrecklichen Gedanken, dass alles, wofür sie standen, an einem Tag ausgelöscht werden könnte. Diese Millionen werden den Tätern niemals in die Augen sehen können, ohne sie für den Verlust unseres Hubschraubers zu verurteilen, der von unseren eigenen Leuten von gestern abgeschossen wurde."

Vier Putsche in einem Leben, das ist ein Haufen! Aber in Russland nennt man das "Freitag".

Viele Menschen im Westen können das alles einfach nicht glauben. Was wollte Prigoschin damit erreichen? Das ist zu irrsinnig, zu schlecht geplant und ausgeführt. Hier muss es eine versteckte Absicht geben! Offensichtlich ist das alles nur eine Show!

Aus dem Telegram-Kanal “Wojenkor Kotenok Z

"Offensichtlich ist es keine Show" - antwortet ihnen ein anderer pro-russischer Russe, Wojenkor Kotenok Z - "das Flugzeug ist verloren gegangen, die Piloten sind gestorben". In seiner Tirade beschuldigt er die Behörden der groben Nachlässigkeit. Er sagt, nicht der Putsch sei schlecht vorbereitet gewesen, sondern die Präventivmaßnahmen seien wirklich lächerlich.

"12 Säcke mit Sand und ein Maschinengewehr? Das ist lächerlich, der Panzer würde nicht einmal abgelenkt, er würde einfach weiterfahren", sagt er und stellt die 100-Millionen-Rubel-Frage: "Was ist, wenn der Feind morgen dasselbe tut, aus den Wäldern des Gebiets Sumy unter Umgehung von Kaluga eindringt und in Richtung Moskau reitet?".

Ein Meme, das in den polnischen sozialen Medien während der Johannisnacht kursiert (oder, wie wir gerne sagen, "die Nacht der Kupała, der alten slawischen Gottheit aller guten Dinge im Leben")

In den polnischen sozialen Medien gab es ein Meme, in dem Prigoschin extrem verkatert aussah (wie er es normalerweise tut) und sagte: "Ich hatte einen zu viel, kann mich an nichts erinnern, ich hoffe, ich habe nichts allzu Dummes getan...".

Wenn man sich die Geschichte der Putsche ansieht, sehen sie meist so aus. Diese Frage stellt man bei gescheiterten Putschen. Bei erfolgreichen Putschen stellt man sie (normalerweise) nicht, aber ich denke, sie sind ähnlich. Die letzteren haben einfach Glück gehabt.

Der "Bierhallenputsch" eines Adolf Hitler von 1923 endete ebenfalls in der Lächerlichkeit. Aber wer hat 10 Jahre später zuletzt gelacht?

Die wichtigste Zutat für jeden Putsch ist jemand, der bereit ist, in Anlehnung an Cesare Borgia zu sagen: "aut Caesar, aut nihil". Entweder du gewinnst und wirst zum Tyrannen oder du gehst unter. Man setzt alles aufs Spiel und lässt die Würfel rollen. Entweder sie haben Glück, wie der ursprüngliche Cäsar - oder sie haben kein Glück und enden als Fußnote.

Diese Haltung ist die Essenz der russischen Seele, wie niemand anderes als Fjodor Michailowitsch Dostojewski selbst behauptet. In seinem Roman "Der Spieler", in dem er sich mit seiner eigenen Spielsucht auseinandersetzt, vergleicht er die Russen häufig mit Franzosen, Deutschen und Polen (nach Dostojewski die verachtenswertesten aller Nationen).

Der Roman ist in der ersten Person geschrieben (und wie wir aus der Geschichte wissen, wurde er in Eile geschrieben), so dass es unmöglich ist, die Meinung des Autors von der seines Alter Ego Alexej Iwanowitsch zu unterscheiden.

In einer Szene behauptet Alexej, dass "das Roulett geradezu für die Russen erfunden ist" - denn was er am meisten verachtet, ist "die deutsche Art, durch ehrliche Arbeit Geld zusammenzubringen". Alexej will nur eines: entweder einen großen Gewinn beim Roulette oder alles verlieren und sich umbringen. Welches dieser Ergebnisse es sein wird, ist unerheblich, solange es sich nicht um ein langweiliges bürgerliches Dasein als "Hausvater" der Familie handelt, "der furchtbar tugendhaft und außerordentlich redlich ist, schon so redlich, daß man sich fürchten muß, ihm näherzutreten" (cmos: zitiert nach einer deutschen Übersetzung, den Übersetzer könnte ich aber nicht feststellen).

Dieses Plakat von "Los Hermanos Karamazov" versucht eindeutig zu vermitteln, dass es sich um eine Geschichte über etwas anderes handelt, als es tatsächlich der Fall ist. Aber ich liebe es trotzdem. Und seien wir mal ehrlich: Juli Borissowitsch Briner wäre ein großartiger Prigoschin, wenn das alles als Hollywood-Film umgesetzt würde.

Prigoschin ist eine Figur, die direkt aus Dostojewskis Roman stammt. Das ist kein Kompliment. Wie Dmitri Karamasow hat er keine Angst vor dem Töten, er hat keine Angst vor dem Sterben, das einzige, was er fürchtet, ist ein langweiliges, bürgerliches Leben. Wie Stawrogin hat er keine Moral, die ihn aufhält.

Auch wenn der Westen natürlich seinen Anteil an Putschen und Staatsstreichen hat, stellen sie ein besonders wichtiges Element der russischen politischen Kultur dar. In der russischen Sprache gibt es zwar Ausdrücke für "Staatsstreich", "Bürgerkrieg" und "Meuterei" (bzw.: pereworot, graschdanskaja wojna, matiesch), aber es gibt auch einen Oberbegriff, der all das und noch mehr umfasst: smuta. Dieses Wort wurde auch im russischen Telegramm vom letzten Wochenende häufig verwendet.

Wladimir Solowjew ist (wie immer) deprimiert darüber, was dieser gescheiterte Putsch über die Fähigkeit Russlands aussagt, Angriffe auf Moskau abzuwehren. Er ist nicht regierungsfeindlich, ganz im Gegenteil. Aber selbst die eifrigsten Kreml-Propagandisten sind nicht in der Lage, daraus etwas Gutes zu machen. Aus dem Youtube-Kanal "Russian Media Monitor".

Wenn man sich das Bild von Stalin, Putin oder Peter dem Großen ansieht, hat man den Eindruck, dass die Macht stabil ist. Das ist eigentlich falsch, aber der unglückliche Künstler würde es nicht überleben, ein genaueres Bild zu malen.

Peter der Große (1672-1725) wird gewöhnlich als Vater des modernen Russlands angesehen. Akzeptieren wir dies, um der Diskussion willen, und beachten wir eine interessante Tatsache.

Wie alle Tyrannen ließ Peter der Große die Frage der Nachfolge offen und gab vielen Anwärtern vage Versprechen. Das ist eigentlich ganz typisch: Praktisch jeder Logan Roy aus jeder historischen Epoche hat das gleiche getan.

Dies führte natürlich zu einer Reihe von Verschwörungen und Intrigen, die zum Tod seines Sohnes und zu einer kurzen Herrschaft von Katharina I. (nicht zu verwechseln mit Katharina der Großen) führten.

Sie war eine Bürgerliche polnischer Herkunft (Marta Helena Skowronska), sie überlistete alle ihre Rivalen, aber ihre Herrschaft wurde als Gräuel angesehen. Ihre Nachfolger wurden jedoch immer verrückter, bis hin zum Baby-Zar Iwan VI., der im Alter von 2 Monaten gekrönt, bald darauf von seiner Nichte gestürzt und dann 20 Jahre lang in Einzelhaft gehalten wurde, um dann als Nebeneffekt eines gescheiterten Staatsstreichs ermordet zu werden, von dem er nicht einmal wusste - was für ein Leben!

Es genügt zu sagen, dass es im 18. Jahrhundert ein Kontaktsport war, ein russischer Zar zu sein. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass man von seiner Frau, Mutter oder Tante ermordet wurde - Frauen gingen häufig als Siegerinnen aus den Intrigen im Palast hervor, so dass wir in dieser Zeit eine Reihe sehr interessanter Frauen an der Spitze hatten.

Das alles änderte sich mit Kaiser Paul, der eine strenge patrilineare Erbfolge einführte (um Kendall Roy zu zitieren: "Ich bin der älteste Junge!"). Er hasste seine Mutter (und er hatte wirklich gute Gründe, die weit über das übliche Freud-Ding hinausgingen), aber kurz nachdem er dieses Gesetz verkündet hatte, wurde er von seinem Bruder ermordet. Was hat er sich dabei gedacht?

Natürlich starben einige Zaren eines natürlichen Todes - es ist unmöglich, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, denn in ihren späteren Tagen, als sie älter und schwächer wurden, isolierten sie sich in der Regel und waren nur von ihrem engsten Gefolge umgeben. Da wir ansonsten wissen, dass die erfolgreichsten Putsche genau die sind, die von der vertrauenswürdigsten Entourage durchgeführt werden ("et tu, Brute"?), werden wir die genaue Zahl wohl nie erfahren. In einigen Fällen gibt es im Grunde nur eine Person, die sagte, dass "seine Majestät friedlich im Schlaf gestorben ist" (während sie verzweifelt versuchte, ein Messer abzuwischen).

