Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (6) – Der Mythos des Donbass-Separatismus

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-myth-of-the-donbas-separatism

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Der Mythos des Donbass-Separatismus

"Cause I'm TNT, I'm dynamite. TNT, and I'll win the fight"[*]

In der alten Tradition der guten Debatte, wo man die These des Gegners zuerst zusammenfassen soll – um sicherzustellen, dass man sie richtig versteht – und versucht, sie anschließend zu widerlegen, werde ich mit der Zusammenfassung des „Separatismus-Mythos“ beginnen.

Die Menschen im Donbass wollten sich schon lange von der Ukraine abspalten. 2014 taten sie es, rebellierten und riefen ihre eigenen Republiken aus. Die Ukraine ist böse, weil sie sie nicht anerkannt hat und Russland jedes Recht hat, ihnen zu helfen.

Das Lustigste ist, dass dieser Mythos nur im Westen existiert. Es gibt einen großen Unterschied zwischen „Export“- und „Inlands“-Versionen der russischen Propaganda. Die "inländische" Version, wenn sie über den Krieg im Donbass (2014-2022) schreibt, versucht sie gar nicht zu verbergen, dass es eigentlich keine lokale Rebellion gegeben hat. Sie beschreiben es als eine Aktion einer paramilitärischen Gruppe, angeführt von Igor Girkin – einem Mann, der keine persönliche Verbindung zur Ukraine oder zum Donbass hat (er lebt in Moskau, wo er wahrscheinlich geboren wurde).

Girkin wurde von den russischen Geheimdiensten mit einer Gruppe Schläger in die Ukraine geschickt. Er griff die Regierungsgebäude in Slawjansk an, nahm die Angestellten als Geiseln und rief die separatistische Republik aus. Anschließend wurde er aus der Stadt vertrieben, aber als seine Bande Hilfe aus Russland erhielt, gelang es ihnen, eine Kontaktlinie aufzubauen, die bis 2022 ziemlich Bestand hatte (und bis heute in der Nähe von Donezk änderte sich nicht viel).

Wo sind also die lokalen Separatisten in dieser Erzählung? Nirgends. Sie haben einfach nie existiert (als politische Bewegung, nicht als Witz, wie amerikanische Studenten, die ihren Campus zu einem unabhängigen Staat erklären).

aus redbubble.com

Letzte Woche wurde in Luhansk unter düsteren Umständen ein gewisser Igor Manguschew getötet, eine Person, die selbst für russische Verhältnisse besonders widerlich ist. Anscheinend wurde ihm aus nächster Nähe in den Kopf geschossen, Hinrichtungsstil. Jemand hat ihn im Krankenhaus abgesetzt, wo er starb. Zum Zeitpunkt als ich es schreibe ist nichts Genaueres bekannt (aber das russische Internet ist voller Gerüchte).

Er erlangte internationale Berühmtheit, als er in der Anfangsphase der Invasion, als sie noch glaubten, sie würden gewinnen, während eines Rockkonzerts ein seltsames Stand-up vorführte und sich über den Schädel eines gefallenen ukrainischen Soldaten lustig machte (oder zumindest behauptete er, es solle einer sein - vielleicht hat er nur ein zufälliges Grab ausgeraubt).

aus youtube.com

Anscheinend war Manguschew der Drahtzieher hinter der Verwendung der Buchstaben Z, O und V als militärische Symbole der Invasion. Das beliebteste war das erste und wurde zum Symbol des russischen Imperialismus. Es war seine Idee, lateinische Buchstaben anstelle ihrer kyrillischen Entsprechungen zu verwenden, vielleicht weil er verstand, dass die russische Propaganda Menschen überzeugen soll, die kein Kyrillisch lesen.

