Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (21) – Der Verrat des Westens oder warum für Danzig sterben

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-western-betrayal-or-why-die-for

Ich war an dem Originalbeitrag auch beteiligt - der Autor fragte in seinem polnischsprachigen Blog nach Ideen für neue Beiträge, der Vorschlag Ukrainekrieg mit Anschluss des Sudetenlandes kam von mir

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Der Verrat des Westens oder warum für Danzig sterben

Liefert diesem Kerl einfach Donbas/Sudetenland, wenn er es so sehr will...

Ich schenke den pro-russischen Russen so viel Aufmerksamkeit, dass ich das Gefühl habe, ich vernachlässige die noch seltsamere Gruppe der pro-russischen Amerikaner. Aber ich lese sie auch - zum Beispiel Chris Hedges.

Zitat von Chris Hedges (aus ScheerPost)

Da er Geld von Russia Today angenommen hat, fällt es mir schwer zu glauben, dass er in gutem Glauben handelt. Aber nehmen wir mal an, dass er es tut, um Konversations willen.

Oben finden Sie ein Zitat aus seiner jüngsten pro-russischen Tirade. Was ich besonders interessant finde, ist sein Vergleich mit Vietnam und dem Irak.

In den ersten Tagen dieses Substacks schrieb ich einen Beitrag darüber, wie wichtig unsere Geschichte für uns in Osteuropa ist. Wir schenken dem, was mit "unserer" Nation im Mittelalter geschah, unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit, und ich bin der Erste, der mir zustimmt, dass dies wahrscheinlich zu weit geht, aber ich kann diesem Drang nicht widerstehen.

Was ich in diesem Zusammenhang interessant finde, ist, dass er - ob er in gutem Glauben handelt oder nicht - definitiv nicht weit genug geht. Er scheint sich nur an die historischen Ereignisse zu erinnern, die zu seinen Lebzeiten stattfanden. Er war 19, als der letzte Hubschrauber vom Dach der Botschaft in Saigon abhob.

Ich würde sagen, dass dies typisch für Westler ist, zumindest für Amerikaner. Wenn sie "historische Analogien" herstellen, beziehen sie sich gewöhnlich auf etwas, das vor 20, 30, bestenfalls 50 Jahren passiert ist.

Dieser Krieg wird von Menschen geführt, die einen breiteren historischen Kontext haben, und zwar auf BEIDEN Seiten. Das muss man einfach berücksichtigen, egal ob man "pro Putin" oder "pro NATO", "true neutral" oder "chaotic good" ist.

Wenn ich russische Blogs und Medien lese, sind sie voll von Analogien zum Zweiten Weltkrieg, manchmal vermischt mit Verweisen auf den russischen Bürgerkrieg von 1917-1923 und den Krimkrieg von 1853-1856. In all diesen Fällen war die Frage, "wie man von Cherson auf die Krim vorrückt" (oder umgekehrt), ebenfalls ein zentrales Thema.

Lassen Sie mich nur beim Zweiten Weltkrieg bleiben - trotz allem, was nach 1945 geschah, sehen wir ihn immer noch als das wichtigste Ereignis der jüngeren Geschichte an. Schließlich wurden unsere Grenzen größtenteils 1945 gezogen (mit kleinen Änderungen).

Man kann Osteuropa nicht verstehen, wenn man das nicht von vornherein weiß. Analogien zum Zweiten Weltkrieg sind überall zu finden, von der Politik bis zur Populärkultur. Selbst wenn unsere Autoren sich Fantasie-Nimmerländer oder galaktische Weltraumimperien ausdenken, ist der Hauptkonflikt in der Regel erstaunlich ähnlich wie "Achse gegen Alliierte gegen Komintern".

Yennefer von Vengerberg, Ihre osteuropäische Zauberin (Netflix-Werbespot)

Ein Beispiel dafür ist die "The Witcher"-Reihe. Der politische Hintergrund dieser Fantasy-Saga ist ein Krieg auf einem imaginären Kontinent, in dem das totalitäre Reich von Nilfgaard die "Königreiche des Nordens" erobern will.

