Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (10) – Der Mythos eines Putsches von 2014 in der Ukraine.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-myth-of-a-2014-coup-in-ukraine

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Der Mythos eines Putsches von 2014 in der Ukraine.

Wenn Selenskyj „von der CIA installiert“ wurde, wer hat dann Poroschenko installiert? MI6?

Ich widerstehe heldenhaft der Versuchung, noch einmal Roger Waters zu zitieren (ich schenke ihm eindeutig zu viel Aufmerksamkeit). Um also ein Beispiel für einen anderen Mythos zu liefern, den ich entlarven möchte, habe ich den ersten Tweet verwendet, den ich nach der Eingabe von „Zelensky coup“ erhalten habe.

Der Text lautet: "Die Ukraine ist eine ekelhaft korrupte Nation. Selenskyj wurde 2014 als Marionette bei einem von den USA unterstützten Putsch installiert."

2014 war Selenskyj noch nicht einmal Politiker. Er wurde im April 2019 als Überraschungskandidat gewählt (ähnlich wie Ronald Reagan war er als Schauspieler bekannt, aber nicht als Anführer).

Also wer genau war diese „von den USA installierte Marionette“? Vielleicht Selenskyjs Vorgänger, Amtsinhaber Petro Poroschenko? Nö. Er wurde im Mai 2014 gewählt, 3 Monate nach dem angeblichen „Putsch“.

Wenn jemand durch den „Putsch“ „installiert“ wurde, dann war es der amtierende Interimspräsident Oleksandr Turtschynow. Für eine amerikanische „Marionette“ war es kein besonders interessantes Puppenspiel: Er erfüllte seine Hauptaufgabe: vorgezogene Wahlen zu organisieren, demokratische Verfahren wiederherzustellen und sein Land aus der Verfassungskrise von 2014 zu führen.

Es besteht kein Zweifel, dass Amerika in seiner Geschichte tatsächlich einige Putsche angezettelt und einige echte Marionetten wie Pinochet, Somoza oder Batista installiert hat. Aber wir werden uns alle einig sein, dass die Geschichte Lateinamerikas viel glücklicher verlaufen wäre, wenn sich diese Marionetten wie Turtschynow verhalten hätten – indem sie sich nach den demokratischen Neuwahlen leise zurückgezogen hätten.

Politik ist keine Mathematik, es gibt keine strengen Definitionen. Konzepte wie „Staatsstreich“, „Revolution“, „Bürgerkrieg“, „erzwungener Rücktritt“ und „Misstrauensvotum“ haben eine riesige Grauzone, in der sie sich überschneiden. Vor allem, wenn alles vor dem Hintergrund gewaltsamer Unruhen passiert.

Wurde Charles de Gaulle durch einen faschistischen Staatsstreich installiert? Diese Jungs scheinen das zu glauben! (Foto: Jean Tesseyre / Getty Images)

Beispielsweise wurden im Mai 1958 in Frankreich während gewaltsamer Unruhen (mit mehreren Todesopfern) nachfolgende Regierungen zum Rücktritt gezwungen. General Charles de Gaulle wurde Premierminister mit außerordentlicher Vollmacht und im Januar 1959 zum Präsidenten gewählt.

War das ein Staatsstreich? Natürlich benutzten de Gaulles politische Rivalen dieses Wort gerne. 1964 verfasste Francois Mitterand einen berühmten Essay „Permanent coup d’etat“, in dem er dem gaullistischen System vorwarf, grundsätzlich antidemokratisch zu sein. Als er 1981 schließlich Präsident wurde, vergaß er natürlich alles und setzte diesen „permanenten Putsch“, was auch immer das heißen mag, fort.

1974 musste Richard Nixon aufgrund des Watergate-Skandals sein Amt niederlegen. Seine Präsidentschaft wurde von zivilen Unruhen überschattet, auch mit Opfern. War es ein Staatsstreich?

Natürlich wird man auch Leute finden, die Watergate „einen Coup“ nennen. Ich schätze, bei jedem Regierungswechsel werden wir mindestens einen verärgerten Politiker finden, der behauptet, es sei „ein Putsch“ gewesen.

Lasst mich mich daher einen einfachen Vorschlag machen: *WENN* es nach einem Regierungswechsel demokratische Verfahren gab, die weitere Regierungswechsel erlaubten, war es *KEIN* Staatsstreich. Ohne dieses Kriterium müssten wir jeden Regierungswechsel als Staatsstreich bezeichnen, zum Beispiel: die Ablösung von Liz Truss durch Rishi Sunak.

Ich bin vielleicht kein großer Fan von Rishi Sunak, aber ich würde ihn nicht in die gleiche Schublade wie Pinochet stellen. Würdest du es tun?

Die ukrainische Demokratie ist vielleicht nicht perfekt … aber ist sie in deinem Land perfekt? Ich denke, die einzigen Länder, in denen die Demokratie vollkommen und absolut perfekt ist, sind Diktaturen wie die Demokratische Republik Nordkorea. Die Leute sind dort so glücklich, dass der Amtsinhaber immer 100% der Stimmen bekommt.

Hier ist ein weiterer einfacher Vorschlag: Das Hauptkriterium der Demokratie ist die Möglichkeit, die Regierung durch Wahlen zu wechseln. Wer sie nicht hat, hat keine Demokratie. Nach diesem Kriterium sind Weißrussland und Russland Diktaturen (genauso wie Nordkorea), während die Ukraine eine Demokratie ist. Vielleicht eine fehlerhafte (wie in deinem Land und auch in meinem Land), OK, aber immer noch eine Demokratie.

Was ist also 2014 passiert? Hier ist mein Verständnis der Revolution der Würde.

Es stimmt, dass der gestürzte Präsident Wladimir Janukowitsch „demokratisch gewählt“ wurde. So waren auch alle ukrainischen Präsidenten vor ihm und nach ihm.

