Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (9) – Wer hat den Frieden getötet?

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/who-killed-peace

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Wer hat den Frieden getötet?

Was ist mit den russisch-ukrainischen Verhandlungen passiert?

Roger Waters teilt sein Expertenwissen mit Olga Selenska (na ja, was weiß sie schon? Sie ist nur eine Frau aus Osteuropa…). Aus rogerwaters.com

Ich nehme noch einmal Roger Waters als Beispiel für einen ahnungslosen Westler. Er ist ein feines Exemplar mit einer durchsuchbaren Datenbank von groben Fehlern, also warum weiter suchen?

Hier ist ein weiterer Mythos, den ich entlarven wollte. In Roger Waters’ eigenen Worten ist es der Mythos von Selenskyj, der sich offenbar weigert, mit Putin über Frieden zu verhandeln.

Das Friedensabkommen war im April so nah, und doch brach die Ukraine aus irgendeinem seltsamen Grund die Verhandlungen ab! Dies lag wahrscheinlich an Boris Johnsons Besuch in Kiew (Version A) oder an amerikanischem Druck (Version B - Waters scheint letzteres zu bevorzugen).

Konfrontieren wir diesen Mythos mit Fakten.

Aus dem Online-Archiv der „Prawda“

Oben findet man einen Ausschnitt aus der Website der russischen Zeitung „Prawda“. Es ist der erste Tag der Invasion.

Die Überschrift lautet: „Selenskyj: DER WESTEN VERRIET UND VERLIESS UKRAINE. WIR SIND BEREIT, MIT RUSSLAND ZU VERHANDELN. Präsident Wladimir Selenskyj machte den Westen dafür verantwortlich, dass er die Ukraine allein gegen Moskau gelassen habe, und erklärte heute, dass er keine Angst habe, über ein Ende der russischen "Invasion" zu verhandeln, aber er brauche Sicherheitsgarantien”.

Dies ist eine leicht verdrehte, aber nicht ganz unwahre Zusammenfassung einer der frühen Reden von Selenskyj. Im Westen erinnern wir uns hauptsächlich an die historischen Sätze wie „Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, ich brauche Munition“.

Einige Leute im Westen (Roger Waters zum Beispiel) vergaßen, dass der Westen Selenskyj in der Anfangsphase der Invasion lediglich politisches Asyl anbot. Lieferungen von offensiven Waffen gab es nicht. Deutschland hat bekanntlich/berüchtigt nur 5000 Helme geliefert, aber alles Tödliche wurde als „Überschreitung einer roten Linie“ angesehen und rundweg abgelehnt.

Viele westliche Politiker waren sich sicher, dass „Kiew in 3 Tagen fallen wird“, weil sie ihr ganzes Leben lang gehört haben, dass „Russen nicht verlieren können“. Sie hielten es ehrlich für sinnlos, Waffen an die Ukraine zu liefern, denn selbst wenn sie vor der Eroberung Kiews eintreffen, werden sie in russische Hände enden, wie in Afghanistan oder den Irak.

Dies ist ein weiteres Beispiel für etwas, das ich zuvor geschrieben habe: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der „Inlands“- und der „Export“-Version der russischen Propaganda. Sie widersprechen sich oft, so wie in diesem Fall.

Die „Export“-Version – entworfen, um Elon Musk und Noam Chomsky zu täuschen – ist fast unverändert: „Der Westen hat den Krieg provoziert, indem er die Ukraine durch Waffenlieferungen bewaffnet und Selenskyj verboten hat, über Friedens- und Sicherheitsgarantien für Russland zu sprechen“. Die „heimische“ Version im Februar 2022 lautete: „Der Westen hat die Ukraine verlassen, Selenskyj bittet um Friedensgespräche, aber wir sind nicht daran interessiert, mit ihm zu sprechen – wir werden in wenigen Tagen gewinnen“.

Am vierten Tag der Invasion musste sogar Putin widerwillig zugeben, dass er es nicht geschafft hatte, Kiew in drei Tagen einzunehmen. Der ursprüngliche Plan – wie wir aus erbeuteten russischen Dokumenten wissen – ging davon aus, dass die Spezialeinheiten und Fallschirmjäger in den ersten Stunden des Kampfes wichtige Infrastruktur sichern würden, damit die mechanisierte Infanterie, die auf dem Landweg eintrifft, das Gebiet einfach säubern würde.