Manguschew war wichtig genug, um eine Reihe berührender, persönlicher Nachrufe von Militärbloggern, offiziellen russischen Medien und Veteranen der vorherigen Invasion von 2014 zu inspirieren. Diese Nachrufe wurden natürlich in russischer Sprache für das russische Publikum verfasst. Überprüfen Sie das Zitat unten (aus einem Nachruf, der von Roman Saponkow geschrieben wurde).

aus Telegram-Kanal des @rsaponkov

Saponkow lobt Manguschew als jemanden, der die Umwandlung der mittelmäßigen Russischen Föderation in das Russische Reich, das wahre Russland, in Gang gebracht hat, so wie sie „für die gesamte Zeit ihres Bestehens“ sein sollte. Dieser einzelne Satz sollte all jenen Anstoß zum Nachdenken geben, die sich der Wahnvorstellung von Waters-Chomsky-Musk anschließen, dass „Putin ein rationaler, demokratischer Führer sei, der lediglich die verfolgte Bevölkerung des Donbass schützen wolle“.

An dieser Stelle stimme ich eigentlich mit Saponkow überein: In diesem Krieg geht es nicht um Donbass oder Schmonbass. Es geht um die Wiederherstellung des Zarenreiches.

Laut Saponkow war Manguschew die Schlüsselperson, warum die gesamte Donbass-Operation im Juli 2014 nicht zusammenbrach. Als Strelkow[**] (Girkin)-Truppen die Kontrolle über Slowjansk, ihre ursprüngliche Hauptstadt, verloren, rettete Manguschew sie mit seinen Vorräten. Ohne ihn wäre der „Russische Frühling“ (wie viele Russen die erste Invasion im März 2014 nennen) im „März 2014“ zu Ende gegangen.

Ich verstehe, dass dies ein Nachruf ist, daher werden die Verdienste der verstorbenen Person übertrieben, weil „de mortuis yadda yadda“, aber Saponkow es nicht vollständig erfunden haben kann. Schließlich haben andere Leute, die sich an diese Zeit erinnern, die mit Strelkow/Girkin in Slawiansk waren (wie Simon Pegow / WarGonzo), dies gelesen und mit Saponkow zusammengearbeitet. Girkin liest dies auch. Und seine Geschichte stimmt mehr oder weniger mit anderen Nachrufen für Manguschew überein. Also, lassen Sie mich wiederholen. Der ganze Separatismus wäre zu Ende gewesen, bevor er überhaupt begonnen hatte, wenn nicht ein in Moskau geborener Moskauer Manguschew wichtige Vorräte an einen in Moskau geborenen Moskauer Girkin geliefert hätte. Was ist das für ein Separatismus?

Natürlich, wenn ich sage „vor Girkins Invasion gab es keinen Separatismus“, bekomme ich einen vorhersehbaren Kommentar von einem vorhersehbaren Kommentator, der hastig irgendeinen Iwan Iwanowitsch Iwanow googeln würde, der auch ein Separatist war. Wenn man die Erwartungen niedrig genug setzt, findet man jemanden, der jede Nebensache unterstützt.

Auf meinen Reisen nach Amerika traf ich tatsächlich Leute, die scherzhaft von „Volksrepublik Berkeley“ sprachen oder sogar T-Shirts mit diesem Slogan trugen. Bedeutet das, dass es in Kalifornien einen Berkeley-Separatismus gibt?

Ich war noch nie in Montana, aber ich habe von rechtsextremen Milizlagern dort gehört. Und manchmal lehnen sie die Bundesregierung tatsächlich ab, und das ist kein Scherz. Aber bedeutet das trotzdem, dass der rechtsextreme Separatismus eine tatsächliche Kraft in der Politik von Montana ist – können sie ihre Repräsentanten, Senatoren, Sheriffs, Bürgermeister wählen? Schulbehörde vielleicht?

Ich würde ein Kriterium des gesunden Menschenverstands vorschlagen, dass, um von einer echten separatistischen Bewegung zu sprechen:

  • (a) es eine tatsächliche Organisation mit einem Namen und einer Struktur sein muss, wie Basque National Liberation Movement, Scottish National Party oder Corsica Libera
  • (b) Separatismus muss eines der vorrangigen politischen Ziele dieser Partei/Bewegung sein,
  • (c) sie sollte eine der wichtigsten Parteien in der Kommunalpolitik sein, Abgeordnete, Bürgermeister usw. wählen; oder - falls in einer Diktatur - in der Lage sein, eine Guerilla oder zumindest eine friedliche humanitäre Organisation zu gründen, die in der Lage ist, Lebensmittel und Kleidung zu sammeln (anscheinend brauchte Girkin Manguschew, um selbst die banalsten Vorräte zu beschaffen).