Nilfgaard ist nicht in der Lage, dies allein durch militärische Macht zu erreichen, da die nördlichen Königreiche stärker sind. Auf dem Papier. Aber der gerissene Kaiser Emhyr hält die Könige des Nordens zum Narren, sät Unzufriedenheit unter ihnen und nimmt sie einfach einen nach dem anderen.

Die Netflix-Verfilmung hat gerade den Teil der Buchsaga erreicht, in dem die Magier des Kontinents, angeführt von der Zauberin Yennefer von Vengerberg, versuchen, ein Bündnis mit dem Norden zu schließen. Technisch gesehen ist das ein Spoiler, aber es sollte Sie nicht überraschen, dass dieser Versuch ein kolossaler Fehlschlag sein wird.

Dies ist eine sehr osteuropäische Geschichte. Während der Westen den Zweiten Weltkrieg als den Triumph der alliierten Demokratien im Kampf gegen das böse Dritte Reich sieht, sind unsere Erinnerungen anders. Wir erinnern uns, dass wir Hitler und Stalin in schrecklicher Einsamkeit gegenüberstanden.

So haben wir es in Polen in Erinnerung, aber nach den Büchern zu urteilen, die ich gelesen habe, gibt es eine ähnliche Stimmung in der tschechischen, rumänischen und sogar ungarischen Literatur (z. B. Sandor Marai). Das ist besonders überraschend, wenn man Memoiren aus Ländern liest, die den Pakt mit dem Teufel eingegangen sind und sich der Achse angeschlossen haben - damals wurde das nicht als etwas angesehen, worüber man sich freuen konnte, sondern als das kleinere Übel, das ohne den "westlichen Verrat" nicht nötig gewesen wäre.

Auch wenn wir hier alle etwas anders darüber denken, wird das Konzept des "westlichen Verrats" in jedem Land von Finnland bis Griechenland leicht zu verstehen sein. Ich möchte das folgende Meme als Beispiel für dieses Missverständnis verwenden.

"Schließt ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien - kämpft am Ende allein gegen Nazideutschland und der UdSSR"
Scheint selbstmörderisch zu sein… aber war es das? (vermutlich Public Domain)

Ja, warum hat sich Polen für ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien entschieden? Es macht Sinn, wenn man den breiteren Kontext der gesamten Zwischenkriegszeit betrachtet. Beginnen wir mit der Pariser Friedenskonferenz von 1919-1920, auf der die europäische Ordnung der Zwischenkriegszeit festgelegt wurde.

Als Ergebnis der Pariser Verträge entstanden zahlreiche neue Staaten auf der Landkarte, von Finnland bis Jugoslawien. Die meisten von ihnen entstanden aus ehemaligen deutschen, österreichisch-ungarischen oder russischen Gebieten und waren als solche unmittelbar durch den Revanchismus der Großmächte sowie durch den Nachbarn von nebenan (dem nächsten Berg) bedroht, da der Prozess der neuen Grenzziehung zu zahlreichen neuen Grenzkonflikten führte.

Die westlichen Diplomaten wussten das und richteten einen Mechanismus ein, von dem sie hofften, dass er stark genug sein würde, um den nächsten Krieg für immer zu verhindern. In Wirklichkeit hielt dieser Mechanismus nicht einmal 20 Jahre lang, aber wenn man sich Europa im Jahr 1930 anschaut, wirkt er immer noch ziemlich solide.

Europa als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenzen - George Bacon, Public Domain (aus Wikipedia)

Die neuen Länder bildeten ein Bündnis namens Kleine Entente - unter der Schirmherrschaft Frankreichs. Frankreich garantierte die Kleine Entente und ihre Mitglieder garantierten sich gegenseitig. Es war fast wie das Bündnis, das Yennefer von Vanderberg in der Witcher-Saga aufbauen wollte... aber es gab einen Haken. Oder vielleicht zwei.

Erstens: Zwei osteuropäische Länder hatten im Ersten Weltkrieg auf der falschen Seite gestanden und wurden dafür mit Sanktionen, Reparationen und ungünstigen Grenzänderungen bestraft. Es handelte sich um Bulgarien und Ungarn.