Dies ist nicht geschehen. Speznas drang in einige Städte wie Charkiw ein, hauptsächlich um von irregulären Truppen getötet zu werden, die mit Jagdgewehren und Molotowcocktails bewaffnet waren. Luftlandetruppen wurden von MANPADs vom Himmel geschossen.

Die mechanisierte Infanterie war bereits durch Panzerabwehrraketen beschädigt, und als sie ankam, konnten sie die Spezialtruppen von der ukrainischen Belagerung befreien, aber sie waren nicht in der Lage, Kiew oder Charkiw tatsächlich zu belagern (geschweige denn das Gebiet zu erobern). Aber auf einer Karte schien es immer noch, dass der russische Sieg nur eine Frage von Tagen ist – russische Panzer waren nur wenige Kilometer von Selenskyjs Hauptquartier entfernt.

Also selbst wenn Putin bereit war zu reden, war seine Vorstellung von Frieden „bedingungslose Kapitulation“. Er weigerte sich, persönlich mit Selenskyj zu sprechen – sein Chefunterhändler entpuppte sich als ein gewisser Wladimir Medinski. Es ist in Ordnung, wenn dieser Name bei Ihnen nicht klingelt. Er ist Putins Adjutant von niedrigem Rang und es ist zweifelhaft, ob er überhaupt direkten Kontakt mit dem Tyrannen hat.

Ich denke, sogar Herr Roger Waters sollte dieses Grundprinzip verstehen: Wenn – sagen wir – eine Plattenfirma einen Praktikanten schickt, um den Vertrag zu „verhandeln“, wollen sie überhaupt nicht verhandeln. Dies ist ein „Nimm es oder lass es“-Deal.

Manchmal ist es einfach besser, es zu lassen. Während das Hauptziel der Ukraine bei den Verhandlungen ein Waffenstillstand war, forderte Medinskis Team die bedingungslose Kapitulation. Das war einfach unrealistisch: Zu keinem Zeitpunkt des Krieges war Russland siegreich genug, um dies zu fordern. Ja, sie hatten ihre Truppen in der Nähe von Kiew, aber sie konnten sich kaum behaupten, geschweige denn vorrücken.

Die Verhandlungen fanden zuerst in Weißrussland, dann online, dann in der Türkei statt. Sie haben nicht viel gebracht (mit Ausnahme einiger „Evakuierungskorridore“ für Zivilisten in belagerten Städten). Die Ukraine war bereit, über Neutralität zu diskutieren, aber ihre Hauptforderung war ein Waffenstillstand. Medinsky war nicht befugt, darüber zu diskutieren (oder – ehrlich gesagt – über so ziemlich alles Sinnvolle zu diskutieren).

„Medinski ist bei den Verhandlungen gescheitert. Die Ukraine feiert den Sieg, während Russland in Panik oder zumindest in Aufruhr ist“, erklärt Lyudmila Chertkova in „Prawda“ (aus dem Online-Archiv).

Ende März beschleunigten sich die Dinge plötzlich. Medinski sagte öffentlich, Russland sei bereit, einige Zugeständnisse zu machen – „kleine Schritte zur Deeskalation“. Dies wurde von den russischen Medien und russischen Politikern mit enormer Feindseligkeit aufgenommen.

Was für ein „Rückschritt“? Warum zurücktreten, wenn wir gewinnen? Zu diesem Zeitpunkt begann Russland jedoch, sich stillschweigend von seinen unhaltbarsten Positionen zurückzuziehen. Es war der allerletzte Moment, um zu sagen: „Ergibt euch, weil unsere Truppen in der Nähe eurer Hauptstadt sind“.

Aus dem Online-Archiv der „Prawda“

Einer der lautstärksten Kritiker von Medinski war Ramsan Kadyrow, der von Russland ernannte Marionettenführer des befriedeten Tschetscheniens. In der Schlagzeile der Prawda wird er mit den Worten zitiert: „Russland braucht keinen Rückzug!“. Damals war er damit beschäftigt, so zu tun, als sei er in die Ukraine gereist, um persönlich dafür zu sorgen, dass Russland schnell gewinnt.

Der Ton der russischen Propaganda wechselte zu dem Schlagwort „Sie haben nicht auf Medinski gehört, jetzt werden sie auf Kadyrow hören“. Im April glaubten die russischen Propagandisten noch an einen schnellen Sieg – Kadyrow wird ihn bringen, sobald er sein Gebet an einer Tankstelle beendet hat.