This man just gotta go, declared his enemies. But the ladies said: don’t you try to do it, please. No doubt this Rasputin had lot of hidden charms - though he was a brute, they just fell into his arms. Then one night some men of higher standing set a trap (they’re not to blame!). Come to visit us, they kept demanding. And he really came… wenn es einen echten Russlandversteher in Deutschland gab, dann war es Frank Farian von Boney M. Via Youtube.

Nochmals: Auch in den westlichen Monarchien kam es häufig zu Erbschaftsstreitigkeiten. Aber ich glaube nicht, dass es in Westminster nach 1688 jemals dazu gekommen ist. Hat es das? Ich bin mir nicht sicher, die Frage ist echt.

Im Allgemeinen konnte man in der Neuzeit im Westen - und man tat es auch! - eine Revolution durchführen, um die Monarchie zu stürzen. Aber eine Palastintrige, bei der eine Nichte ihren Cousin ermordet, um dessen Krone zu stehlen? Da fällt mir wirklich kein Beispiel ein. Außer natürlich in Russland, denn dort wurden Palastputsche genau zur gleichen Zeit, nämlich zur Zeit Peters des Großen, zur Spezialität des Hauses.

Nur die erfolgreichsten russischen Putsche haben es in das westliche Allgemeinwissen geschafft. Jeder weiß über die bolschewistische Revolution Bescheid, aber nicht so viele über den Pugo-Putsch oder die Machnowststchina. Es gibt einen Grund, warum man einen Oberbegriff für alle Arten von meuterndem Verhalten braucht, denn einige davon sind wirklich schwer zu klassifizieren.

Ich bin nicht so verrückt, die nächste Smuta in Russland vorherzusagen, aber Putin wirkte nach dem Prigoschin-Putsch schwach. Am Morgen verkündete er harte Strafen und am Abend eine vollständige Amnestie.

So etwas macht man nicht, das ist ein Grundprinzip von Macchiavelli. Sei hart, wenn du musst, sei nachsichtig, wenn du musst, aber nicht gegenüber derselben Person am selben Tag. Du musst dich wirklich entscheiden, bevor du an die Öffentlichkeit gehst.

Ein Auszug aus: Aleksandr Gamow, "Wlasti ne budut presledowat' wagnerowtsew", Komsomolskaya Pravda, 24.6.2023

Und dies ist öffentlich genug, um in den offiziellen russischen Medien erwähnt zu werden. Die "Komsomolskaja Prawda" (mit dem Spitznamen "Putins Zeitung") stellt Peskow genau diese Frage und erhält eine vage, ausweichende Antwort. Das sieht nicht gut aus.

In Russland ist die "Diskreditierung der Streitkräfte" ein Verbrechen, das mit Gefängnis bestraft wird. Bis zum vergangenen Wochenende haben sich nur einige wenige Militärblogger mit gutem Ruf getraut, dies zu tun. Jetzt kritisieren Leute, die "Z" in ihren Spitznamen schreiben, offen Schoigu und indirekt auch Putin.

Aber das Wichtigste, was ich damit sagen will, ist, dass der Putsch von Prigoschin nichts Ungewöhnliches für Russland war. Im Gegenteil, das ist eine ganz normale Smuta. Jeder Russe mittleren Alters wie Chodakowski hat schon vier davon gesehen, also kann man ihm verzeihen, dass es ihm ein bisschen egal ist.

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Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (17) – Ballade von einem russischen Blogger.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): 

https://eastsplaining.substack.com/p/ballad-of-a-russian-blogger

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Ballade von einem russischen Blogger.

Wo selbst die beste "Kryscha" in Moskau Sie nicht mehr schützen kann...

Vor ein paar Monaten habe ich kurz die Probleme eines russischen Militärbloggers erwähnt, dem ich folge - Roman Saponkow. Kürzlich hat er ein Update gepostet, das ich hier im Detail beschreiben werde, weil ich denke, dass es die perfekte Zusammenfassung dessen ist, worum es in diesem Krieg eigentlich geht.

Roman Saponkow ist kein gewöhnlicher Blogger, er hat direkte Quellen in der Kampfzone und besucht häufig die kämpfenden Truppen (aus Twitter-Account von TV Seznam)

Um es noch einmal zusammenzufassen: Militärblogger auf beiden Seiten des Konflikts starten Crowdfunding-Kampagnen, um "ihren" befreundeten Einheiten zu helfen, und erhalten in der Regel exklusiven Zugang zu Kampfberichten aus erster Hand. Auf unserer Seite ist dies durch die ukrainische OPSEC stark eingeschränkt, aber russische Autoren veröffentlichen oft sehr interessante Dinge direkt aus den Schützengräben (deshalb verfolge ich sie!).

In diesem speziellen Fall finanzierte Saponkow nicht nur den Kauf von Drohnen für "seine" befreundete Einheit, sondern auch deren Wartung per Crowdfunding. Ähnlich wie andere mechanische Geräte müssen auch Drohnen von Zeit zu Zeit gewartet werden.

Im März wurden Saponkows Lieferwagen mit den zu wartenden Drohnen von den örtlichen Behörden der "Oblast Cherson" beschlagnahmt. Obwohl Russland behauptet, das Gebiet annektiert zu haben, hat sich in der Praxis nichts geändert. Genau wie andere besetzte Gebiete ist dies eine staatenlose Zone, die von Kriegsherren regiert wird.

Das Ausmaß der Gesetzlosigkeit scheint selbst für einen Russen wie Saponkow überraschend zu sein. In Moskau versucht die Polizei vielleicht, Bestechungsgelder zu erpressen, aber sie stiehlt nicht jeden Tag Autos.

Saponkow versuchte, seine Autos mit Hilfe des von den Russen ernannten "Gouverneurs" der Oblast Cherson, Wladimir Saldo, und des Senators Konstantin Basyuk zurückzuholen. In Russland nennt man das "kryscha", was so viel wie "Schutz" bedeutet (Anm. cmos: wörtlich übersetzt heißt es "Dach"), und wenn man einen wirklich starken Schutz hat (z. B. wenn die "kryscha" Putins Tochter ist), kann man mit Mord davonkommen. Buchstäblich.

Deshalb gehen manche Leute ins Gefängnis, wenn sie diesen Krieg "Krieg" nennen oder "die Streitkräfte diskreditieren", und andere können ganz offen diskreditieren, wen sie wollen. Die letzteren haben gute "kryschas", die ersteren nicht. Ein "Militärblogger" braucht per Definition eine gute Kryscha, denn formal ist alles, was er tut, in Russland illegal.

Das Gericht in Krasnojarsk hat den Stadtrat Igor Grinew wegen der Verwendung der Worte "aufgegebenes Cherson" mit einer Geldstrafe von 30 000 Rubel bestraft. Das ist eine "Diskreditierung der russischen Armee", sie hat Cherson nicht aufgegeben, es war eine erfolgreiche Umgruppierung! (aus Telegramm-Kanal von Igor Girkin, der sagen kann, was er will, weil er aus Moskau kommt und eine gute "Kryscha" hat, im Gegensatz zu irgendeinem armen Schlucker in Krasnojarsk) (Anm. cmos: Inzwischen hat sich seine "Kryscha" offensichtlich aufgelöst).

Nach dem, was ich gelesen habe, scheinen die "Kryschas" aus dem Festland in den besetzten Gebieten nicht zu funktionieren. Wenn Sie sich mit einem echten (korrupten, aber echten) Polizisten streiten, hilft Ihnen vielleicht die Trumpfkarte "Ich rufe jetzt den Polizeichef an". Aber bei einer Bande von Paramilitärs, die sich als Polizisten ausgeben, wird das nicht funktionieren.

Dies war wahrscheinlich das Todesszenario eines der Anführer des "Donbass-Separatismus 2014", Igor Manguschew. Wie die meisten der "Donbass-Separatisten" wurde er natürlich in Moskau geboren.

Am 4. Februar 2023 wurde er von Paramilitärs an einem Kontrollpunkt in Luhansk angehalten. Die "Polizisten" sahen einen reichen Mann und wollten ihn ausrauben. Seinem Freund, dem Militärblogger Murz, zufolge war seine Reaktion typisch für einen gut vernetzten Moskauer: "Fasst mich nicht an, ich kenne Girkin! Ich kenne Prigozin!". Was in Moskau funktionieren mag, funktioniert im besetzten Luhansk nicht. Sie haben ihn einfach erschossen, weil er sich dem Raub widersetzt hat.

Die meisten russischen Blogger haben Manguschew vergessen. Er war eine ebenso berühmte Figur wie Tatarski, aber heute ist er eine Unperson, wie in Orwells "1984": Er hat nie existiert. Murz ist der einzige Blogger, der eine formelle Untersuchung des Todes von Manguschew fordert. Wegen dieser unangemessenen Forderungen bezeichnete Saponkow Murz als Dummkopf ("durak").

Saponkow ist kein Narr, er kannte seine Chancen. Er übergab seine Autos kampflos. Aber auch seine "Kryscha" auf Gouverneursebene hat nicht geholfen.