Beide Länder hielten diese Bestrafung für ungerechtfertigt. Was Ungarn betrifft, so trat es nicht freiwillig in den Ersten Weltkrieg ein. Als Juniorpartner in der österreichisch-ungarischen Union hatte es nichts zu sagen. Sie waren der Meinung, dass sie es nicht verdienten, wie die Schuldigen des Ersten Weltkriegs behandelt zu werden, sondern dass sie die Opfer waren, die zur Teilnahme gezwungen wurden.

Das Gleiche galt für die Bulgaren. Sie versuchten, neutral zu bleiben, aber beide Seiten (die Achsenmächte und die Alliierten) machten deutlich, dass sie die Neutralität nicht respektieren würden und Bulgarien von beiden Seiten zerschlagen würde, wenn es sich weigerte, sich einer der beiden Seiten anzuschließen. 1915 schlossen sie sich widerstrebend den Mittelmächten an, da die russischen Bedingungen für den Beitritt zur Entente mörderisch waren.

Schon zu Beginn der Zwischenkriegszeit gab es also zwei östliche Länder, die dieses System verachteten. Erschwerend kam hinzu, dass es Länder wie Polen oder Litauen gab, die im Allgemeinen mit dem Versailler Vertrag zufrieden waren, aber unglücklich über die Grenzen, die sie am Ende erhielten - Polen entriss Litauen Vilnius, während die Tschechoslowakei dies mit Olsagebiet tat.

Daher betrachteten sich Polen und die Tschechoslowakei gegenseitig als Feinde, so dass sie nicht gemeinsam in der Kleinen Entente sein konnten. Aber keine Sorge! Es gab Rumänien, das keinen Konflikt mit Polen hatte, also gab es einen separaten bilateralen Vertrag zum gegenseitigen Schutz.

Technisch gesehen müsste jemand, der die Tschechoslowakei angreiftin einen Krieg mit Rumänien geraten, das seinerseits seinen zuverlässigen Verbündeten Polen um Hilfe bitten konnte. Für all diese Länder bürgte Frankreich, das ein herzliches Bündnis mit Großbritannien unterhielt.

Wenn man sich also die Landkarte von Jahr 1936 ansieht, scheinen Hitler und Stalin Papiertiger zu sein. Sie können nichts tun, ohne einen umfassenden Krieg mit den Siegern des Ersten Weltkriegs, Großbritannien und Frankreich, und den kombinierten polnischen, tschechoslowakischen, jugoslawischen und rumänischen Armeen (die auf dem Papier ziemlich stark aussehen) auszulösen.

Als Hitlers Rhetorik immer kriegerischer wurde, begannen die Länder Osteuropas, ihre Grenzen zu befestigen. Die Tschechoslowakei errichtete ein Bunkersystem im Sudetenland, Rumänien schützte sich mit einer König-Michael-Linie vor Ungarn, Polen befestigte die deutsche Grenze und Frankreich schuf die weltberühmte Maginot-Linie.

Wenn es so gut war, wie konnte es dann so schief gehen? Warum kam es überhaupt zum Zweiten Weltkrieg?

Dieses felsenfeste System begann mit dem Anschluss Österreichs im März 1938 zusammenzubrechen. Dies war ein direkter Verstoß gegen die Pariser Friedensverträge, aber die Welt unternahm nichts. Immerhin sprachen sie dieselbe Sprache und schienen glücklich darüber zu sein (vielleicht mit Ausnahme der österreichischen Juden, aber man kann es schließlich nicht allen recht machen, oder?)

Nun begannen die Grenzen der Tschechoslowakei hoffnungslos auszusehen. Der bevölkerungsreichste und am weitesten entwickelte "Kopf" des Landes war von drei Seiten von Deutschland umgeben, und der weniger bevölkerte "Schwanz" war zwischen zwei feindlichen Ländern, Polen und Ungarn, eingeklemmt. Im Falle eines Krieges wäre es unmöglich, den Landkorridor nach Rumänien aufrechtzuerhalten.

Im September 1938 forderte Hitler das Sudetenland. Er sagte, er habe keine territorialen Ansprüche mehr in Europa, aber es sei seine Pflicht, die deutschsprachige Bevölkerung zu schützen.

