Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (13) – Plädoyer für eine stärkere NATO

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-case-for-stronger-nato

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Plädoyer für eine stärkere NATO

Warum sind die östlichen Länder die proatlantischsten in Europa?

In meinem letzten Beitrag erwähnte ich beiläufig das schlimmste geopolitische Alptraumszenario für die "kleinen Länder" Osteuropas. Es handelt sich um ein Bündnis ähnlich dem Molotow-Ribbentrop-Pakt von 1939 oder dem Wiener Kongress von 1815, bei dem die europäischen Großmächte (insbesondere Deutschland und Russland) gemeinsam beschlossen, dass die "kleinen Länder" nicht existieren und von ihren größeren Nachbarn aufgeteilt/aufgelöst/marionettiert werden sollten.

"Oh Mist! Wir haben den Balkan vergessen…", ein BBC-Sketch aus der Serie "A Bit of Fry and Laurie", in dem das frühe Europa nach dem Kalten Krieg auf die Schippe genommen wird (vorgeblich der Westfälische Vertrag)

In dieser Notiz gehe ich von der Annahme aus, dass die "kleinen Länder" besser dran sind, wenn sie unabhängig sind. Einige Leute werden anderer Meinung sein - so wie heute einige behaupten, dass die Ukraine besser dran wäre, wenn sie von Russland annektiert würde ("da sie die gleiche Sprache sprechen" usw.).

Einige Leute behaupteten auch, dass der Kolonialismus eine gute Sache sei, weil all diese undankbaren Eingeborenen unter der Herrschaft der Weißen besser dran seien. Erstaunlicherweise handelt es sich oft um die gleichen Leute, die der „Schule der Realpolitik“ angehören.

Eine ausführliche Debatte über dieses Argument würde zu weit vom Thema dieser Notiz abschweifen (falls gewünscht, kann ich sie in Zukunft erweitern). Heute sage ich einfach "Schwachsinn" zu all den Mearsheimers und Kissingers dieser Welt und mache weiter.

Lassen Sie mich mit der offensichtlichen, aber häufig vergessenen Tatsache beginnen, dass die NATO auf den Schutz kleiner Länder ausgerichtet ist. Sie können bei wichtigen Entscheidungen ein Veto einlegen – und obwohl Ungarn dieses Recht offensichtlich missbraucht, bin ich immer noch froh, dass sie es haben.

Sowohl die NATO als auch die Europäische Union (damals: nur Gemeinschaft) wurden weitgehend von Politikern aus kleinen Ländern entworfen. Der Belgier Paul-Henri Spaak kann als einer der Gründerväter sowohl der NATO als auch der EU (EG) angesehen werden.

Der derzeitige NATO-Generalsekretär stammt aus Norwegen. Der vorherige kam aus Dänemark. Petr Pavel, der Präsident von Tschechien, machte seine Karriere in der Politik über seine Führungsposition in der NATO. Ich denke, ich brauche keine weiteren Beispiele, um zu zeigen, dass die NATO im Allgemeinen ein guter Ort für kleine Länder ist – wir können die Entscheidungen nuklearer Supermächte, unserer Verbündeten, ablehnen oder überstimmen, unsere Stimmen werden gehört und häufig mit „Jawohl!“ beantwortet.

Das ist einzigartig. Mir fallen einige ähnliche Militärbündnisse im Mittelalter oder in der Antike ein, aber nicht in der Neuzeit ("neuzeitlich" im Sinne von: seit dem Westfälischen Frieden von 1648, es ist also eine ziemlich großzügige Definition von Neuzeit).

Ein typisches modernes Militärbündnis besteht entweder aus einem hegemonialen Staat, der von seinen Klienten-/Marionetten-/Vasallenstaaten begleitet wird (z.B. Warschauer Pakt), oder es ist eine Vereinigung von Hegemonen, die untereinander entscheiden, wie sie andere Nationen aufteilen, kolonisieren und beherrschen. Ein typisches Beispiel ist die „Pentarchie“, die sich aus der „Heiligen Allianz“ entwickelt hat, die ich im vorherigen Beitrag erwähnt habe – europäische Supermächte, teilten Asien, Afrika, der Karibik, aber auch Osteuropa fröhlich unter sich auf und zogen die neuen Grenzen, ohne sich die Mühe zu machen, die Einheimischen zu fragen, was sie davon halten.