Es wäre nicht der einzige Fall, in dem ein demokratisch gewählter Präsident aufgrund seiner unpopulären Entscheidungen mit Gegenreaktionen konfrontiert würde. Emmanuel Macron sieht sich derzeit in Frankreich mit solchen Gegenreaktionen konfrontiert, und dies könnte zu seinem Rücktritt führen (so wie de Gaulle schließlich 1969 zurücktrat).

Er wurde auf der Plattform der Partei der Regionen gewählt, die als „pro-russisch“ bezeichnet wurde, aber 2010 bedeutete dies einfach die Dezentralisierung des Landes und die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Russland, während er eine allgemein pro-westliche Politik verfolgte.

Ein Element dieser Politik, das auf der anderen Seite des großen Teichs oft übersehen wird, war die gemeinsame Ausrichtung der UEFA-Fußball-Europameisterschaft 2012 durch die Ukraine und Polen. Das ominöse Motto lautete „Gemeinsam Geschichte schreiben“.

Donbass Arena – eines der Stadien, die für die UEFA-Meisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine gebaut wurden (Foto: Shutterstock)

Dieses gemeinsame Bemühen führte zu viel gegenseitiger Berichterstattung in ukrainischen und polnischen Medien. Wie geht es ihnen mit dem Bau von Stadien, Autobahnen, Flughafenterminals und Bahnhöfen? Wie schneiden sie im Vergleich zu uns ab? Polnische Medien interessierten sich für den Verlauf der Dinge im Donbass, ukrainische Medien widmeten die gleiche Aufmerksamkeit dem Verlauf der Dinge in Schlesien.

Während alle postsowjetischen Nationen 1990 in etwa von der gleichen Entwicklungsstufe aus gestartet sind, befanden wir uns 2012 in unterschiedlichen Universen. Die polnische pro-westliche Linie trug ihre ersten Früchte. Wir näherten uns schließlich der Lebensqualität westlicher kapitalistischer Länder.

Es mag nicht nach viel klingen, aber 1990 schien es Mission: Impossible zu sein. Ich persönlich hätte nie gedacht, dass ich das erleben würde.

Bevor wir 2004 der EU beitraten, befanden wir uns in einer Übergangsphase, in der viele Politiker behaupteten, dass der EU-Beitritt eine Katastrophe sein würde. Das war nur Mist, und 2010 war es bereits für fast jeden offensichtlich.

In der Ukraine waren Politiker, die sagten: „Nicht der EU beitreten, dort gibt es nichts Gutes für uns“, 2010 noch ziemlich populär. Aber 2012 wusste jeder, der die Medienberichterstattung über die UEFA-Meisterschaften verfolgte (was bedeutet: wirklich jeder), dass dies Unsinn ist. Für die ukrainische Gesellschaft war es eine große Chance zu sehen, wie es ihren Nachbarn geht.

Sie wussten, dass wir 1990 den gleichen Ausgangspunkt hatten, und sie sahen, wie viel Polen erreicht hatte. Sie wollten nun dasselbe für die Ukraine.

(Standbild aus einem Video aus reddit)

Und was hat Russland zu bieten? Nichts als Armut und Unterdrückung. In der Anfangsphase der Invasion äußerten die russischen Besatzer häufig ihre Verwunderung darüber, dass in der Ukraine „in jedem Haus ein Laptop steht und Nutella gegessen wird“.

In einem abgehörten Telefonat beschrieb ein russischer Soldat, wie er ukrainische Häuser plünderte. Er brachte seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass sie selbst auf dem ukrainischen Land „in Backsteinhäusern leben“, „hochwertige Kosmetika" verwenden und „Markenkleidung tragen“, die „Modernisierung ist einfach erstaunlich“. "Unsere Tochter geht zur Schule, sie braucht einen verdammten Laptop, klaue einen für sie" - erinnerte seine Frau.

Putin kann sich die Existenz einer wohlhabenden Ukraine nicht leisten. Seine eigenen Sklaven werden irgendwann Fragen stellen, wie „Warum können wir nicht auch in jedem Haus einen Laptop haben?“.

Wenn du ein Oligarch bist, ist die Oligarchie natürlich das beste System für dich. Also glaube ich ihnen, wenn Solowjow, Simonjan oder Skabeyeva sagen, dass Russland perfekt für sie ist (aber es erklärt immer noch nicht, warum Solowjow im nationalen Fernsehen in Tränen ausbrach, als er um seine beschlagnahmte italienische Villa dachte).

Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn Sie das durchschnittliche Leben einer durchschnittlichen Person in einem durchschnittlichen Haushalt mit einem durchschnittlichen Einkommen in einer durchschnittlichen Nachbarschaft führen, es selten besser ist als im Europäischen Wirtschaftsraum (d. h. in der EU und den assoziierten Ländern). Vielleicht in Japan, vielleicht in den USA – aber definitiv nicht in Russland oder seinen Marionettenstaaten.

Die Partei der Regionen war voll von Politikern mit persönlichem Interesse an Russland. Das war damals akzeptabel, im Westen sogar üblich. Auch Gerhard Schröder war damals in Deutschland eine respektable Person.

Also begannen Putin und seine Oligarchen, Druck auf Janukowitsch auszuüben, damit er den allgemeinen Konsens über eine Pro-EU-Haltung (die mehr oder weniger  von allen ukrainischen Mainstream-Parteien akzeptiert war) aufgibt. 2013 war die Ukraine bei den Verhandlungen über das Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU ziemlich weit fortgeschritten – der erste Schritt auf dem Weg zur Mitgliedschaft. Im Februar wurde das Abkommen mit überwältigender Mehrheit im Parlament angenommen (315 von 349 Sitzen).