Nach seiner eigenen Beschreibung ist das Hauptproblem die fehlende ordnungsgemäße Anmeldung der beschlagnahmten Autos. Technisch gesehen haben die selbsternannten "Polizisten" sie nach Saldos Intervention zurückgegeben, aber er kann sie nicht fahren, weil ihnen jetzt die richtigen Nummernschilder fehlen.

Die "Oblast Cherson" kann sie nicht ausstellen, da es sich um eine Einrichtung handelt, die gleichzeitig existiert und nicht existiert. Einerseits ist es formal ein Teil Russlands (seit der Annexion). Andererseits war die Annexion nur vorgetäuscht, die Grenze ist noch da, und das russische Kfz-Zulassungssystem funktioniert in den besetzten Gebieten nicht. Es handelt sich um eine Grauzone außerhalb jedes (auch russischen) Rechtssystems.

Ein weiterer pro-russischer Kriegsbefürworter beschwerte sich darüber, dass die Besatzungsbehörden im Donbass Mavic-Drohnen des 291. Regiments, die er zur Wartung von Donezk nach Moskau transportierte, einfach gestohlen ("konfisziert") hätten. Es wurde keine Erklärung gegeben (aus dem Telegramm-Kanal von Saponkow)

Nach langen Verhandlungen zwischen Saponkow, Saldo und der "Polizei von Cherson" wurde eine Lösung gefunden. Die Lieferwagen werden "verstaatlicht", dem Eigentumskomitee der Region Kherson (was auch immer das sein mag) übergeben, und dieses Komitee wird sie für die Nutzung durch Saponkow und seine Freiwilligen leasen.

Er wollte diese Lösung nicht akzeptieren, da sie immer noch bedeutet, dass der Mietvertrag jederzeit widerrufen werden kann. Aber offenbar gab es keine andere Wahl.

Am 11. April übernahm das Eigentumskomitee formell das Eigentum an den Fahrzeugen. Am 26. Mai war der juristische Papierkram endlich fertig - das Eigentumskomitee stimmte zu, die Autos an einen "Kherson Territorial Development Fund" (was auch immer das ist) zu verleasen.

Und dann... geschah nichts. Die Lieferwagen werden in Isolationshaft gehalten. "Niemand tut etwas... Ich kenne ihre Telefonnummern nicht... Ich weiß nicht einmal, wer uns die Schlüssel und den Papierkram aushändigen soll" - schreibt Saponkow.

 

Der witzigste Teil von Saponkows Blognotiz. In Fettdruck betonte er, dass "die Situation unfassbar ist" und dass "er nicht einmal weiß, wer ihm die Schlüssel und Papiere aushändigen soll und wann dies geschehen soll" (aus dem Telegrammkanal von Saponkow)

Es scheint, dass jemand im "Eigentumsausschuss" oder bei der "Polizei von Cherson" eine andere Verwendung für diese Fahrzeuge gefunden hat. Warum also die Rückgabe an Saponkow? Saldos Autorität scheint den Warlords und Paramilitärs nicht zu genügen. Letztendlich ist er ein Aushängeschild, über das man hinwegsehen kann.

Saponkow beendet diese Geschichte mit der Erklärung: "Ich würde mich nicht beschweren, wenn es nur um mich ginge, aber die Kämpfe im Donbass nehmen zu, und unsere Jungs sind ohne unsere Drohnen und Unterstützung". Wie die strenggläubigen Kommunisten in den Jahren des Kommunismus versäumt er es, die Zusammenhänge zu erkennen und das Offensichtliche zu sehen: dass dieser halblegale Autodiebstahl keine Abweichung des russischen Systems ist, sondern das System selbst.

Sie sind nicht 2014 in den Donbass und die Krim einmarschiert und 2022 in den Rest des Landes, um das Leben der Menschen zu verbessern. Das ganze Gerede von "Entnazifizierung und Entmilitarisierung" oder "Schutz der russischsprachigen Bevölkerung" war nichts als ein Vorwand, um zu plündern und zu profitieren.

Die Besatzungsbehörden geben vor, "Gouverneure", "Bürgermeister" oder "Polizisten" zu sein, aber in Wirklichkeit sind sie da, um unter einem halblegalen Rahmen namens "Eigentumsausschuss" zu stehlen. Wenn Russland wirklich "seine eigene Sippe schützen" wollte, würde es den "Annexionen" die Integration der russischen politischen Institutionen in die Besatzungsregime folgen lassen, aber das geschieht einfach nicht.

In Osteuropa wissen wir das, weil die meisten unserer Länder in der Vergangenheit unter russischer oder sowjetischer Besatzung standen. Wir kennen die Geschichten von unseren Großeltern und aus Geschichtsbüchern. Daher ist es für uns keine Überraschung, dass die Russen wieder einmal russische Dinge tun.

Die Sprengung des Kachowka-Damms löst im Westen Unverständnis aus. "Würden sie ihren eigenen Damm sprengen und damit ihr eigenes Volk verletzen?" - diese Frage scheint westlich der Oder selbstverständlich, aber für uns ist sie zu offensichtlich, um sie zu diskutieren.

Die russische Welt basiert auf einer sehr strengen Hierarchie. Ganz oben stehen die in Moskau und Petersburg ansässigen Oligarchen - die Leute, die auf den "VIP-Spuren" fahren dürfen, um den Stau in diesen Städten zu umgehen.

Einige Schichten darunter befinden sich normale Moskauer mit guter "kryscha", wie z. B. Saponkow. Noch weiter unten gibt es Menschen, die sich legal in den "guten" Städten aufhalten dürfen, denen aber die "kryscha" fehlt und die daher nur sehr eingeschränkte Karrieremöglichkeiten haben (und sogar wegen "Diskreditierung der Streitkräfte" bestraft werden). Noch weiter unten auf der Leiter gibt es Menschen, die im tiefen Land ("glubinka") leben, aber immer noch ethnisch russisch sind. Gut für sie, denn dank dieser Tatsache sind sie noch nicht ganz unten. Unter ihnen befinden sich die versklavten Minderheiten - Burjaten, Kalmuken, Tadschiken usw.

Die Menschen in den "besetzten Gebieten" sind der eigentliche Bodensatz der "russischen Welt". Den Truppen an der Front ist ihr Leben genauso egal wie dem "Eigentumskomitee", das sich darum kümmert, dass die Truppen keine Saponkows Drohnen bekommen.

Saldo und Solowjew sind sich einig, dass die Sprengung des Staudamms eigentlich eine gute Sache für Russland war

Die russische Welt ist eine "Hund-frisst-Hund"-Welt. Die Wegwerffigur Saldo kümmert sich nicht um die humanitäre Katastrophe in seiner Region - er ist froh über die Überschwemmungen, weil sie die ukrainische Offensive behindern, so dass er noch ein bisschen länger der Scheingouverneur sein wird. Kirill Stremousow, der ebenso entbehrliche "Bürgermeister" des russisch besetzten Cherson, wurde an dem Tag getötet, als die Russen die Stadt verließen - er wurde nicht mehr gebraucht, um den Raub zu "legalisieren". Saldo sollte ein ähnliches Schicksal erwarten, sobald die Russen die Region verlassen haben.

Bin ich ein Russophobe? Vielleicht, aber nur, weil ich ein Russophoner bin. Ich verstehe ihre Sprache und ich lese sie. Und das ist das Bild der russischen Welt, das ich durch die Lektüre von Saponkow, Romanow, Girkin, Pegow, Kaschewarowa usw. bekomme.

Und es ist nicht so, dass sie gegen den Krieg sind. Sie sind so sehr für den Krieg und für Putin, dass sie per Crowdfunding Nachschub für die Armee finanzieren. Und sie werden von den Leuten ausgeraubt, die ebenfalls für den Krieg und für Putin sind, aber aus etwas praktischeren Gründen.

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Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (16) – Los geht’s, Genosse Schachgroßmeister

Oder wie ich lernte, mir keine Sorgen mehr über Putins Bombe zu machen

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/bring-it-on-comrade-chess-grandmaster

Ich bin leider spät dran, der Originalbeitrag wurde am 28.05.2023 veröffentlicht.

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Los geht's, Genosse Schachgroßmeister

Pro-russischer Edgelord besorgt über die mysteriöse "Eskalation" (aus Ilia Ponomarenko twitter) Übersetzung: "Also du muss über die Aussage von Kreml wissen, dass wenn es etwas in der Art eines terroristischen Angriff geben wird, die werden die Handschuhen ausziehen und das nicht für das Fernsehen.". Antwort: "Heiliger Strohsack, werden sie uns jetzt überfallen, oder was?"

Eine der beliebtesten Figuren in der russischen Populärkultur ist Ostap Bender, ein außergewöhnlicher Betrüger, geschaffen von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow. Er findet immer eine einfache Möglichkeit, Geld zu verdienen, schafft es aber irgendwie nie, es zu behalten.

In einer Szene stellt er sich einer Gruppe naiver Amateurspieler aus einer Kleinstadt als Schachgroßmeister vor - und lädt sie zu einem Simultanturnier ein (gegen eine geringe Gebühr). Natürlich kennt er kaum die grundlegenden Regeln, und so beginnt er sehr schnell, alle Simultanpartien zu verlieren.

