Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (19) – Es ist nicht leicht, ein Teufel zu sein.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch):   https://eastsplaining.substack.com/p/hard-to-be-a-devil

Hier bin ich auch spät dran, beim Girkin hat sich inzwischen auch einiges geändert. Aber diesen Beitrag übersetze ich besonders gerne, weil ich anderer Meinung als der Autor bin. Wir haben diese Meinungsunterschiede schon unter dem Originalbeitrag diskutiert, hier begründe ich meinen Standpunkt unten.

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Es ist nicht leicht, ein Teufel zu sein.

Igor Girkin kommentiert die Folgen des Putsches

Der pro-russische russische Blogger Romanow gibt nur ein einziges Kommentarwort ab: „Offizielle Fotos von RIA Novosti. Die Gesichter…“ (aus Telegram).

Der heutige Substack besteht fast ausschließlich aus einer Übersetzung von Igor Girkins Telegrammkommentar zum Treffen von Putin und der Kremlspitze nach dem gescheiterten Putsch. Girkin ist zwar ein gesuchter Kriegsverbrecher, der in Den Haag in Abwesenheit für seine Beteiligung am Abschuss des Malaysian-Airlines-Flugs 17 verurteilt wurde, doch kann ich ihm literarisches Talent nicht absprechen. Und ich möchte meine Leser einfach darüber informieren, wie Russen die jüngsten Ereignisse in Russland wahrnehmen.

Ein Wort zum Kontext: Sein Kommentar ist eine Pastische eines großartigen Romans der Gebrüder Strugazki, "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein". Ich empfehle ihn sehr. Westliche Leser könnten sich darüber beschweren, dass er von Ursula Le Guin abgeleitet ist, aber schauen Sie sich die Daten an, er wurde 1963 geschrieben. Le Guin veröffentlichte ihre "Rocannons Welt" nur drei Jahre später.

Strugazkis Roman handelt von menschlichen Beobachtern, die inkognito eine fremde, aber humanoide Zivilisation infiltrieren, die noch im Feudalismus feststeckt. Der Hauptprotagonist wird Zeuge von Blutvergießen, Verbrechen und Tyrannei, die er mit seiner überlegenen Technologie sofort stoppen könnte - aber er muss sich an die Regeln des Kontakts halten und den Rädern der Geschichte auf diesem Planeten erlauben, ihre blutige Arbeit zu tun. Reba, Vaga, Arkanar (usw.) sind Namen aus dem Buch.

1960-1964 war die Zeit des "Höhepunkts der Freiheit" in der sowjetischen Kultur. Sie endete ziemlich bald, aber sie brachte viele Meisterwerke hervor, die in anderen sowjetischen Ländern, insbesondere in Polen, verehrt wurden. Ich würde wagen zu sagen, dass dies die einzige Zeit war, in der wir anfingen, uns zu mögen.

Später stellten wir jedoch fest, dass russische Autoren, wenn sie über Tyrannen schreiben, dies nicht unbedingt tun, um die Tyrannei zu kritisieren. Manchmal geht es ihnen tatsächlich darum, dass dies historisch gesehen für das Allgemeinwohl notwendig war" (z. B. zahlreiche Darstellungen von Iwan dem Schrecklichen oder Peter dem Großen in der russischen Kultur). Dieses Thema wird in diesem Roman angesprochen, aber ich habe das Buch so verstanden, dass dies geschieht, um es zu entlarven. Aber ist das wirklich so, oder will ich das nur so sehen? Nun, man kann eine Doktorarbeit darüber schreiben. Irgendjemand hat das wahrscheinlich sowieso getan.

Wie Sie sehen können, ist Girkin ziemlich offen kritisch gegenüber Putin. Er hat ihn sogar zum Rücktritt aufgefordert. Wie kann er immer noch auf freiem Fuß sein, während einige Leute ins Gefängnis gehen, nur weil sie sagen "Cherson wurde verlassen", das ist mir unbegreiflich.