Am 21. November 2013 kündigte Janukowitsch gegen den Willen des Parlaments (das von seiner eigenen Partei dominiert war!) den Rückzug der Ukraine aus den Verhandlungen mit der EU an. Am selben Tag veröffentlichte der ukrainische Journalist Mustafa Nayeem einen schicksalhaften Post in den sozialen Medien. Unten finden Sie das Original (es ist auf Russisch – so viel zum Thema „Russisch sprechend“ gleich „pro-russisch“).

Ausschnitt aus Facebook

In meiner Übersetzung: „OK, lass uns ernst werden. Wer ist bereit, heute vor Mitternacht zum Maidan-Platz zu gehen? Likes zählen nicht. Kommentiert nur „Ich bin bereit“ unter diesem Beitrag. Wenn wir mehr als tausend sind, fangen wir an, uns zu organisieren.

Anfangs forderten die Demonstranten Janukowitsch friedlich auf, das Abkommen mit der EU zu unterzeichnen – oder zurückzutreten. Er reagierte mit Gewalt, was mehr Gewalt erzeugte, was zu Opfern auf beiden Seiten führte. Zum ersten Mal in der Geschichte kämpften Menschen unter der EU-Flagge (und starben dafür).

Foto: euromaidan-press

Da Janukowitsch seine verfassungsmäßigen Befugnisse deutlich überschritten hatte, begann das Parlament über Amtsenthebungsverfahren zu sprechen. Seine eigene Partei verleugnete ihn, also war klar, dass er in dem Verfahren keine Chance hat.

Am 21. Februar unterzeichnete Janukowitsch schließlich ein Abkommen über eine vorläufige Beilegung der Krise, das vorgezogene Neuwahlen und eine vorläufige Regierung der nationalen Einheit vorsah. Am selben Tag brach er diese Vereinbarung, indem er nach Russland überlief.

Er hinterließ keinen formellen Rücktritt, wahrscheinlich in der Absicht, eine Gesetzeslücke zu hinterlassen, die sich als nützlich erweisen könnte, wenn die russische Armee einmarschiert. Sie würden ihn einfach wieder in den Präsidentenpalast in Kiew einsetzen – wenn sie nur Kiew erobern könnten.

Tatsächlich begann die Invasion von „Grünen Männchen“ – Paramilitärs in russischen Uniformen ohne Auszeichnung, die offiziell aus dem Nichts kamen (laut russischer Propaganda: „Sie können diese Uniformen in jedem Überschussgeschäft kaufen“) – nur eine Woche später, am 27. Februar.

Krim, 28. Februar 2014: Nicht identifizierte Paramilitärs, die aus einem nicht identifizierten Land kamen, russische Uniformen und russische Waffen tragen und vorgeben, Ihre freundlichen einheimischen lokalen Separatisten zu sein. Foto: Elizabeth Arrott / VOA

Die Invasoren erreichten Kiew bis heute nicht, aber sie verkündeten die „Unabhängigkeit“ der Krim (16. März) und des Donbass (6. April). Dies ist jedoch eine andere Geschichte.

Ich erwähne die CIA nicht in meiner Beschreibung der Revolution der Würde, weil ich ehrlich gesagt nicht glaube, dass sie eine wichtige Rolle gespielt hat. Ohne die spontane Reaktion der Bevölkerung auf den einseitigen Rückzug Janukowitschs aus den Verhandlungen mit der EU wäre nichts passiert.

Leute, die über den Putsch der CIA sprechen, liefern niemals wirkliche Beweise, um diese Behauptung zu untermauern. Sie schweifen entweder ab und sprechen über tatsächliche, von der CIA unterstützte Staatsstreiche in Lateinamerika (ich bestreite nicht, dass sie stattgefunden haben!), oder sie liefern einen „rauchenden Colt“ wie „Victoria Nuland unterstützte die Revolution“.

Nun, ich habe sie auch unterstützt. Viele Leute taten es. Ich beziehe mich auf den Willen der durchschnittlichen Ukrainer, wie die durchschnittlichen Westeuropäer zu leben. Meine Generation hat diesen Traum in Polen verwirklicht, ich wünsche es auch unseren Nachbarn.

Im Moment haben wir Proteste in Georgien. Ihr Volk ist mit ihrer demokratisch gewählten Regierung wegen ihrer pro-russischen Haltung unzufrieden.

Ich weiß, dass es Leute gibt, die immer sagen werden: „Es ist überall die CIA“. Aber ich greife mal nach Ockhams Rasiermesser: Viel einfacher ist es anzunehmen, dass Millionen von Menschen in Georgien oder der Ukraine (und 1989: Polen, Litauen, DDR etc.) einfach lieber Nutella sich leisten können wollten.

Ja, ich weiß, Nutella ist ungesund. Aber es ist eine ganz andere Geschichte, so viel davon kaufen zu können, wie man will, es aber nicht zu tun, weil es nicht gesund ist – oder sich einfach kein einziges Glas Nutella leisten zu können. Der durchschnittliche Pole in meinem Alter hat all diese Stadien von Nutella durchlaufen: von der kostbaren Delikatesse, die nur den dekadenten Bourgeois im Westen zur Verfügung steht, bis zum langweiligen Grundnahrungsmittel ungesunder Ernährung. Der durchschnittliche Russe ist da, wo er 1989 war.

Um anzunehmen, dass die Revolution der Würde (und andere antirussische Bewegungen in unserer Region) „CIA-Coups“ sind, muss man davon ausgehen, dass Millionen von Ukrainern (Polen, Georgier usw.) durch Hypnosestrahlen von geheimen Satelliten telepathisch einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Also DENKEN wir nur, dass wir nach EU-Standards leben wollen: anständige Autos  zu fahren (oder noch besser! die bequemen öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen!), anständige Kleidung zu tragen, anständiges Essen zu essen.