Ramsan Kadyrow gibt vor, in der Ukraine zu sein - er befindet sich aber auf einer Rosneft Tankstelle, und solche gibt es in der Ukraine nicht. (aus Twitter)

Der Rückzug aus Kiew führte zu der grausamen Enthüllung schrecklicher Kriegsverbrechen, die von Russen in den Vorstädten begangen wurden. Sie versuchten nicht einmal, ihre Spuren zu verwischen, weil sie sich niemals zurückziehen sollten. Selenskyj erklärte an dieser Stelle, er habe mit Kriegsverbrechern nichts zu besprechen.

Der Besuch von Boris Johnson in Kiew konnte die Dinge nicht schlimmer (oder besser) machen. Die Friedensgespräche waren bereits tot. Russland sagte: „Wir brauchen keine stinkenden Friedensgespräche, wir gewinnen“. Die Ukraine war wie „wir reden nicht mit Kriegsverbrechern“.

Im Gegensatz zu dem, was Roger Waters denkt, waren die westlichen Führer damit beschäftigt, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Es schien nur vernünftig, da keine Seite einen entscheidenden Sieg erringen konnte.

Putin erhielt zahlreiche Anrufe und Besuche von Macron, Scholz, Erdogan, Gutteres (UN-Generalsekretär), Nehammer (österreichischer Bundeskanzler) und anderen. Sie haben zu nichts geführt. Putin betonte dennoch, er erwarte von der Ukraine nichts als eine bedingungslose Kapitulation.

Im Mai zog Lawrow seinen „betrunkenen Onkel“-Stunt ab, indem er behauptete, „Hitler war jüdisch“. Das war ein echter Gesprächsstopper. Wie kann man damit verhandeln? Macron und Scholz versuchten es trotzdem, gaben aber schließlich auf.

Im September kündigte Russland die „Annexion“ der Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk an. Es war wahrscheinlich die erste „Annexion“ dieser Art in der Geschichte – ich kann mir kein anderes Land vorstellen, das Gebiete „annektiert“, ohne sie tatsächlich zu kontrollieren. Im Fall von Saporischschja kontrollierten sie nicht einmal die Stadt Saporischschja. Im Fall von Cherson gaben sie innerhalb von zwei Monaten auf und hinterließen Dutzende Plakate mit der Aufschrift „RUSSLAND IST HIER FÜR IMMER“.

“Russland ist hier für immer” Plakat in Kherson (aus ukraineworld.org)

Die aktuelle russische Verhandlungsposition ist, dass die „Annexionen“ respektiert werden müssen. Es bedeutet: Die Ukraine muss sich kampflos aus Cherson, Saporischschja, Kramatorsk usw. zurückziehen. Warum sollten sie das tun wollen?

Um das Blutvergießen zu stoppen? Aber können Sie sich vorstellen, dass die russische Armee OHNE Blutvergießen in Saporischschja oder Kramatorsk einmarschiert? Ich kann nicht. Sich der russischen Besatzung zu unterwerfen bringt keinen Frieden, es bringt Gemetzel, Raub, Vergewaltigung, Zwangsumsiedlungen und Völkermord.

Weitere Bedingungen sind die „Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine. Ersteres bedeutet „deine Armee auflösen“. Letzteres bedeutet „Ändere die Regierung zu derjenigen, die Russland gefällt“. Dazu müssten aber auch die freien Wahlen in der Ukraine abgeschafft werden - wegen des Krieges haben prorussische Politiker bei den Präsidentschaftswahlen etwa die gleiche Chance wie der sozialistische Kandidat für das Gouverneursamt von Texas.

Mein Lieblingsteil der russischen Propaganda ist, wenn der Propagandist von seiner Fantasie so weit mitgerissen wird, dass er sie mehrstimmig auslebt. In diesem Fall begann Sergey Mardan zu phantasieren, wie russische Diplomaten einen Diplomaten aus Lettland schlagen sollten. Mardan scheint zuzugeben, dass man mindestens drei Russen braucht, um einen Letten zu schlagen, und dann begann er zu spielen, wie sich diese Szene entwickeln würde. „Gefällt es dir nicht? Das bekommst du, wenn du Russland beleidigst!“. Genau wie die Eroberung von Kiew ist es natürlich nie wirklich passiert (über den Twitter-Account von Kremlin Yap).

Ich bin für Frieden. Aber nichts deutet darauf hin, dass Putin bereit ist, über einen Waffenstillstand zu diskutieren – oder seine unrealistischen Forderungen aufzugeben. Daran können auch keine geistesgestörten Tweets von Elon Musk, Telefonanrufe von Macron oder aus den Fugen geratene Äußerungen von Roger Waters etwas ändern.

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