Ich bin offen für die Kriterien anderer Leute, aber wenn wir irgendeinen zufälligen Kerl akzeptieren, der schreit: „Ich hasse die Regierung, ich will mich abspalten“, werden wir die Welt voller Mikrostaaten finden, die sich abspalten wollen. Ich wette, jemand, der gerade in einem Pub in Birmingham sitzt, erklärt seinen Willen, sich von Großbritannien zu trennen. Prost, Kumpel!

Keine der oben genannten Bedingungen wurde im Donbass vor 2014 erfüllt. Die wichtigste „pro-russische“ Partei war die Partei der Regionen. Separatismus stand weder in ihrem politischen Programm noch in den anderen „pro-russischen“ Parteien, die vor 2014 aktiv waren.

Es gab Leute, die über Sezession diskutierten, aber sie bildeten nie eine Partei, die stark genug war, um ein ernstzunehmender Konkurrent in der lokalen Politik zu sein. Und schließlich: Es scheint, dass diese Leute nicht in der Lage oder nicht bereit waren, mit ihren eigenen Mitteln einen Aufstand zu schaffen, sie brauchten in Russland geborene und in Russland ansässige Leute, die dies für sie taten, und später reguläre russische Truppen in nicht gekennzeichneten Uniformen, um die Kontaktlinie aufrechtzuerhalten.

Warum brauchte Putin diese Scharade? Damals wollte er einen Kuchen haben und einen Kuchen essen. In ein Land einmarschieren, während du so tust, als würdest du es nicht tun.

Indem er Girkin-Schläger in die Ukraine schickte, verletzte er mehrere internationale Verträge. Nicht nur das berühmte Budapester Memorandum, sondern auch den russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrag von 1997 und eine ganze Reihe von Verträgen, die Gebietsgewinne durch Invasion grundsätzlich verbieten. Die Sanktionen, die Russland 2022 erhielt, sollten eigentlich schon 2014 verhängt werden, nur wegen der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine. Das ist ein großes No-Go im Völkerrecht.

März 2014: Die sehr lokalen Separatisten, die so natürlich aussehen, dass sie sich leicht in die Menge der Fußgänger einfügen. Ukrainische Separatisten jubeln ihnen mit Plakaten zu, auf denen steht: „WIR WOLLEN UNS TRENNEN“, „WIR LIEBEN PUTIN“, „WIR HASSEN BORSTSCH“. Foto: Sergey Ponomarev über Medusa. HINWEIS für Sehbehinderte: Ich bin sarkastisch.

Die Scharade war albern, denn die Invasionstruppen waren eindeutig genau das: Invasionstruppen. Es war unmöglich, so zu tun, als wären sie ein lokaler Aufstand. Sie trugen russische Ausrüstung und Kleidung, fast so, als hätten sie eine einzige Versorgungsquelle (könnte diese Quelle Manguschew sein? Nein, lokale Separatisten, ganz sicher!).

Russland bestritt, irgendetwas mit den Eindringlingen zu tun zu haben, aber woher könnten sie kommen? Aus dem Weltall? Sie wurden von den internationalen Medien als „grüne Männchen“ bezeichnet.

8 Jahre hat es funktioniert. Es war Unsinn für jeden, der in der Nähe wohnte, aber es war gut genug, um Roger Waters zu täuschen und bezahlten Verrätern wie Gerhard Schroeder eine plausible Leugnung zu liefern.

Wenn die zweite russische Invasion im Jahr 2022 etwas Gutes gebracht hat, dann war es Russlands Scooby-Doo-Moment. Masken ab.

Von seinen Beratern in die Irre geführt, glaubte Putin wahrscheinlich tatsächlich, dass russischsprachige Ukrainer seine Armee mit Blumen begrüßen würden. Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist das nie passiert.

Nehmen wir den Fall von Oleksandr Wilkul – dem Bürgermeister der weitgehend russischsprachigen Stadt Krywyj Rih. Selenskyj stammt aus dieser Stadt und wuchs in einer russischsprachigen Familie auf. So auch Wilkul, jedoch gewann er die Wahl von einer Partei, die sich gegen Selenskyj stellte. Er war genau der Typ, auf den die Russen gehofft hatten. Am ersten Tag der Invasion erhielt er Anrufe von seinen ehemaligen Freunden, die vor langer Zeit nach Russland übergelaufen waren – sie forderten ihn auf, die Stadt aufzugeben und zusammenzuarbeiten.