Leider werden wir von der CIA-induzierten Hypnose getäuscht! Eigentlich sollten wir lieber lauwarmen Wodka trinken, Fufaika tragen und Mist essen, weil wir die dekadenten bürgerlichen Kloschüsseln auch nicht brauchen.

Russischer Propagandist spottet über EU-Sanktionen für den Export von Toilettenschüsseln nach Russland. „Sie denken wahrscheinlich, dass wir ohne sie nicht leben können!“. Genosse, natürlich wissen wir, dass ihr es könnt und ihr es tun, aber wir wissen, dass euch der Arsch auf Grundeis geht - entschuldigt das Wortspiel. Ihr könnt Überschall-Marschflugkörper bauen und scheißt trotzdem in Plumpsklo draußen… (Bildschirme aus Video mit Untertiteln von Julia Davies)

Und lasst mich wiederholen: Die russische Welt hat nichts Besseres zu bieten für Ihren durchschnittlichen Iwan Iwanowitsch Iwanow, aus einer durchschnittlichen russischen Stadt in der sogenannten „Glubinka“ (wörtlich: „tiefes Territorium“). Sein Leben ist die Hölle. Und gerade jetzt kämpft er dafür, diese Hölle auf die Ukraine auszudehnen.

Jeder bevorzugt den westlichen Lebensstil. Sogar die pro-russischen Westler.

Sie sind meine Lieblingssorte. Es gibt keinen besseren Ort, um Russland zu preisen, als eine komfortable Eigentumswohnung in, sagen wir, Berlin oder Madrid.

Sie können dort sitzen, Jamon Iberico mit einem frischen Baguette und griechischen Oliven essen, guten italienischen Wein schlürfen und Ihr mit Villeroy & Boch ausgestattetes Badezimmer genießen. Und sie tippen auf Ihrem koreanischen Laptop, der mit amerikanischen sozialen Medien verbunden ist, das Lob Russlands ein.

All diese pro-russischen Westler würden es auf die Straße bringen, sollten ihre Regierungen versuchen, die Lebensqualität von Iwan Iwanowitsch Iwanow zu erzwingen. Und natürlich, wenn sie es im Westen tun, ist es gelebte Demokratie. Wenn es in Frankreich ist, ist es „la revolution“. Aber in anderen Regionen ist es nur ein offensichtlicher Coup.

 

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (9) – Wer hat den Frieden getötet?

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/who-killed-peace

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Wer hat den Frieden getötet?

Was ist mit den russisch-ukrainischen Verhandlungen passiert?

Roger Waters teilt sein Expertenwissen mit Olga Selenska (na ja, was weiß sie schon? Sie ist nur eine Frau aus Osteuropa…). Aus rogerwaters.com

Ich nehme noch einmal Roger Waters als Beispiel für einen ahnungslosen Westler. Er ist ein feines Exemplar mit einer durchsuchbaren Datenbank von groben Fehlern, also warum weiter suchen?

Hier ist ein weiterer Mythos, den ich entlarven wollte. In Roger Waters’ eigenen Worten ist es der Mythos von Selenskyj, der sich offenbar weigert, mit Putin über Frieden zu verhandeln.

Das Friedensabkommen war im April so nah, und doch brach die Ukraine aus irgendeinem seltsamen Grund die Verhandlungen ab! Dies lag wahrscheinlich an Boris Johnsons Besuch in Kiew (Version A) oder an amerikanischem Druck (Version B - Waters scheint letzteres zu bevorzugen).

Konfrontieren wir diesen Mythos mit Fakten.

Aus dem Online-Archiv der „Prawda“

Oben findet man einen Ausschnitt aus der Website der russischen Zeitung „Prawda“. Es ist der erste Tag der Invasion.

Die Überschrift lautet: „Selenskyj: DER WESTEN VERRIET UND VERLIESS UKRAINE. WIR SIND BEREIT, MIT RUSSLAND ZU VERHANDELN. Präsident Wladimir Selenskyj machte den Westen dafür verantwortlich, dass er die Ukraine allein gegen Moskau gelassen habe, und erklärte heute, dass er keine Angst habe, über ein Ende der russischen "Invasion" zu verhandeln, aber er brauche Sicherheitsgarantien”.

Dies ist eine leicht verdrehte, aber nicht ganz unwahre Zusammenfassung einer der frühen Reden von Selenskyj. Im Westen erinnern wir uns hauptsächlich an die historischen Sätze wie „Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, ich brauche Munition“.

Einige Leute im Westen (Roger Waters zum Beispiel) vergaßen, dass der Westen Selenskyj in der Anfangsphase der Invasion lediglich politisches Asyl anbot. Lieferungen von offensiven Waffen gab es nicht. Deutschland hat bekanntlich/berüchtigt nur 5000 Helme geliefert, aber alles Tödliche wurde als „Überschreitung einer roten Linie“ angesehen und rundweg abgelehnt.

Viele westliche Politiker waren sich sicher, dass „Kiew in 3 Tagen fallen wird“, weil sie ihr ganzes Leben lang gehört haben, dass „Russen nicht verlieren können“. Sie hielten es ehrlich für sinnlos, Waffen an die Ukraine zu liefern, denn selbst wenn sie vor der Eroberung Kiews eintreffen, werden sie in russische Hände enden, wie in Afghanistan oder den Irak.

Dies ist ein weiteres Beispiel für etwas, das ich zuvor geschrieben habe: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der „Inlands“- und der „Export“-Version der russischen Propaganda. Sie widersprechen sich oft, so wie in diesem Fall.

Die „Export“-Version – entworfen, um Elon Musk und Noam Chomsky zu täuschen – ist fast unverändert: „Der Westen hat den Krieg provoziert, indem er die Ukraine durch Waffenlieferungen bewaffnet und Selenskyj verboten hat, über Friedens- und Sicherheitsgarantien für Russland zu sprechen“. Die „heimische“ Version im Februar 2022 lautete: „Der Westen hat die Ukraine verlassen, Selenskyj bittet um Friedensgespräche, aber wir sind nicht daran interessiert, mit ihm zu sprechen – wir werden in wenigen Tagen gewinnen“.