Als Betrüger behält er ein ernstes Gesicht, während er Bauern und Figuren verliert. Die einheimischen Spieler halten dem Druck nicht stand. Sie vermuten, dass der Großmeister sie in eine furchtbare Falle lockt, und geben lieber sofort auf, als das Spiel eskalieren zu lassen.

Doch dann kommt der unvermeidliche Moment. "Schach und Matt... Ich habe Ihnen Schach und Matt gegeben, Genosse Großmeister!" - flüstert ein Spieler verblüfft. Ostap Bender erkennt, dass dies der Moment ist, das Geld zu nehmen und zu fliehen - und macht sich auf den Weg!

Andrey Mironov als „die Kanone“ Ostap Bender im russischen Kino (1976)

Ich muss an diese Szene denken, wenn ich lese, dass westliche Analysten sich Sorgen über die „Eskalation“ des Krieges in der Ukraine machen. Oder von der Phantomarmee Russlands aus 700.000 Soldaten träumen, die auf den Kampf warten („sie haben noch nicht angefangen“!). Oder die Warnung, dass die jüngste Entwicklung für Russland ein „Handschuh-Ausziehen“-Moment sein wird und dass es „zurückschlagen“ wird.

In den ersten Tagen der Invasion verlor Russland seine Elite-Fallschirmjägereinheiten während des gescheiterten Versuchs, Kiew einzunehmen; es verlor seine Elite-Speznaseneinheit während des gescheiterten Versuchs, Charkiw einzunehmen; Sie verloren ihren einzigen Schwarzmeerkreuzer bei dem gescheiterten Versuch, die Seeherrschaft zu errichten. Sie haben ihre bestausgebildeten Piloten während des gescheiterten Versuchs, die Luftüberlegenheit zu errichten, verloren – und doch glauben einige Leute im Westen, dass dies alles nach einem „Masterplan“ verläuft, der brillanten 5D-Schachstrategie des Genossen Großmeister Putin.

Solowjew und sein Gast waren besorgt, dass wir keine Angst vor ihrer Erpressung haben. „Verstehen Amerikaner, dass es in einem Nuklearkrieg enden könnte? Lesen sie überhaupt Dmitri Medwedew“? Das tun wir, Genosse. Für die Lacher (aus TheKremlinYap)

Ich betone "einige Leute im Westen", weil dies in Russland nicht mehr der Fall ist. Ich sehe mir russische Fernsehsendungen an, die von Solowiow, Skabejewa, Mardan und Norkin moderiert werden. Ich lese russische Telegram-Kanäle. Ja, offiziell behaupten sie immer noch, an den Sieg zu glauben, aber sie glauben nicht mehr an irgendetwas von dem oben genannten. Sie wiederholen immer wieder: "Wir müssen gewinnen", aber sie wissen nicht wie, und sie fragen sich gegenseitig nach Ideen.

Die jüngsten Angriffe der russischen Separatisten in der Volksrepublik Belgorod lösten in den russischen Medien echte Panik aus. "Was können wir tun, um das zu verhindern?" - fragten sie ihre üblichen Experten (pensionierte oder aktive Militärkommandeure).

"Nichts, wirklich" - antwortete Alexander Chodakowski, Kommandeur des in der Nähe von Wuhledar stationierten Wostok-Bataillons (im Januar sollten sie Wuhledar innerhalb von 24 Stunden einnehmen - zumindest nach Ansicht der pro-russischen westlichen "Analysten"). "Die einzige praktikable Lösung besteht darin, eine durchgehende Frontlinie zu bilden, und dafür haben wir nicht genügend Ressourcen".

"Was können wir also tun, um die Menschen, die in der Nähe der Grenze leben, zu beruhigen?" - fragte Skabajewa erstaunt. "Meine Absicht ist es nicht, etwas Beruhigendes zu sagen, sondern das Problem zu umreißen", antwortete er. Einige Experten schlugen vor, "territoriale Verteidigungseinheiten" zu bilden - die Tatsache, dass Russland sie nie hatte, ist ein Beweis dafür, dass es sich nie wirklich von der NATO oder der Ukraine "bedroht" gefühlt hat - aber selbst dafür gibt es nicht genug Ressourcen.

Der Gesichtsausdruck von Skabajewa ist tausend Rubel wert! (oder, wie wir in Europa sagen, zehn Euro) - via TheKremlinYap

Falls jemand, der noch an die russische Macht glaubt, dies liest: Ich bitte dich, mir diese Frage zu beantworten. Wenn sie nicht genug Personal, Waffen und Munition haben, um ihre eigene Grenze zu schützen - wie können sie dann noch eine "versteckte Armee" haben, die in der Lage ist, Cherson zurückzuerobern, geschweige denn Odessa und Kiew einzunehmen?

Wenn du Angst vor einer "Eskalation" hast, was meinst du dann in Wirklichkeit? Dass Russland wieder in die Ukraine einmarschieren wird? Noch mehr einmarschiert?

Wenn du glaubst, dass Russland die "Handschuhe ausziehen" wird (oder es bereits getan hat, wie offenbar jemand in diesem geistesgestörten Tweet behauptet), was bedeutet das genau? Dass sie etwas noch Grausameres tun werden als bisher?

Das letzte Mal, als russische Propagandisten (ich meine: Russisch-russisch, nicht "amerikanisch cosplaying russisch", Donbas-Devushka-Stil) irgendeine Hoffnung hatten, war letzten Herbst. Sie hofften, die ukrainische "kritische Infrastruktur" zu zerstören, so dass die Ukrainer in der Dunkelheit frieren und verhungern, die Züge nicht mehr fahren, so dass die Armee keinen Nachschub bekommt, und als Ergebnis werden sie Selenskyj zur Kapitulation zwingen oder ihn stürzen.

September 2022: Margarita Simonjan setzt große Hoffnungen in die "Zerstörung der kritischen Infrastruktur". Sie muss diese Erinnerungen in Ehren halten! (aus nitter.net)

Dies ist nie geschehen. Ja, die russischen Raketen- und Drohnenangriffe im Herbst und Winter haben viel Schaden und Leid verursacht, aber sie haben sich nie der Zerstörung kritischer Infrastruktur angenähert. Die Ukraine hat die Schäden in Echtzeit behoben und war schnell wieder in der Lage, Energie zu exportieren. Es gab zwar einige Stromausfälle, aber in einer russischen Stadt in Glubinka gibt es auch ohne Krieg Stromausfälle - in Tscheljabinsk nennt man das "Dienstag".

Jetzt ist das Thema "Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur" so gut wie vergessen. Als hätte es nie einen solchen Versuch gegeben, so wie es auch keinen Versuch gab, Kiew einzunehmen.

Einige Leute phantasierten jedoch, dass nach dem ukrainischen Schlag gegen den Kreml - symbolisch, aber spektakulär - "die rote Linie überschritten" wurde, so dass Russland mit der Zerstörung der "Entscheidungszentren" und der Ermordung von Selenskyj reagieren würde. Eine Zeit lang war die russische Propaganda voll von Kommentaren wie in dem unten stehenden Tweet: dass Selenskyj feige durch die Welt reist und Angst hat, nach Kiew zurückzukehren, weil ein russischer Vergeltungsschlag bevorsteht, während Putin sich tapfer in seinem Bunker versteckt.

Offenbar wird Russland nicht "die Handschuhe ausziehen", weil es dies bereits "nach dem Drohnenangriff auf den Kreml" getan hat. Es besteht also kein Grund zur Sorge über eine Eskalation. Was werden sie tun, die Handschuhe noch ein bisschen mehr ausziehen? (aus Nitter.net)

Wie kann man noch glauben, dass Russland in der Lage ist, "kritische Infrastruktur", "Entscheidungszentren" oder "Brücken über den Dnipro" zu zerstören ("Warum stehen die Brücken über den Dnipro noch?" ist eine Frage, die auch unter Russland-Russen häufig gestellt wird, aber sie finden keine bessere Antwort als "nach 15 Monaten haben wir immer noch nicht angefangen")?

Meine Antwort ist: Russische Raketen und iranische Drohnen sind dafür nicht geeignet. Das Beste, was sie tun können, ist, wahllos Zivilisten zu töten - wenn man 50 Drohnen auf eine 2-Millionen-Stadt abschießt, werden die meisten von ihnen in der Luft abgeschossen, aber zwei oder drei werden in einem bewohnten Gebiet explodieren und vermutlich eine ältere Frau und ihren Hund töten, mit dem sie spazieren ging. Das ist ein Kriegsverbrechen, aber es ändert nichts am Verlauf des Krieges.

Um eine Brücke, einen Tunnel, ein "Entscheidungszentrum" (usw.) zu zerstören, braucht man Präzisionswaffen. Die russische Militärtechnik ist dafür nicht geeignet.

Die Ukrainer, mit denen ich in Kontakt stehe, haben keine Angst mehr vor einer "Eskalation". Wenn sie hören, dass die Russen von "Vergeltung für das Überschreiten roter Linien" sprechen, reagieren sie mit "Los geht's". Sie haben das Gefühl, dass es für sie gar nicht mehr schlimmer werden kann.