Da er ein ehemaliger FSB-Agent ist, denke ich einfach, dass er eine wirklich gute "Kryscha" hat. Und wahrscheinlich eine Art "Dead Man's Trigger", eine Sammlung von Kompromats ("kompromittierenter Materiale") bei diesem und jenem. Als Anführer der Donbass-Invasion 2014 weiß er wahrscheinlich eine Menge darüber, wer was gestohlen hat, wer wen getötet hat und wer genau in den Abschuss eines malaysischen Flugzeugs verwickelt war...

aus Strelkow Telegram Kanal

(Anmerkung cmos: Ich habe das Girkin/Strelkow Kommentar aus dem russischen Original direkt ins Deutsche übersetzt, die Quelle: https://t.me/strelkovii/5756)

Strelkow Igor Iwanowitsch
Nachahmung von Strugazki. "Es ist nicht leicht, ein Teufel zu sein."

Seine Majestät Reba der Erste blickte traurig auf die Mitglieder des Geheimenrates, die niedergeschlagen auf ihren Stühlen saßen... Es gab Gründe für Traurigkeit und Niedergeschlagenheit:
Nicht nur, dass der Krieg "schief gelaufen" war, sondern auch die kürzliche Meuterei des Lieblingskochs des Königs, auf den man so viel Hoffnung gesetzt hatte, der aber statt Dankbarkeit die Grauen Abteilungen erhoben hatte und auf dem Rückweg von der irukanischen Front beinahe nach Arkanar gestürmt wäre...

Jeder, auf den der Blick Seiner Majestät fiel, senkte den Blick und begann nervös rumzuzappeln.
Hier sitzt der Oberste Konstabl.... mit einem Gesicht wie ein Bratapfel. Einst vom Schicksal bei der Geburt angepisst, wurde er dadurch (als Ausgleich für seinen angeborenen Mangel an Intelligenz und seine unheilbare moralische Hässlichkeit) in die Höhen des vergangenen Königs (Pice der Sechste Ewige) erhoben, und noch mehr erhoben, nachdem die richtige Wahl getroffen wurde, als Reba der Erste an die Macht kam.

Er sitzt... so bescheiden... Anstelle einer glänzenden Uniform trägt er einen grauen Anzug, sogar seine Uhr (die einen halben Arkanar wert ist) hat er abgelegt. Während der Rebellion von Vaga dem Faulen konnte er überhaupt nichts tun. Sei es, weil die ganze Armee ihn für seine "alternativen Siege" in den östlichen Irukan-Ebenen hasst, oder weil er mitten in der Rebellion kneift, wegläuft und sich unter den Röcken seiner zahlreichen Stellvertreterinnen versteckt.

Und hier ist der Großinquisitor, der Donner der Dissidenten, Don Borton der Unsichtbare. Ein Gesicht so sauer wie eine Zitrone. Plötzlich stellte sich heraus, dass er in der Armee von Vaga dem Faulen nicht einen einzigen Agenten hatte, der in der Lage war, vor dem geplanten Komplott zu warnen. Oder hatte er es vielleicht doch getan, aber beschlossen, es nicht zu melden? Oder war er selbst in das Komplott verwickelt?

Majestät schaute nicht auf Don Sera Medwedgoldski, einen bekannten Lügner, Spaßvogel und Schwätzer, der im Geheimen Rat gehalten wurde, um sich vor der ewigen Kanzleilangeweile zu amüsieren. Bei ihm gab es nichts zu sehen. - Diese wertlose Kreatur kann nicht einmal konspirieren. Und die Konspiration zu verhindern noch weniger.

"Verlierer... nur Verlierer!" - Reba seufzte vor sich hin. Und wo andere finden? Don Ramsan der Bärtige, der Anführer der nördlichen Barbaren, hat viel versprochen, aber als es um die Erfüllung ging, hat er so lange gebraucht, um sich vorzubereiten, dass seine Garde erst am Ort der wahrscheinlichen Schlacht ankam, als alles schon vorbei war.