Am vierten Tag der Invasion musste sogar Putin widerwillig zugeben, dass er es nicht geschafft hatte, Kiew in drei Tagen einzunehmen. Der ursprüngliche Plan – wie wir aus erbeuteten russischen Dokumenten wissen – ging davon aus, dass die Spezialeinheiten und Fallschirmjäger in den ersten Stunden des Kampfes wichtige Infrastruktur sichern würden, damit die mechanisierte Infanterie, die auf dem Landweg eintrifft, das Gebiet einfach säubern würde.

Dies ist nicht geschehen. Speznas drang in einige Städte wie Charkiw ein, hauptsächlich um von irregulären Truppen getötet zu werden, die mit Jagdgewehren und Molotowcocktails bewaffnet waren. Luftlandetruppen wurden von MANPADs vom Himmel geschossen.

Die mechanisierte Infanterie war bereits durch Panzerabwehrraketen beschädigt, und als sie ankam, konnten sie die Spezialtruppen von der ukrainischen Belagerung befreien, aber sie waren nicht in der Lage, Kiew oder Charkiw tatsächlich zu belagern (geschweige denn das Gebiet zu erobern). Aber auf einer Karte schien es immer noch, dass der russische Sieg nur eine Frage von Tagen ist – russische Panzer waren nur wenige Kilometer von Selenskyjs Hauptquartier entfernt.

Also selbst wenn Putin bereit war zu reden, war seine Vorstellung von Frieden „bedingungslose Kapitulation“. Er weigerte sich, persönlich mit Selenskyj zu sprechen – sein Chefunterhändler entpuppte sich als ein gewisser Wladimir Medinski. Es ist in Ordnung, wenn dieser Name bei Ihnen nicht klingelt. Er ist Putins Adjutant von niedrigem Rang und es ist zweifelhaft, ob er überhaupt direkten Kontakt mit dem Tyrannen hat.

Ich denke, sogar Herr Roger Waters sollte dieses Grundprinzip verstehen: Wenn – sagen wir – eine Plattenfirma einen Praktikanten schickt, um den Vertrag zu „verhandeln“, wollen sie überhaupt nicht verhandeln. Dies ist ein „Nimm es oder lass es“-Deal.

Manchmal ist es einfach besser, es zu lassen. Während das Hauptziel der Ukraine bei den Verhandlungen ein Waffenstillstand war, forderte Medinskis Team die bedingungslose Kapitulation. Das war einfach unrealistisch: Zu keinem Zeitpunkt des Krieges war Russland siegreich genug, um dies zu fordern. Ja, sie hatten ihre Truppen in der Nähe von Kiew, aber sie konnten sich kaum behaupten, geschweige denn vorrücken.

Die Verhandlungen fanden zuerst in Weißrussland, dann online, dann in der Türkei statt. Sie haben nicht viel gebracht (mit Ausnahme einiger „Evakuierungskorridore“ für Zivilisten in belagerten Städten). Die Ukraine war bereit, über Neutralität zu diskutieren, aber ihre Hauptforderung war ein Waffenstillstand. Medinsky war nicht befugt, darüber zu diskutieren (oder – ehrlich gesagt – über so ziemlich alles Sinnvolle zu diskutieren).

„Medinski ist bei den Verhandlungen gescheitert. Die Ukraine feiert den Sieg, während Russland in Panik oder zumindest in Aufruhr ist“, erklärt Lyudmila Chertkova in „Prawda“ (aus dem Online-Archiv).

Ende März beschleunigten sich die Dinge plötzlich. Medinski sagte öffentlich, Russland sei bereit, einige Zugeständnisse zu machen – „kleine Schritte zur Deeskalation“. Dies wurde von den russischen Medien und russischen Politikern mit enormer Feindseligkeit aufgenommen.

Was für ein „Rückschritt“? Warum zurücktreten, wenn wir gewinnen? Zu diesem Zeitpunkt begann Russland jedoch, sich stillschweigend von seinen unhaltbarsten Positionen zurückzuziehen. Es war der allerletzte Moment, um zu sagen: „Ergibt euch, weil unsere Truppen in der Nähe eurer Hauptstadt sind“.

Aus dem Online-Archiv der „Prawda“

Einer der lautstärksten Kritiker von Medinski war Ramsan Kadyrow, der von Russland ernannte Marionettenführer des befriedeten Tschetscheniens. In der Schlagzeile der Prawda wird er mit den Worten zitiert: „Russland braucht keinen Rückzug!“. Damals war er damit beschäftigt, so zu tun, als sei er in die Ukraine gereist, um persönlich dafür zu sorgen, dass Russland schnell gewinnt.

Der Ton der russischen Propaganda wechselte zu dem Schlagwort „Sie haben nicht auf Medinski gehört, jetzt werden sie auf Kadyrow hören“. Im April glaubten die russischen Propagandisten noch an einen schnellen Sieg – Kadyrow wird ihn bringen, sobald er sein Gebet an einer Tankstelle beendet hat.

Ramsan Kadyrow gibt vor, in der Ukraine zu sein - er befindet sich aber auf einer Rosneft Tankstelle, und solche gibt es in der Ukraine nicht. (aus Twitter)

Der Rückzug aus Kiew führte zu der grausamen Enthüllung schrecklicher Kriegsverbrechen, die von Russen in den Vorstädten begangen wurden. Sie versuchten nicht einmal, ihre Spuren zu verwischen, weil sie sich niemals zurückziehen sollten. Selenskyj erklärte an dieser Stelle, er habe mit Kriegsverbrechern nichts zu besprechen.