Wenn wir im Westen von "Eskalation" sprechen, bedeutet das in der Regel, dass wir Angst vor russischen Atomwaffen haben. Lassen Sie mich Ihnen erklären, warum ich keine Angst habe, auch wenn russische Propagandisten häufig davon sprechen, auch mein Land mit Atomwaffen zu vernichten.

Würde Lawrow seine eigene Stieftochter mit Atomwaffen bombardieren? (aus AP und Instagram von Polina Kovaleva)

Erstens - um Sting zu zitieren: "Ich hoffe, die Russen lieben ihre Kinder". Die russische Führung hat ihren Geliebten und ihren (Stief-)Kindern das beste Geschenk für jeden Russen gemacht - Wohnungen in London, italienische Villen, Penthäuser in Manhattan, Yachten im Mittelmeer, Stipendien für amerikanische Universitäten usw.

Die goldenen Kinder des Kremls, die Geliebten und Kinder von Putin, Peskow, Lawrow, Solowjew (usw.) leben im Westen. Unter Umgehung der Sanktionen tun sie das immer noch. Russland wird London oder New York NICHT bombardieren, solange sich dort russische Eliten aufhalten.

Dies ist eine relativ neue Situation. Während des Zweiten Weltkriegs haben die Kinder von Göring oder Himmler nicht in Harvard studiert oder bei Harrods eingekauft. Während des Kalten Krieges prahlten die Mätressen von Stalin oder Breschnew nicht in Fotostrecken mit ihrem Urlaub an der Cote d'Azur. Die russischen Eliten haben sich - zu ihrem eigenen Schaden - zu sehr in die Welt des westlichen Luxus integriert. Sie können einfach nicht ohne ihre Guccis leben, nicht wahr?

Selbst wenn Putin eines Tages beschließt, die Sprengköpfe aufzurüsten, werden die Kreml-Eliten ihren Geliebten den Tipp geben, dass es im Westen nicht mehr sicher ist. Die erste Warnung wird ein plötzlicher Ansturm stark botoxbehandelter Frauen mit grotesk aufgeblähten Lippen sein, die ihre Louis Vuittons durch den Flughafen tragen und verzweifelt versuchen, in den gemütlichen Bunker ihres Sugar Daddys im Ural zu gelangen.

Solange wir das nicht sehen, weigere ich mich, die russische nukleare Erpressung als etwas anderes als leeres Geplapper zu betrachten. Sie werden ihre eigenen Leute nicht atomar vernichten.

Aber selbst wenn wir plötzlich feststellen sollten, dass es im Westen keine russischen Eliten mehr gibt, glaube ich immer noch nicht an eine russische Atombedrohung. Hier ist meine Argumentation.

Erstens: Der Westen hat ziemlich deutlich gemacht, dass wir nicht einmal einen "taktischen Schlag" zulassen werden. Eine Atombombe auf ein ukrainisches Ziel löst die volle Reaktion der NATO aus.

Wie gezeigt, ist Russland nicht in der Lage, seine eigenen Grenzen zu verteidigen. Im Falle eines offenen, groß angelegten Konflikts zwischen Russland und der NATO würden die NATO-Armeen ohne großen Widerstand auf das russische Festland vordringen. Statt "Kiew in 3 Tagen" werden wir "Königsberg in 3 Stunden" haben.

Aufgrund von Konstruktionsfehlern, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen, sind russische Flugzeuge nicht in der Lage, westliche Flugzeuge anzugreifen. Das letzte Mal, dass es einen gleichwertigen Luftkrieg gab, war in den 1960er Jahren, dem Jahrzehnt des Vietnamkriegs, der Psychodelia, der Beatlemania und der Mig-17.

Seitdem gab es einige Luftkämpfe zwischen westlichen und sowjetischen Flugzeugen (vor allem im Nahen Osten) und buchstäblich keinen einzigen Fall, in dem sowjetische Flugzeuge oder sowjetische Flakbatterien einen Erfolg erzielten. Auf dem Papier können die Mig-29 oder die Su-27 bessere Parameter haben als ihre westlichen Gegenstücke, aber in der Realität zählt nur die Flugzeugelektronik.

Die sowjetischen Konstrukteure fetischisierten den Nahkampf, während der Westen auf den Fernkampf setzte. Daher würde ein hypothetischer Kampf F-16 gegen Su-27 wie die Szene aus "Jäger des verlorenen Schatzes" aussehen, in der Indiana Jones auf einen erfahrenen Schwertkämpfer trifft. Alle seine Fähigkeiten sind nutzlos, wenn Indy einfach seine Waffe abfeuert.

Duell Mig-29 gegen F-16 - aus "Raiders of the Lost Ark"

Wenn Sie mir hier nicht zustimmen, höre ich mir gerne Ihre Widerlegung an. Ich gehe davon aus, dass die NATO in einem "umfassenden Krieg zwischen der NATO und Russland" gleich am ersten Tag die absolute Luftüberlegenheit über dem russischen Festland erlangen und die meisten russischen Flugzeuge zerstören wird, bevor sie überhaupt in der Luft sind. Und dann - jedes beliebige Ziel nach Belieben bombardieren, so wie es in allen früheren "NATO-irgendwas"-Konflikten geschehen ist.

"Russische Atomwaffen" werden durch konventionelle Waffen vernichtet, bevor sie scharf gemacht, geschweige denn gestartet werden können. Russische U-Boote werden von NATO-Satelliten in Echtzeit verfolgt, und ich glaube nicht, dass sie eine hohe Überlebensrate haben werden. Ich gehe sogar davon aus, dass die Überlebensrate nach der ersten Stunde eines "Krieges in vollem Umfang" bei 0 % liegt.

Natürlich ist dies nur eine Sesselanalyse (obwohl ich mich hier auf das beziehe, was ich anderswo gelesen habe). Wenn jemand sagt: "Es ist besser, das Risiko zu vermeiden", stimme ich ihm zu.

Sich einer Erpressung zu beugen, ist jedoch keine gute langfristige Strategie, um das Risiko zu vermeiden. Im Grunde genommen garantiert man sich selbst, dass diese Erpressung in naher Zukunft wieder stattfinden wird - in der Regel wird die nächste Version noch schlimmer sein.

Wenn sich der Westen jetzt der Erpressung "Gebt uns die Ukraine oder wir bombardieren euch" beugt, werden wir bald hören "Gebt uns Finnland oder wir bombardieren euch", "Gebt uns Taiwan oder wir bombardieren euch" usw.

Wo wird es aufhören? "Gebt uns Alaska oder wir bombardieren euch?". Jedes Mal, wenn man auf die Forderungen des Erpressers eingeht, wird es schwieriger, einen anderen Erpresser abzuschütteln. Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, wenn Sie sagen: "Vermeiden wir das Risiko", aber ich bin der festen Überzeugung, dass die Kapitulation vor Erpressung das Risiko auf lange Sicht sogar noch erhöht.

Die Menschen in Kiew haben keine Angst vor einer "Eskalation" durch Putin. Die Menschen in Warschau haben keine Angst vor Putins "Eskalation". Warum leben die Menschen, die sich darüber Sorgen machen, meist in New York oder London, in unmittelbarer Nähe von Polina Oligarchowa und Iwan Kleptokratow?

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Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (15) – Rassismus in Russland

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/racism-in-russia

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Rassismus in Russland

Sie hassen ihre "Schwarzen" mehr als sie Ukrainer hassen

Wie du vielleicht bemerkt hast, lese ich viele russische Quellen, denn selbst wenn ich deren Standpunkt ablehne, möchte ich ihn verstehen. Das ist wohl das genaue Gegenteil von dem, was Noam Chomsky tut.

Es gibt ein Thema, das von russischen Bloggern sehr lebhaft diskutiert wird und im Westen kaum Beachtung findet. Bevor ich es näher beschreibe, eine kurze Einführung und etwas Kontext.

Russland wird manchmal als ein Land ohne Sklaverei und ohne Rassismus wahrgenommen. Für diesen Irrtum gibt es zwei Gründe.

Erstens: Rassismus wird im Westen weithin als etwas angesehen, für das man sich schämen muss. Selbst der Typ mit der Flagge der Konföderierten auf seinem Autoaufkleber wird etwas sagen wie "Rassist? ICH? Wie kannst du es wagen, mir Rassismus vorzuwerfen?".

Gleichzeitig wird der russische Rassist das einfach so hinnehmen. "Natürlich bin ich rassistisch, und du solltest es auch sein".

Takier Karlsonow demonstriert seine unfassbare Unfähigkeit, sich selbst im Spiegel zu betrachten - aus Fox News

Zweitens: Russland hatte nie Kolonien in Afrika, so dass die afro-russische Minderheit zahlenmäßig gering ist. Dennoch gibt es sie, und deren Verfolgung ist erstaunlich ähnlich. In der Sowjetunion gab es Lynchmorde mit dem typischen KKK-Szenario: Die örtlichen Schläger wollten nicht, dass afrikanische Studenten mit weißen Mädchen ausgehen, also mussten sie ihm "eine Lektion erteilen".