Stattdessen half er bei der Organisation der ersten improvisierten Verteidigung der Stadt, überzeugte einflussreiche Einheimische (wie Geschäftsinhaber), zu bleiben und zu kämpfen, und er nutzte sein Fachwissen eines Bergbauingenieurs, um die Brücken auf dem Weg zur Stadt zu sprengen. Es funktionierte, die Stadt hielt – genau wie viele andere ukrainische Städte, die von der lokalen Bevölkerung verteidigt wurden, bevor die Armee kam.

Leute wie Wilkul verwandelten den anfänglichen Blitzkrieg in einen Morast. Er begrüßte die Russen nicht mit Blumen, sondern mit „2 Tonnen TNT“.

Warum? Vor dem Krieg gab es einen Witz über zwei alte Männer in Odessa. „Weißt du, Sascha, heutzutage habe ich zu viel Angst, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen.“ „Wegen der Repressionen?“ „Nein, weil ich Angst habe, dass Russen kommen könnten, um mich zu befreien.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

Der Autor der Texte war in der Zeitung für populäre Kultur verantwortlich, deswegen sind seine Texte voll von Anspielungen an Lieder, Filme und Bücher. Ich kann mir vorstellen, dass viele deutschsprachige Leser nicht so einfach die Quellen der englischsprachigen Zitate erkennen können.  Wenn es keine deutsche Version von dem Werk gab, habe ich solche Zitate nicht ins Deutsche übersetzt - dann wären sie erst recht nicht erkennbar. Ich erkläre die Quellen aber:

[*] - es ist ein Zitat aus dem AC/DC Lied "TNT"

[**] - "Igor Iwanowitsch Strelkow" ist ein Pseudonym von dem Igor Girkin, er wird mal mit seinem richtigen Namen, mal mit dem Pseudonym genannt

Ich möchte noch zwei Sachen hinzufügen:

Erstes: Falls es in Donezk eine richtige separatistische Partei oder Organisation geben sollte, wäre ihr Anführer ein natürlicher Kandidat für die Leitung der neuen Republik. Wer ist dieser Leiter? Wer ist der beste Mann, den die Russen finden könnten?

Er heißt Denis Puschilin, und stammt tatsächlich von Region Donezk. Er war früher an einer Finanzpyramide beteiligt, dann war er in einer Partei, die aus dieser Finanzpyramide heraus gegründet wurde. 2013 kandidierte er für ein Parlamentsitz in Kiew-Region, und bekam insgesamt 77 Stimmen. Separatismus war bei ihm kein Thema zu dieser Zeit.

Tatsächlich, der reine Separatist und der populäre Politiker.

Zweite Sache: Das Manöver mit Hilfe an "Separatisten" oder "Unterdrückte" ist eine gängige Masche, die die Russen bei einem Angriffskrieg fahren. Und nur äußerst selten werden tatsächliche Gruppierungen in dem Zielland gefunden, die wirklich Russland zur Hilfe rufen. Das stört aber nicht - Russland macht sich solche Gruppen selber, meistens nicht in dem zu angreifenden Land, sondern bei sich, meistens gleich in seiner Hauptstadt. Und das läuft so seit paar hundert Jahren.

Gegen Polen wurde diese Strategie zweimal gefahren. Einmal war es 1944, als die Rote Armee auf die Gebiete kam, die nach dem Krieg zu Polen gehören sollten. Damals gab es eine polnische Exilregierung in London, die Russen haben aber den Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung in Moskau gegründet, und als die neue, legitime Regierung dargestellt, die später die Macht in Polen übernahm.

Ähnliches passierte viel früher, 1792 (ja, so lange läuft es schon), als Katharina die Größe mehrere polnischen Verräter in Petersburg die "Konföderation von Targowica" unterschreiben ließ, in der eine Bitte stand, dass Russland die Verfassung vom 3. Mai 1791 rückgängig zu machen helfen solle. Die Geschichte endete mit einem Krieg und der zweiten Teilung Polens.

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