Der Besuch von Boris Johnson in Kiew konnte die Dinge nicht schlimmer (oder besser) machen. Die Friedensgespräche waren bereits tot. Russland sagte: „Wir brauchen keine stinkenden Friedensgespräche, wir gewinnen“. Die Ukraine war wie „wir reden nicht mit Kriegsverbrechern“.

Im Gegensatz zu dem, was Roger Waters denkt, waren die westlichen Führer damit beschäftigt, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Es schien nur vernünftig, da keine Seite einen entscheidenden Sieg erringen konnte.

Putin erhielt zahlreiche Anrufe und Besuche von Macron, Scholz, Erdogan, Gutteres (UN-Generalsekretär), Nehammer (österreichischer Bundeskanzler) und anderen. Sie haben zu nichts geführt. Putin betonte dennoch, er erwarte von der Ukraine nichts als eine bedingungslose Kapitulation.

Im Mai zog Lawrow seinen „betrunkenen Onkel“-Stunt ab, indem er behauptete, „Hitler war jüdisch“. Das war ein echter Gesprächsstopper. Wie kann man damit verhandeln? Macron und Scholz versuchten es trotzdem, gaben aber schließlich auf.

Im September kündigte Russland die „Annexion“ der Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk an. Es war wahrscheinlich die erste „Annexion“ dieser Art in der Geschichte – ich kann mir kein anderes Land vorstellen, das Gebiete „annektiert“, ohne sie tatsächlich zu kontrollieren. Im Fall von Saporischschja kontrollierten sie nicht einmal die Stadt Saporischschja. Im Fall von Cherson gaben sie innerhalb von zwei Monaten auf und hinterließen Dutzende Plakate mit der Aufschrift „RUSSLAND IST HIER FÜR IMMER“.

“Russland ist hier für immer” Plakat in Kherson (aus ukraineworld.org)

Die aktuelle russische Verhandlungsposition ist, dass die „Annexionen“ respektiert werden müssen. Es bedeutet: Die Ukraine muss sich kampflos aus Cherson, Saporischschja, Kramatorsk usw. zurückziehen. Warum sollten sie das tun wollen?

Um das Blutvergießen zu stoppen? Aber können Sie sich vorstellen, dass die russische Armee OHNE Blutvergießen in Saporischschja oder Kramatorsk einmarschiert? Ich kann nicht. Sich der russischen Besatzung zu unterwerfen bringt keinen Frieden, es bringt Gemetzel, Raub, Vergewaltigung, Zwangsumsiedlungen und Völkermord.

Weitere Bedingungen sind die „Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine. Ersteres bedeutet „deine Armee auflösen“. Letzteres bedeutet „Ändere die Regierung zu derjenigen, die Russland gefällt“. Dazu müssten aber auch die freien Wahlen in der Ukraine abgeschafft werden - wegen des Krieges haben prorussische Politiker bei den Präsidentschaftswahlen etwa die gleiche Chance wie der sozialistische Kandidat für das Gouverneursamt von Texas.

Mein Lieblingsteil der russischen Propaganda ist, wenn der Propagandist von seiner Fantasie so weit mitgerissen wird, dass er sie mehrstimmig auslebt. In diesem Fall begann Sergey Mardan zu phantasieren, wie russische Diplomaten einen Diplomaten aus Lettland schlagen sollten. Mardan scheint zuzugeben, dass man mindestens drei Russen braucht, um einen Letten zu schlagen, und dann begann er zu spielen, wie sich diese Szene entwickeln würde. „Gefällt es dir nicht? Das bekommst du, wenn du Russland beleidigst!“. Genau wie die Eroberung von Kiew ist es natürlich nie wirklich passiert (über den Twitter-Account von Kremlin Yap).

Ich bin für Frieden. Aber nichts deutet darauf hin, dass Putin bereit ist, über einen Waffenstillstand zu diskutieren – oder seine unrealistischen Forderungen aufzugeben. Daran können auch keine geistesgestörten Tweets von Elon Musk, Telefonanrufe von Macron oder aus den Fugen geratene Äußerungen von Roger Waters etwas ändern.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (8) – Krieg: Jahr 1.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/war-year-one

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Krieg: Jahr 1.

Die längste Straße der Welt

Die russische dreitägige „militärische Spezialoperation“ geht in ihr zweites Jahr. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit daran, dass die gleichen „westlichen Experten“, die ursprünglich behaupteten, Russland habe keine Pläne für eine Invasion, dann zu der Behauptung übergingen, dass Kiew morgen fallen werde… übermorgen… naja, vielleicht nächste Woche…, und sogar heute wiederholen sie denselben Mist, aufgewärmt in „Russland gewinnt eindeutig, die Ukraine sollte sich ergeben“.

Vier Tage vor der Invasion „bewies“ Scott Ritter immer noch, dass es keine Invasion geben wird, und alle von den USA veröffentlichten Beweise „überhaupt nichts“ sind. Aus dem Blog von Caitlin Johnstone.

Der letzte große russische Erfolg war die Eroberung von Lyssytschansk am 3. Juli. Die Beseitigung des Lyssytschansk-Sjewjerodonezk-Vorsprungs ermöglichte es der russischen Armee, sich Bachmut zu nähern. Sie begannen am 17. Mai, die Stadt zu bombardieren, und starteten im Juli einen Frontalangriff, der zum ersten Erfolg führte – am 3. August drangen sie in die östlichen Außenbezirke der Lumumba-Straße im Industriegebiet der Stadt ein.

Sechs Monate später ist Bachmut der Teil der Front, wo die russische Armee ihre größten Erfolge erzielte.

Dieser Erfolg ist nicht besonders beeindruckend. Seit August gelang es ihnen, einige andere Straßen einzunehmen, aber zum Zeitpunkt des Schreibens (23. Februar) sind die Russen immer noch nicht in der Lage, den westlichen Teil der Lumumba-Straße zu halten.