Sklaverei hat es in Russland jedoch schon immer gegeben, und sie existiert bis heute, obwohl sie auf der rassistischen Ausbeutung anderer Ethnien beruhte (und noch immer beruht). Russland hat nicht massenhaft Sklaven aus Afrika importiert, nur weil es sie aus Asien holt. Das tut es immer noch.

Noch heute sind es die Sklaven, die Befestigungsanlagen errichten, um die ukrainische Gegenoffensive zu stoppen. Die Sklaven sind meist tadschikischer Abstammung, und sobald sie in die von Russland besetzten Gebieten ausgeliefert werden, gibt es für sie kein Entrinnen mehr.

Die "Annexionen" vom September fanden nur auf dem Papier statt. Sie können die russisch-ukrainische Grenze im Donbas oder auf der Krim nicht ohne Passkontrolle passieren.

Wenn dein Arbeitgeber dir den Pass abgenommen hat oder du gar keinen Pass hast, weil du ein "Illegaler" bist, dann bist du der Gnade deines Arbeitgebers ausgeliefert. In der Gesetzlosigkeit der "neuen Gebiete" kann er dich buchstäblich umbringen und ungeschoren davonkommen.

"Azamat, Migrant aus Kirgistan" bittet um Hilfe - er wurde von seinem Arbeitgeber nach Luhansk zwangsumgesiedelt. "Die Gesetze der Russischen Föderation funktionieren dort nicht", heißt es in der Überschrift (es ist ein Zitat aus dem Videointerview mit Azamat). Aus Radio Ozodi.

Nach dem, was ich in den russischen Blogs sehe, ist die tadschikische Minderheit die am meisten gehasste. Schon lange vor diesem Krieg bildeten russische Neonazi-Skinheads Selbstjustizbanden, um "die Tadschiken in Schach zu halten" (so wie es jeder Ku-Klux-Klan-Mitglied ausgedrückt hätte).

Auch wenn Tadschiken keine Afrikaner sind (sie sind persischer Herkunft), ist die Sprache des russischen Rassismus der der westlichen Rechtsextremen erstaunlich ähnlich. Sie bezeichnen ihre Minderheiten sogar als "schwarz" - oder, genauer gesagt, als "schwarzärschig" ("chernozhopy").

Kürzlich kam es in Tscheljabinsk zu Zusammenstößen zwischen russischen Skinheads und tadschikischen Selbstverteidigungs-Jugendbanden. Das örtliche Gericht entschied, dass die Schuld allein bei den Russen liege.

Ein Westler könnte dies als einen Punkt des Stolzes für Russland interpretieren: "Es gibt noch Richter in Tscheljabinsk!". Aber die russischen Blogger, denen ich folge, wie z. B. ein gewisser Andrej Medwedew, deuten dies als "Leute, wir verlieren die Kontrolle über Tscheljabinsk!".

Andrej Medwedew verteidigt die "Skinheads" von Tscheljabinsk. Kannst du dieses Wort auf Kyrillisch lesen? Es heißt eigentlich "skinhedow". Klingt wie ein falscher russischer Name, ist aber Akkusativ Plural. Aufgrund der Deklination kann man in den slawischen Sprachen ein "Skinhead" sein, aber wenn man ihn verhaftet, verhaftet man "skinheada", wenn es mehr von ihnen gibt, verhaftet man "skinheadow", man erhebt Anklage gegen Dativ "skinheadowi" (oder Plural: "skinheadom").

Wenn man russische Blogger liest, könnte man meinen, sie hätten mehr Angst vor Tadschiken als vor Ukrainern. Der Krieg hat auf paradoxe Weise dazu beigetragen.

Die Mobilisierung verursachte einen massiven Mangel an Arbeitskräften in der Wirtschaft. Arbeitsfähige Männer starben entweder im Krieg oder flohen aus dem Land.

Dies zwang Russland, das Verfahren zur Erlangung russischer Pässe zu vereinfachen. Doch wer profitierte am meisten davon? Tadschikische Illegale!

Die drei wichtigsten Herkunftsländer für neue russische Staatsbürgerschaften sind Tadschikistan, die Ukraine und Armenien - behauptet Milbloger Michman Ptichkin

"Michman Ptichkin", ein weiterer Milblogger, verkündet die alarmierende Nachricht: "70 Prozent der neuen Staatsbürgerschaften im ersten Quartal 2023 gingen an Nicht-Slawen!".

Zur Erleichterung der russischen Blogger gingen die Bundesbehörden auf einem Marktplatz in Tscheljabinsk gegen tadschikische Händler vor und verhafteten viele von ihnen. Nochmals: Es wird nicht einmal angedeutet, dass diese Händler sich etwas anderes zuschulden kommen ließen, als nur Tadschiken zu sein.

Für die russischen Blogger ist das Grund genug, sich zu freuen. "Endlich zeigen wir ihnen, wo sie hingehören!".

Razzien gegen Tadschiken in Tscheljabinsk - aus TG-Kanal von Andrei Medwedew

Obwohl der Krieg diesen Hass zu verstärken scheint, hat er schon vor langer Zeit begonnen. Wie das gesamte Phänomen des russischen Rassismus und Nationalsozialismus lässt es sich bis in die Sowjetzeit zurückverfolgen.

Eine der wichtigsten Heldenfiguren der heutigen russischen Nazis ist Maxim Martsinkewitsch. Er begann in den späten 1990er Jahren Tadschiken anzugreifen.

Verurteilt wegen Mordes aus Hass, starb er 2020 im Gefängnis von Tscheljabinsk. Seine Beerdigung war eine Massenkundgebung der russischen extremen Rechten.

Vor diesem Hintergrund möchte ich nun auf eine bestimmte Telegram-Meldung eingehen, die du meine Ansicht nach kennen solltest. Sie erschien auf einem relativ unbedeutenden Kanal namens "Golos Velikorusa" ("Die Stimme eines russischen Imperialisten"), wurde aber von bekannteren Personen weiterverbreitet.

Ich werde meine gekürzte Zusammenfassung präsentieren (mit wichtigen Screenshots, falls du dein Russisch auffrischen wolltest):

Man muss bedenken, dass unsere Einwanderer anders sind als die in Europa. Die Migranten in Europa gehen dorthin, um Sozialhilfe zu erlangen, und ihre optimale Strategie besteht darin, ruhiger als Wasser, tiefer als Gras zu sein und für das bessere Leben ihrer Kinder dankbar zu sein. Wenn sie sich unordentlich benehmen, dann nur aus Hooligan-Motiven.

Unsere Einwanderer sind anders. Sie kommen nicht wegen der Sozialhilfe hierher, die gibt es nicht. Sie kommen, um zu arbeiten, aber so einfach ist das nicht. Es ist fast unmöglich, auf der Straße Arbeit zu finden.

"Gewalt ist ihre Norm", sagt Golos Velikorusa

Infolgedessen ist jeder Migrant in Russland stark von seiner Diaspora abhängig. Clan-Solidarität in Verbindung mit ethnischer Gewalt ist die einzige Möglichkeit, hier zu überleben. Für sie ist es normal, diese Methoden bei ihren Geschäften anzuwenden. Migrantengewalt ist systemisch, aber wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.

Wie geht es weiter? Wir werden von ehemaligen Komsomolzen ("postsowjetische Liberale mit blutendem Herzen") regiert, die immer noch an den Internationalismus glauben. Sie waren zu weich gegenüber der Ukraine, sie glaubten an die Minsker Vereinbarungen und weigern sich bis heute, ihre Naivität einzugestehen.

"Wir werden von ehemaligen Komsomolzen regiert", beklagt Golos Velikorusa

Die Migranten sind die einzige organisierte Struktur, die in der Lage ist, die russischen Städte ernsthaft zu destabilisieren. Alles, was der Westen jetzt braucht, sind Menschen, die ihre Sprache sprechen. Wenn sich die Migrantenunruhen ausbreiten, werden wir überschwemmt werden. Und die ehemaligen Komsomolzen werden sich im Fernsehen hilflos fragen, was passiert ist".

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich NICHT die "Stimme von Velikorus" wiedergebe, weil ich seine Ideologie unterstütze. Ich denke nur, dass dies der Teil der russischen Realität ist, der den meisten Menschen im Westen nicht bewusst ist.

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Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (14) – Der Mythos vom „Völkermord in Donbass“

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-myth-of-the-genocide-in-donbas

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Der Mythos vom "Völkermord in Donbass"

Mit einer Portion "ukrainischer Biolabore"!

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Ein zufälliges Ergebnis der Suche nach „Genozid im Donbas“ auf Facebook. Übersetzung:
"Über 14.000 Zivilisten russischer Abstammung wurden im Donbass von von den USA ausgebildeten Soldaten getötet..."

Wahrscheinlich bist du dieser Person mindestens einmal im Internet begegnet - jemanden, der wirklich davon überzeugt ist, dass die Ukraine seit 2014 im Donbass einen Völkermord begeht und 14 000 russischsprachige Bürgerinnen und Bürger tötete. Der oben abgebildete Screenshot ist ein Beispiel für eine solche Behauptung.

Wenn du diese Person wieder triffst, tue mir bitte einen Gefallen: Frage sie nach der Quelle für diese Informationen.