Nun, zumindest seit den Zeiten Karls des Großen, hat es in Europa IMMER irgendein System von Bündnissen gegeben, vom mittelalterlichen Universalismus der „Res Publica Christiana“ bis zur Gegenwart. Angenommen, wir lösen die NATO morgen auf - ETWAS muss sie ersetzen, sonst werden wir einen Krieg aller gegen alle haben (wie es in Europa mehr als einmal passiert ist).

Aus der Sicht eines kleinen Landes (einige polnische Autoren betonen gerne, dass wir eigentlich als „mittelgroß“ gelten, aber ich denke, je weiter man mit der Größe ins Detail geht, desto peinlicher wird es) stallt sich die Frage: wird das neues ETWAS gleich gut für uns sein? Welche Garantie haben wir, dass das neue Bündnissystem Europas nicht wie die traditionelle „Pentarchie“ aussehen wird?

Die „großen Länder“ tendieren immer dazu. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war es der amerikanische Präsident (Franklin D. Roosevelt), der die Idee von „vier Polizisten“ als Garantie für zukünftigen Frieden propagierte. Mit vielen Modifikationen (die ursprünglichen vier wurden mit Frankreich erweitert) wurde es schließlich in den UN-Sicherheitsrat eingebettet.

Was wir „westlichen Verrat“ oder „Jalta-Verrat“ nennen, war eigentlich eine jahrhundertealte Tradition der „großen Länder“, die uns – die kleinen Länder – untereinander austauschten. Die vier (fünf) Polizisten einigten sich untereinander darauf, dass wir (die kleinen Länder Osteuropas) gezwungen werden, dem von Sowjetunion dominierten „Hegemonbündnis“ beizutreten. Niemand hat uns gefragt, ob es uns gefällt oder nicht.

Aus Facebook-Fanpage "In Ukraine"

Wir sehen die NATO als das Einzige, was uns davor bewahren kann, dass so etwas noch einmal passiert. In der NATO haben wir zumindest eine Stimme.

Das „neue Bündnis“ müsste sich stark an die NATO anlehnen, weil die NATO viel in Sachen Standardisierung und Vereinheitlichung erreicht hat. Es gibt immer eine klare Befehls- und Kommunikationskette.

In der Geschichte der Militärbündnisse war dies immer ein ernstes Problem. Sowohl die Kriegsanstrengungen der Achsenmächte als auch der Alliierten litten stark unter dem Mangel an gegenseitigem Vertrauen und Kommunikation – Mussolini und Hitler waren nicht in der Lage und/oder nicht bereit, ihre Bemühungen zu koordinieren. Auf Seiten der alliierten war es vielleicht etwas besser, aber die Rivalität zwischen Montgomery und Eisenhower behinderte auch den Feldzug an der Westfront.

Die „neue Allianz“ müsste diese ganze Arbeit entweder wegschmeißen – und das wäre einfach eine riesige Ressourcenverschwendung. Oder sie würde NATO-Standards, NATO-Handbücher, NATO-Munition, von der NATO geschultes Personal, NATO-Gebäuden und natürlich das berühmte „Whisky-Tango-Foxtrott“-NATO-Schreibsystem verwenden. Wir würden am Ende eine umbenannte NATO haben, mit einem neuen Logo und neuem Briefpapier. Wieso sich dann die Mühe machen?

Ein Ausschnitt von Noam Chomsky (aus Truthout) (Übersetzung: "Irgendwie habe ich die Rufe der Linken nach einer Wiederbelebung des Warschauer Pakts vermisst, als die USA in den Irak und nach Afghanistan einmarschierten und auch Serbien und Libyen angriffen - natürlich immer mit Vorwänden").