Diese Straße muss sehr lang sein! Neben dem Industriegebiet der Stadt gelang es ihnen, einige Trabantenstädte und -dörfer um Bachmut zu erobern, von denen Soledar die größte ist (Vorkriegsbevölkerung: 10.000).

Würden Sie von diesen Typen einen Gebrauchtwagen kaufen? Aus dem Twitter-Account von Scott Ritter

Englischsprachige Russische Propagandisten (EsRP) prognostizierten (oder kündigten sogar) eine vollständige Einkreisung oder zumindest eine „operative“ Einkreisung der Stadt an. Da es mindestens 3 Monate her ist, sollten wir morgen damit rechnen… übermorgen… vielleicht nächste Woche. Zum Zeitpunkt des Schreibens: Die „Straße des Lebens“ ist noch außerhalb der russischen Reichweite (sogar „operativ“).

Und lassen Sie mich wiederholen: Hier geht es den Russen am besten. Anderswo an der Kontaktlinie, die sich über mehr als tausend Kilometer erstreckt, haben die Russen in den letzten 6 Monaten hauptsächlich Niederlagen erlitten.

Manchmal war es eine entscheidende, strategische Niederlage (wie der ukrainische Blitzkrieg im September 2022, als Russen von den Außenbezirken von Charkiw in die Außenbezirke von Kreminna vertrieben wurden – das sind 200 km in einem einzigen Feldzug!). Manchmal war es mehr auf taktischer Ebene, wie die Befreiung von Cherson, wo es den Russen gelang, sich einigermaßen geordnet zurückzuziehen.

Manchmal war es eine Pattsituation im Stil von Verdun, als die Russen Tausende von Soldaten und unzählige Ausrüstungsgegenstände verloren, als sie versuchten, voranzukommen – mit wenig oder keinem Erfolg. Aber dennoch, wenn man eine Festung angreift und sie hält, ist es ein Sieg für die Verteidiger – kein Unentschieden.

Beispiel für den Unterschied zwischen EsRP (oben) und RsRP (unten). Am 22. Februar waren EsRPs aufgeregt über den russischen Angriff im Norden. Hurra, endlich die Winteroffensive! Wie üblich war es nichtspierogi. Die russische Bloggerin Starshe Eddy, die direkte Quellen in diesem Abschnitt der Frontlinie hat, erklärte: „Tatsächlich ist das, was wir dort tun, ‚aktive Verteidigung‘. Es gibt einige bescheidene Erfolge, wir haben einige [ukrainische] Widerstandspunkte genommen, aber „Angriff“ ist eine andere Sache. Nennen wir alles beim richtigen Namen, sonst werden wir Opfer unserer eigenen Propaganda.“ Aus dem Twitter-Kanal von Trollstoy (oben) und dem Telegram-Kanal von Starshe Eddy (unten)

EsRP (Englischsprachige Russische Propagandisten – ich mache diese Unterscheidung, weil russischsprachige russische Propagandisten ein ganz anderes Bild der russischen „Erfolge“ zeichnen) wiederholen immer wieder, dass die „Fleischwölfe“ die Ukraine mehr getroffen haben als Russland. Wie ist das überhaupt möglich?

Weder ich noch Sie (mein geschätzter Leser) kennen genaue Daten, aber im Ernst, verwenden Sie Ihren gesunden Menschenverstand und Ihre Vorstellungskraft. Sie sehen Grabenkämpfe, ähnlich wie im 1. Weltkrieg. Ein Typ, nennen wir ihn Blau, verteidigt seine verschanzte Position mit einem Maschinengewehr oder RPG. Der andere Typ, nennen wir ihn Rot, rennt über die Lumumba-Straße oder ein karges Feld und versucht, Kugeln auszuweichen. Seine einzige Überlebenschance besteht darin, die Position des Feindes zu erreichen, bevor er entweder von denen vor ihm oder denen hinter ihm getötet wird .

Wenn Sie mit einem von ihnen den Platz tauschen müssten – welchen würden Sie wählen? Welche scheint eine höhere Lebenserwartung zu haben? Wie können Sie sich überhaupt vorstellen, dass die Verluste der Blauen Armee höher sind als die Verluste der Roten Armee? Magie?

Aus dem Twitter-Account von Big Serge (der Autor hat diesen speziellen Beitrag gelöscht, aber Sie können seine anderen Tweets vom selben Tag sehen, sie sind genauso urkomisch). Übrigens: Der „ukrainische Zusammenbruch von Marinka“ hat nie stattgefunden, die Stadt ist immer noch umkämpft. Die „gesamte Front“ ist mit wenigen Ausnahmen ziemlich genau dort, wo sie im Dezember war.

EsRPs beantworten diese Frage nie. Sie wiederholen immer nur „Russland gewinnt“, Wuhledar wird in den nächsten 24 Stunden „eingepackt“, Bachmut ist bereits umzingelt usw. So realitätsfern kann man nicht sein, wenn man mit jemandem russischsprachigem spricht, daher fällt das Urteil von RsRP viel nüchterner und grimmiger aus. Viele russische Militärblogger schreiben offen, dass Russland diesen Krieg aufgrund irreparabler Fehler des Oberkommandos bereits verloren hat.

Vor einem Monat fand ich eine ausgezeichnete Analyse von Volodymyr Dacenko, die ich verwenden werde, um den ersten Jahrestag der dreitägigen Operation zusammenzufassen. Es zeigt vier Phasen der russischen Taktik.