Natürlich weiß ich, und du weißt es auch, dass solche Personen die westlich-imperialistische Vorstellung von "Quellen" ablehnen. Normalerweise schreckt sie diese Frage einfach ab, und die einzige Antwort, die du erhältst ist, dass du geblockt wirst. Aber vielleicht hast du mehr Glück als ich?

Diese Propaganda-Behauptung ist zu absurd, um für innenpolitische Zwecke verwendet zu werden. Russische Medien sagen es nicht auf Russisch, aber sie behaupten es in westlichen Sprachen - dieser spezielle Screenshot stammt aus einem Propagandakanal, der eindeutig für Afrika bestimmt ist.

Mit gesundem Menschenverstand ist das aber nicht zu erklären. War es ein einziges Massaker mit 14.000 Toten? Dann sollte es ein konkretes Datum und einen konkreten Ort haben, richtig? Wann und wo genau ist es denn passiert?

Oder waren es vielleicht - sagen wir - 7 Massaker pro 2k? Oder vielleicht töteten die berühmten ukrainischen Nazi-Todesschwadronen 5 Menschen pro Tag? Okay, okay, aber wo sind die Gräber? Wo sind die Beweise, die das belegen?

Da es unmöglich ist, eine Antwort auf diese Frage zu finden, gehe ich davon aus, dass die Zahl von "14000 Opfern" einfach dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen-Bericht von Anfang 2022 entnommen wurde, der unten zitiert wird. Die zwei Zahlen sind doch sehr ähnlich, oder?

Ein Ausschnitt aus dem UN-Bericht zum Krieg in der Ukraine 2014–2022

Aber die Sache ist die: Es handelt sich NICHT um die Zahl der Opfer der mythischen "ukrainischen Nazis". Es ist die Gesamtzahl der Opfer auf BEIDEN Seiten des Konflikts.

Soldaten beider Seiten machen den Großteil dieser Zahl aus. Es handelt sich um etwa 4400 ukrainische Soldaten und 6500 der "bewaffneten Gruppen" (wie der Bericht treffend die von Russland geführten Paramilitärs beschreibt, die 2014 in die Ukraine einmarschierten und sich als "lokale Separatisten" ausgaben).

Etwa 3400 sind Zivilisten. Wiederum: auf BEIDEN SEITEN. Diese Zahl schließt 298 Opfer des zivilen Passagierflugzeugs MH-17 ein, das von den russisch geführten Paramilitärs abgeschossen wurde. Igor Girkin (geboren in Moskau, wohnhaft in Moskau, der als "Anführer der Donbass-Separatisten" fungierte) ist eine der drei Personen, die in Abwesenheit für dieses Kriegsverbrechen verurteilt wurden.

Übrigens: Die Grafik zeigt, dass die meisten Opfer in den ersten beiden Jahren des Krieges zu beklagen waren. Nach 2018 war der Konflikt nicht mehr so intensiv, sondern beschränkte sich auf Gegenbatteriefeuerduelle (die russischen Propagandisten bezeichnen diese Duelle als "ukrainischen Beschuss im Donbass", so als ob die Russen aus irgendeinem Grund nicht geschossen hätten). Dies zeigt einmal mehr, wie falsch es ist, zu glauben, dass "Russland keine andere Möglichkeit hatte, als einzumarschieren, um das Massaker an 25 Soldaten pro Jahr auf beiden Seiten zu beenden".

Ähnlich wie bei den "ukrainischen Biolaboren" nimmt diese Propaganda-Behauptung einige echte Informationen ("14000 Opfer der russischen Invasion") und verdreht sie in "14000 Opfer des ukrainischen Völkermords". Für Unwissende oder böswillige Personen wie Elon Musk oder Aaron Mate ist das ein gefundenes Fressen.

Glenn Greenwald regt sich über den Biolabor-Nothingburger auf (aus seinem Twitter-Profil). Übersetzung: "Die Ukraine verfüge über "biologische Forschungseinrichtungen", sagte Unterstaatssekretärin Victoria Nuland auf die Frage von Senator Rubio, ob die Ukraine über biologische oder chemische Waffen verfüge, und äußerte die Befürchtung, dass Russland in den Besitz dieser gelangen könnte. Aber sie sagt, sie sei sich zu 100% sicher, dass ein biologischer Angriff von Russland ausginge."

Ähnlich wurde mit den berühmten "ukrainischen Biolabore" verfahren. Jedes Land hat biologische Labore. Sogar in der Grundschule, in der ich vor Jahren meinen Abschluss gemacht habe, gab es eines.

"Oh nein, wir meinen nicht diese Art von Biolaboren, wir meinen das, in dem die bösen Wissenschaftler biologische Waffen entwickeln, während sie diabolisch lachen!" - Ja, OK, aber wo sind die Beweise für DIESE Art von Biolaboren in der Ukraine? Wieder - nirgends.

"Aber Victoria Nuland hat zugegeben...". Was zugegeben? Die Existenz von Laboren in der Ukraine? Natürlich gibt es sie. Die gibt es in jedem Land.

Dass sie gefährliches Material enthalten? Natürlich enthalten sie gefährliche Stoffe. Obwohl ich persönlich eher zu den Chemielabors tendieren würde - selbst in einem durchschnittlichen Chemielabor in der Schule gibt es wirklich gefährliche Sachen (du willst nicht mit dem Chlorwasserstoffgas herumspielen, Junge).

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Meine Ergänzung: Ich hatte auch Diskussionen mit Russlandverstehern über die "ukrainischen Biolabore". Deren Behauptung war, es gebe zehntausende von durchgesickerten ukrainischen Dokumenten die beweisen, dass die Ukrainer an biologischen Waffen gearbeitet hätten, diese Arbeit von USA beauftragt würde, und alle diese Dokumente seien im Internet zu sehen. Einen Link dazu konnte ich aber nicht bekommen.

Dann suchte ich selber danach, und alles was ich von diesen "zehntausenden" finden konnte, war etwa 20 Dokumente auf Englisch und Ukrainisch. Die kamen wirklich aus einem zur Armee gehörendem Institut, und betrafen meistens klinische Versuche. Die Leiter und Probanden waren Soldaten. Es ging um ein Präparat, das du dir selber legal kaufen kannst -  kolloidale Fullerene C60. Ein richtiger Grund für den Krieg, oder?

Falls du einen Link zu gefährlicheren ukrainischen Dokumenten hast, schick mir ihn bitte, ich lese die gerne. Aber ich glaube nicht, dass die russische Propaganda hier Recht hat - die sagen nur ausnahmsweise Wahrheit (oder wenn sie sich versprechen). 

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Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (13) – Plädoyer für eine stärkere NATO

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-case-for-stronger-nato

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Plädoyer für eine stärkere NATO

Warum sind die östlichen Länder die proatlantischsten in Europa?

In meinem letzten Beitrag erwähnte ich beiläufig das schlimmste geopolitische Alptraumszenario für die "kleinen Länder" Osteuropas. Es handelt sich um ein Bündnis ähnlich dem Molotow-Ribbentrop-Pakt von 1939 oder dem Wiener Kongress von 1815, bei dem die europäischen Großmächte (insbesondere Deutschland und Russland) gemeinsam beschlossen, dass die "kleinen Länder" nicht existieren und von ihren größeren Nachbarn aufgeteilt/aufgelöst/marionettiert werden sollten.

"Oh Mist! Wir haben den Balkan vergessen…", ein BBC-Sketch aus der Serie "A Bit of Fry and Laurie", in dem das frühe Europa nach dem Kalten Krieg auf die Schippe genommen wird (vorgeblich der Westfälische Vertrag)

In dieser Notiz gehe ich von der Annahme aus, dass die "kleinen Länder" besser dran sind, wenn sie unabhängig sind. Einige Leute werden anderer Meinung sein - so wie heute einige behaupten, dass die Ukraine besser dran wäre, wenn sie von Russland annektiert würde ("da sie die gleiche Sprache sprechen" usw.).

Einige Leute behaupteten auch, dass der Kolonialismus eine gute Sache sei, weil all diese undankbaren Eingeborenen unter der Herrschaft der Weißen besser dran seien. Erstaunlicherweise handelt es sich oft um die gleichen Leute, die der „Schule der Realpolitik“ angehören.

Eine ausführliche Debatte über dieses Argument würde zu weit vom Thema dieser Notiz abschweifen (falls gewünscht, kann ich sie in Zukunft erweitern). Heute sage ich einfach "Schwachsinn" zu all den Mearsheimers und Kissingers dieser Welt und mache weiter.

Lassen Sie mich mit der offensichtlichen, aber häufig vergessenen Tatsache beginnen, dass die NATO auf den Schutz kleiner Länder ausgerichtet ist. Sie können bei wichtigen Entscheidungen ein Veto einlegen – und obwohl Ungarn dieses Recht offensichtlich missbraucht, bin ich immer noch froh, dass sie es haben.

Sowohl die NATO als auch die Europäische Union (damals: nur Gemeinschaft) wurden weitgehend von Politikern aus kleinen Ländern entworfen. Der Belgier Paul-Henri Spaak kann als einer der Gründerväter sowohl der NATO als auch der EU (EG) angesehen werden.