"Trudno byt' bogom", eine Verfilmung von Aleksej Juriewitch German aus dem Jahr 2013

Und das erbärmliche Geschwätz der Generäle? Don Sur von Vikinski, der Sieger von Cherson, war so erschüttert, als er die Armee zum Widerstand gegen die Rebellion aufforderte, dass buchstäblich niemand auf seine Worte hörte. Die versammelten Militärs interessierten sich vor allem dafür, ob Don Sur den Griff seines Schwertes, das er nervös um seine Pobacken drehte, in seinen Hintern stecken würde oder nicht.
Der große Saboteur Don Al Leksejew mit dem Spitznamen "Stepanytsch" war bereit, mit dem Koch zusammenzuarbeiten. Und der illustre General Don Ev Kurow konnte nicht mehr sprechen, als er von den grauen Jünglingen des Kochs umringt von Schwertern und Dolchen beraubt wurde.

Dennoch ist es ermutigend, dass sich keiner von DENEN als fähig erwies, etwas zu tun.
Selbst als König Reba der Erste selbst in einer Kutsche in Richtung der Zweiten Hauptstadt floh, wagte es niemand, die auf der Straße liegende Krone aufzuheben und den Thron zu besteigen....

Deshalb hielt Seine Majestät König Reba der Erste inne, holte Luft in seine gebrechlichen, senilen Lungen und sagte (weniger an den Geheimen Rat als an die gespannt lauschende Menge unter dem königlichen Balkon gerichtet):
"Gut gemacht, ihr alle! Ihr habt euch alle bestens bewährt!...."(Fortsetzung folgt).

------------------- Ende des Gastbeitrages ---------

Ich habe "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" schon Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre gelesen, noch unter dem Kommunismus. Ich finde das Buch ist sehr gut, ich habe es immer noch in meinem Bücherregal stehen. Aber schon damals habe ich das Buch ganz anders verstanden als der Autor dieses Beitrags. Nachdem der Artikel über Girkins Text erschienen war, habe ich das Buch noch einmal gelesen.  

Und ich fühlte mich in meinem ersten Eindruck bestätigt: Das Buch könnte eine Pflichtlektüre beim KGB/FSB und GRU sein. Der Hauptheld Anton (Deckname Don Rumata) und seine Kameraden sind Agenten aus der kommunistischen Erde (alle haben russische Namen). Sie gehören einer ziemlich KGB/FSB/GRU-ähnlichen Organisation an. Ihre Aufgabe ist es, die gesellschaftliche Entwicklung auf fremden Planeten unauffällig in die "richtige" (sprich: "kommunistische") Richtung zu lenken. Alles nach den festen, wissenschaftlichen Regeln des historischen Materialismus. 

Die Agenten haben zwar ihre Regeln der Nichteinmischung: vor allem dürfen sie niemanden töten (auch nicht in Notwehr, sie lernten Kampftechniken, mit denen sie sich verteidigen können, ohne töten zu müssen). Trotzdem verliert der Don Rumata die Kontrolle (wegen des Alkohols, obwohl er Medikamente nimmt, die ihn gegen Alkohol unempfindlich machen sollen). Im Buch wird nicht beschrieben, was genau er angestellt hat, aber seine einheimische Freundin ist sehr verängstigt. Anton ist als ein Adeliger in einer feudalen Gesellschaft getarnt, so darf er mit den Leuten aus den unteren Schichten alles machen ohne als ein Verbrecher verfolgt zu werden, aber auch für seine Vorgesetzten ist das kein Problem. Als später seine Freundin getötet wird, sieht er rot und richtet ein Blutbad an. Für seine "Firma" ist das nur insofern ein Problem, als das der ganze Einsatz auffliegen könnte. So wird er evakuiert (bitte bemerke den massiven Einsatz von Schlafgas, wie bei der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002). Er wird nicht bestraft, seine Kollegen befürchten eher, dass er nach dem Erlebten nicht mehr als ein Agent arbeiten kann.

All das bedeutet für mich, dass diese ganzen Regeln der Nichteinmischung nichts als Heuchelei sind. Ich glaube, der Girkin sieht sich als Don Rumata von Planet Donbass, der Vorreiter von dem "russki Mir" dort - es gibt Tausende von guten Büchern, er hat aber für seinen Kommentar den Stil von genau dieses Buches gewählt, und für mich ist er der Erzähler, Don Rumata selbst, in seinem Text. 

 

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