Von all den dummen Dingen, die Noam Chomsky jemals über die NATO gesagt hat, ist das oben zitierte  das dümmste (aus seinem Interview mit C.J. Polychroniou vom Februar 2023). Auch wenn er sarkastisch sein sollte, ist allein die Vorstellung, dass „die Linke die Wiederbelebung des Warschauer Paktes fordern solle“, einfach verrückt.

Erstens ist es in Warschau nicht willkommen. Polen war nämlich das erste Land, das sich VOM Warschauer Pakt emanzipierte. Dieser Name ist so dumm wie „Jerusalemer Vereinigung der Bauchspeckliebhaber“. Ehemalige Länder des Warschauer Pakts sind mehr pro-NATO als die alten NATO-Länder.

Wenn Chomsky „die Notwendigkeit einer Anti-NATO“ meint, dann existiert sie natürlich. Sie heißt OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) und besteht aus Russland und fünf weiteren Ländern, die Russland zum Beitritt gezwungen hat: Armenien, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan.

Dies ist die typische „Hegemon-Staat“-Allianz, die ich zuvor erwähnt habe. So war auch der Warschauer Pakt. Russland scheint nicht in der Lage zu sein, andere Arten von Allianzen zu bilden (die Zeit wird es zeigen, wie immer, aber ich glaube nicht, dass BRICS mehr als ein Debattierklub sein wird).

Niemand tritt dem „Hegemon“-Bündnis freiwillig bei. Man tritt ein, wenn man zu schwach ist, um es abzulehnen (und dann sucht man nach der ersten Gelegenheit, sich zu befreien). Kasachstan und Armenien versuchen bereits, sich zu emanzipieren und sehen die Chance darin, dass die Kräfte des Hegemons im ukrainischen Sumpf feststecken.

Chomsky scheint nicht zu wissen, das es die OVKS überhaupt gibt, und das kann man ihm verzeihen. Im Gegensatz zur NATO ist sie einfach eine Verlängerung der russischen Politik. OVKS ist seltsamerweise nicht nur im Ukrainekrieg, sondern auch in den jüngsten Konflikten zwischen Armenien und Aserbaidschan oder Kirgisistan und Tadschikistan abwesend.

The Ghost Writer – ein Thriller von Roman Polanski aus dem Jahr 2010 (basierend auf dem Roman von Richard Harris aus dem Jahr 2007), in dem der britische Premierminister vom IStGH wegen der kriminellen Invasion des Irak angeklagt wird. Leider war es nur politische Fiktion.

Menschen, die sagen, dass sie „Anti-NATO“ sind, erwähnen gewöhnlich Kriegsverbrechen, die von bestimmten NATO-Staaten begangen wurden. Ich persönlich halte die Invasionen im Irak und in Afghanistan für kriminell dumm und bedauere zutiefst, dass der Internationale Strafgerichtshof George W. Bush und Tony Blair nicht angeklagt hat. Damit wurde Putin ermutigt.

Aber „ist George W. Bush ein Kriegsverbrecher?“ ist eine GANZ ANDERE FRAGE als „ist eine stärkere NATO gut für Polen, Belgien, Finnland, Rumänien usw.“. Ich glaube nicht, dass die erste Frage für die zweite überhaupt relevant ist.

Ich bin nicht immer mit der Politik aller einzelnen NATO-Staaten einverstanden. Ich bin oft nicht mit der amerikanischen Politik einverstanden, ich bin oft nicht mit der französischen Politik einverstanden, ich bin oft nicht mit der türkischen Politik einverstanden, ich bin ganz sicher nicht mit der ungarischen Politik einverstanden. Ich bin oft nicht mit meiner eigenen Regierung einverstanden (und ich genieße es irgendwie, dass ich nicht in Russland lebe und das tun darf).

Aber ich sage nicht, dass "USA" für „United States of Angels“ steht. Alles, was ich sage ist: Warschau ist in der NATO besser aufgehoben als in der Neutralität – geschweige denn in einem neuen „Warschauer Pakt“ mit Russland.

------------------- Ende des Gastbeitrages ---------

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