Der derzeitige NATO-Generalsekretär stammt aus Norwegen. Der vorherige kam aus Dänemark. Petr Pavel, der Präsident von Tschechien, machte seine Karriere in der Politik über seine Führungsposition in der NATO. Ich denke, ich brauche keine weiteren Beispiele, um zu zeigen, dass die NATO im Allgemeinen ein guter Ort für kleine Länder ist – wir können die Entscheidungen nuklearer Supermächte, unserer Verbündeten, ablehnen oder überstimmen, unsere Stimmen werden gehört und häufig mit „Jawohl!“ beantwortet.

Das ist einzigartig. Mir fallen einige ähnliche Militärbündnisse im Mittelalter oder in der Antike ein, aber nicht in der Neuzeit ("neuzeitlich" im Sinne von: seit dem Westfälischen Frieden von 1648, es ist also eine ziemlich großzügige Definition von Neuzeit).

Ein typisches modernes Militärbündnis besteht entweder aus einem hegemonialen Staat, der von seinen Klienten-/Marionetten-/Vasallenstaaten begleitet wird (z.B. Warschauer Pakt), oder es ist eine Vereinigung von Hegemonen, die untereinander entscheiden, wie sie andere Nationen aufteilen, kolonisieren und beherrschen. Ein typisches Beispiel ist die „Pentarchie“, die sich aus der „Heiligen Allianz“ entwickelt hat, die ich im vorherigen Beitrag erwähnt habe – europäische Supermächte, teilten Asien, Afrika, der Karibik, aber auch Osteuropa fröhlich unter sich auf und zogen die neuen Grenzen, ohne sich die Mühe zu machen, die Einheimischen zu fragen, was sie davon halten.

Nun, zumindest seit den Zeiten Karls des Großen, hat es in Europa IMMER irgendein System von Bündnissen gegeben, vom mittelalterlichen Universalismus der „Res Publica Christiana“ bis zur Gegenwart. Angenommen, wir lösen die NATO morgen auf - ETWAS muss sie ersetzen, sonst werden wir einen Krieg aller gegen alle haben (wie es in Europa mehr als einmal passiert ist).

Aus der Sicht eines kleinen Landes (einige polnische Autoren betonen gerne, dass wir eigentlich als „mittelgroß“ gelten, aber ich denke, je weiter man mit der Größe ins Detail geht, desto peinlicher wird es) stellt sich die Frage: wird das neues ETWAS gleich gut für uns sein? Welche Garantie haben wir, dass das neue Bündnissystem Europas nicht wie die traditionelle „Pentarchie“ aussehen wird?

Die „großen Länder“ tendieren immer dazu. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war es der amerikanische Präsident (Franklin D. Roosevelt), der die Idee von „vier Polizisten“ als Garantie für zukünftigen Frieden propagierte. Mit vielen Modifikationen (die ursprünglichen vier wurden mit Frankreich erweitert) wurde es schließlich in den UN-Sicherheitsrat eingebettet.

Was wir „westlichen Verrat“ oder „Jalta-Verrat“ nennen, war eigentlich eine jahrhundertealte Tradition der „großen Länder“, die uns – die kleinen Länder – untereinander austauschten. Die vier (fünf) Polizisten einigten sich untereinander darauf, dass wir (die kleinen Länder Osteuropas) gezwungen werden, dem von Sowjetunion dominierten „Hegemonbündnis“ beizutreten. Niemand hat uns gefragt, ob es uns gefällt oder nicht.

Aus Facebook-Fanpage "In Ukraine"

Wir sehen die NATO als das Einzige, was uns davor bewahren kann, dass so etwas noch einmal passiert. In der NATO haben wir zumindest eine Stimme.

Das „neue Bündnis“ müsste sich stark an die NATO anlehnen, weil die NATO viel in Sachen Standardisierung und Vereinheitlichung erreicht hat. Es gibt immer eine klare Befehls- und Kommunikationskette.

In der Geschichte der Militärbündnisse war dies immer ein ernstes Problem. Sowohl die Kriegsanstrengungen der Achsenmächte als auch der Alliierten litten stark unter dem Mangel an gegenseitigem Vertrauen und Kommunikation – Mussolini und Hitler waren nicht in der Lage und/oder nicht bereit, ihre Bemühungen zu koordinieren. Auf Seiten der alliierten war es vielleicht etwas besser, aber die Rivalität zwischen Montgomery und Eisenhower behinderte auch den Feldzug an der Westfront.

Die „neue Allianz“ müsste diese ganze Arbeit entweder wegschmeißen – und das wäre einfach eine riesige Ressourcenverschwendung. Oder sie würde NATO-Standards, NATO-Handbücher, NATO-Munition, von der NATO geschultes Personal, NATO-Gebäuden und natürlich das berühmte „Whisky-Tango-Foxtrott“-NATO-Schreibsystem verwenden. Wir würden am Ende eine umbenannte NATO haben, mit einem neuen Logo und neuem Briefpapier. Wieso sich dann die Mühe machen?

Ein Ausschnitt von Noam Chomsky (aus Truthout) (Übersetzung: "Irgendwie habe ich die Rufe der Linken nach einer Wiederbelebung des Warschauer Pakts vermisst, als die USA in den Irak und nach Afghanistan einmarschierten und auch Serbien und Libyen angriffen - natürlich immer mit Vorwänden").

Von all den dummen Dingen, die Noam Chomsky jemals über die NATO gesagt hat, ist das oben zitierte  das dümmste (aus seinem Interview mit C.J. Polychroniou vom Februar 2023). Auch wenn er sarkastisch sein sollte, ist allein die Vorstellung, dass „die Linke die Wiederbelebung des Warschauer Paktes fordern solle“, einfach verrückt.

Erstens ist es in Warschau nicht willkommen. Polen war nämlich das erste Land, das sich VOM Warschauer Pakt emanzipierte. Dieser Name ist so dumm wie „Jerusalemer Vereinigung der Bauchspeckliebhaber“. Ehemalige Länder des Warschauer Pakts sind mehr pro-NATO als die alten NATO-Länder.

Wenn Chomsky „die Notwendigkeit einer Anti-NATO“ meint, dann existiert sie natürlich. Sie heißt OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) und besteht aus Russland und fünf weiteren Ländern, die Russland zum Beitritt gezwungen hat: Armenien, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan.

Dies ist die typische „Hegemon-Staat“-Allianz, die ich zuvor erwähnt habe. So war auch der Warschauer Pakt. Russland scheint nicht in der Lage zu sein, andere Arten von Allianzen zu bilden (die Zeit wird es zeigen, wie immer, aber ich glaube nicht, dass BRICS mehr als ein Debattierklub sein wird).

Niemand tritt dem „Hegemon“-Bündnis freiwillig bei. Man tritt ein, wenn man zu schwach ist, um es abzulehnen (und dann sucht man nach der ersten Gelegenheit, sich zu befreien). Kasachstan und Armenien versuchen bereits, sich zu emanzipieren und sehen die Chance darin, dass die Kräfte des Hegemons im ukrainischen Sumpf feststecken.

Chomsky scheint nicht zu wissen, das es die OVKS überhaupt gibt, und das kann man ihm verzeihen. Im Gegensatz zur NATO ist sie einfach eine Verlängerung der russischen Politik. OVKS ist seltsamerweise nicht nur im Ukrainekrieg, sondern auch in den jüngsten Konflikten zwischen Armenien und Aserbaidschan oder Kirgisistan und Tadschikistan abwesend.

The Ghost Writer – ein Thriller von Roman Polanski aus dem Jahr 2010 (basierend auf dem Roman von Richard Harris aus dem Jahr 2007), in dem der britische Premierminister vom IStGH wegen der kriminellen Invasion des Irak angeklagt wird. Leider war es nur politische Fiktion.

Menschen, die sagen, dass sie „Anti-NATO“ sind, erwähnen gewöhnlich Kriegsverbrechen, die von bestimmten NATO-Staaten begangen wurden. Ich persönlich halte die Invasionen im Irak und in Afghanistan für kriminell dumm und bedauere zutiefst, dass der Internationale Strafgerichtshof George W. Bush und Tony Blair nicht angeklagt hat. Damit wurde Putin ermutigt.

Aber „ist George W. Bush ein Kriegsverbrecher?“ ist eine GANZ ANDERE FRAGE als „ist eine stärkere NATO gut für Polen, Belgien, Finnland, Rumänien usw.“. Ich glaube nicht, dass die erste Frage für die zweite überhaupt relevant ist.

Ich bin nicht immer mit der Politik aller einzelnen NATO-Staaten einverstanden. Ich bin oft nicht mit der amerikanischen Politik einverstanden, ich bin oft nicht mit der französischen Politik einverstanden, ich bin oft nicht mit der türkischen Politik einverstanden, ich bin ganz sicher nicht mit der ungarischen Politik einverstanden. Ich bin oft nicht mit meiner eigenen Regierung einverstanden (und ich genieße es irgendwie, dass ich nicht in Russland lebe und das tun darf).

Aber ich sage nicht, dass "USA" für „United States of Angels“ steht. Alles, was ich sage ist: Warschau ist in der NATO besser aufgehoben als in der Neutralität – geschweige denn in einem neuen „Warschauer Pakt“ mit Russland.

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