In seiner berühmten Rede im Sportpalast am 26. September präsentierte sich Hitler als der größte Pazifist in Europa, der lediglich versucht, gerechte und faire Verträge mit seinen befreundeten Nachbarn zu schließen, während die englischen und französischen "Kriegstreiber" in Europa Krieg provozieren. Mit der Einnahme des Sudetenlandes stellte er jedoch sicher, dass es "zumindest in 10 Jahren" keinen Krieg geben wird.

Neville Chamberlain, Edouard Daladier, Adolf Hitler und Benito Mussolini versichern sich gegenseitig, dass es nur um die deutschsprachige Bevölkerung der Tschechoslowakei geht und um nichts anderes (Public Domain, Autor unbekannt)

Als die Tschechoslowakei "einwilligte", ihre befestigten Grenzgebiete aufzugeben, wurde sie natürlich praktisch entwaffnet. Im März 1939 nahm Hitler den Rest des Landes ein, und in einem Akt wahnsinniger politischer Kurzsichtigkeit schnappte sich Polen Olsagebiet zurück.

Doch nun verfügte Hitler über die Goldreserven der tschechoslowakischen Nationalbank, die industrielle Macht von Skoda und Zbrojovka Brünn und vor allem über die Panzer und Geschütze der einst mächtigen tschechoslowakischen Armee. Sie sollten bald zur Zerschlagung Polens und Frankreichs eingesetzt werden, das sie dem Feind auf dem Silbertablett servierte und damit sein eigenes Verderben beschleunigte.

Die polnischen Grenzen waren nun nicht mehr zu verteidigen. Trotzdem waren wir das erste Land, das "Nein" zu Hitler und Stalin gesagt hat. Dafür haben wir einen so schrecklichen Preis bezahlt, dass Rumänien, als es an der Reihe war, diesen Fehler nicht wiederholen wollte und seine befestigten Grenzgebiete einfach an Ungarn und die Sowjetunion abtrat. Nun waren sie hilflos und hatten keine andere Wahl, als sich der Achse anzuschließen, entweder auf die leichte oder auf die harte Tour.

Mitte 1941 waren alle osteuropäischen Länder entweder von Hitler oder Stalin annektiert oder bestenfalls vasalisiert. Und das Schrecklichste ist, dass sie uns einen nach dem anderen erobert haben, während wir hätten gewinnen können, wenn wir 1938 geschlossen aufgetreten wären.

Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass niemand jemals etwas aus der Geschichte gelernt hat, aber ich denke, der Krieg in der Ukraine beweist das Gegenteil. Jeder in Osteuropa erinnert sich daran, wie dumm es war, das Sudetenland an Hitler auszuliefern.

Wir wissen, dass eine Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen keine "10 Jahre Frieden" bringen wird. Im Gegenteil, es wird den nächsten Krieg unausweichlich machen.

Wir sehen keine Ähnlichkeit mit "Vietnam, Irak und Libyen", aber eine Menge Ähnlichkeiten mit dem Zusammenbruch der Pariser Friedensverträge 1938-1940. Wenn man sich die Argumentation von Chris Hedges genauer ansieht, spricht er ähnlich wie Hitler im Sportpalast. Er beschuldigt einige nicht näher definierte "Kriegszuhälter" oder "Kriegstreiber" im Westen, wobei er die Interessen der osteuropäischen Nationen völlig außer Acht lässt.

Alle osteuropäischen Länder (einschließlich Griechenland und Finnland!) haben ihre eigene Version des "westlichen Verrats". Aber irgendwann zwischen 1938 und 1941 wurden wir tatsächlich von den Menschen im Westen verraten, die sagten: "Warum für Österreich sterben, warum für das Sudetenland sterben, warum für Danzig sterben". Ziemlich bald mussten sie für London sterben, aber unter viel schlechteren Bedingungen.

Deshalb ist sich Osteuropa, bei allen internen Kämpfen und Unterschieden, in dieser Frage fast einig. Egal, ob man links oder rechts, progressiv oder konservativ, Pole, Litauer oder Rumäne ist, man weiß, dass Appeasement nicht funktioniert. Die jüngste Geschichte Ihres eigenen Landes ist der beste Beweis dafür.

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