Aus dem Twitter-Account von Volodymyr Dyacenko

Sie begannen mit einem Blitzkrieg, bei dem man alles was nicht niet- und nagelfest ist auf seinen Gegner wirft und ohne Rücksicht auf Verluste nach vorne drängt. Denn selbst wenn Sie ein oder zwei Flugzeuge verlieren, selbst wenn Versorgung Ihrer manchen Einheiten für ein paar Tage ausfällt, spielt es im Großen und Ganzen keine Rolle. Denn das Einzige, was Ihre Truppen wirklich brauchen, sind die Ausgehuniformen für die Siegesparade in Kiew!

Bliztkrieg entpuppte sich als eine Katastrophe. Russland erwartete keinen Widerstand - und traf nicht nur auf ukrainische Truppen, sondern auch auf normale Bürger, die Barrikaden errichteten, Brücken sprengten und jede Flasche in einen Molotow-Cocktail verwandelten. Allerdings gab es auch einige Siege, wie die Einkreisung von Mariupol oder die überraschende Eroberung von Cherson.

Nach dem Rückzug aus Kiew im April reduzierten die Russen ihre Erwartungen und wechselten zu „Panzerdurchbruch“-Taktiken (Phase II), ähnlich dem klassischen sowjetischen Angriff aus dem Zweiten Weltkrieg. Deine Artillerie verwandelt feindliche Stellungen in eine Mondlandschaft, in der niemand überleben kann, nicht einmal in Schützengräben. Und dann beenden Ihre Tanks die Arbeit.

Diese Taktik hat eine Weile funktioniert, aber dies ist kein WW2. Sie können dies nicht ohne Luftüberlegenheit tun (die Russland in Phase I nicht erreicht hat). Die Panzerkolonnen und Artilleriegeschossdepots werden zur leichten Beute für Javelins, Bayraktars und Seine Majestät König Himars.

Diese Phase endete im Mai 2022 mit der Schlacht von Siwerskyj Donez – dem größten Einzelversagen der russischen Armee seit 80 Jahren – in Flammen. Innerhalb weniger Stunden verloren sie Hunderte von Soldaten und ungefähr hundert gepanzerte Fahrzeuge, nur weil ihre Kommandeure nie daran gedacht hätten, dass in der Ära der Drohnenkriegsführung eine riesige Kolonne von Fahrzeugen anzuhaufen und  dazu bringen, den Fluss auf provisorischen Brücken in Reichweite feindlicher Artillerie zu überqueren, ein Rezept für eine Katastrophe ist.

Aus dem Twitter-Account von Volodymyr Dyacenko

Danach wechselten die Russen zu noch bescheideneren Taktiken – „Sondenangriff“ (Phase III). Eine kleine Gruppe von gepanzerten Fahrzeugen versucht, eine Schwachstelle in den feindlichen Linien zu finden, und wenn sie es tun, versucht eine kleine Gruppe von Elitetruppen - Fallschirmjäger und Marineinfanterie, sie mit der gepanzerten Unterstützung zu infiltrieren. Das war der letzte große russische Erfolg, nämlich die Eroberung von Lyssytschansk im Juli.

Diese Taktik ist auch kostspielig. Wenn Sie keine Schwachstelle finden, haben Sie sich gerade weitere Kandidaten für die posthume Auszeichnung „Held der Russland“ besorgt.

Ende 2022 trat Russland in einen Narrenkreis ein. Sie verloren so viele Panzer, Besatzungen und Unteroffiziere (all diese Gefreiter und Feldwebel, die in der Lage sind, einen Haufen unglücklicher Wehrpflichtiger in eine kohärente Einheit zu verwandeln), dass die Versuche, den Sondierungsangriff durchzuführen, dazu führten, dass nur mehr Fahrzeuge, mehr Besatzungen und mehr frisch beförderte Unteroffiziere verloren gingen. Je mehr sie verlieren, desto mehr verlieren sie. Zum Zeitpunkt des Schreibens dreht sich der Kreis noch.

Wir haben das in den Videos von den grotesken inkompetenten Versuchen eines „Sondierungsangriffs“ in Wuhledar im Januar/Februar gesehen. Russische Panzer werden ein nach dem anderen auf einem Minenfeld eliminiert, weil ihre Kommandanten nicht glauben, dass es keine so gute Idee ist, wenn der vorausfahrende Panzer auf eine Mine trifft, zu versuchen, das brennende Wrack zu umgehen und zu prüfen, ob die nächste Stelle vermint ist. Es ist wahrscheinlich doch… KA-BOOM!

Auf einem anderen Video versammeln sich russische Infanteristen in einer Gruppe, ohne zu wissen, dass eine Drohne über ihnen schwebt. Die Drohne tötet sie alle mit einer einzigen Granate. Auf einem anderen betritt ein russischer Trupp das „Datschi“-Gebiet (Sommerhäuser), wo ein ukrainischer Scharfschütze sie einen nach dem anderen ausschaltet (Screenshot unten).

Ein russisches Angriffsteam dringt in das Datschi-Gebiet in der Nähe von Wuhledar ein. In den folgenden 3 Minuten werden sie alle tot oder verwundet sein (Standbild aus einem von ukrainischen Streitkräften veröffentlichten Film).

Diese Filme wurden von der ukrainischen Armee eindeutig für ihre eigenen Propagandazwecke veröffentlicht. Aber sie sind für die russischen Militärblogger mächtig genug, sie auf ihren Telegram-Kanälen erneut zu posten und eine Bestrafung von General Muradow zu fordern, der für dieses Versagen verantwortlich ist. Er wurde natürlich befördert – denn so funktioniert Tyrannei, der Tyrann liegt nie falsch, BESONDERS dann, wenn er am offensichtlichsten falsch liegt.

Und damit trat Russland in Phase IV ein: „Infanterieangriff“. Nun der gute alte Angriff im Stil des Ersten Weltkriegs durch Sturmtruppen, die von den Todesschwadronen direkt hinter ihrem Rücken motiviert werden, vorwärts zu drängen, die sie erschießen werden, wenn sie anhalten (geschweige denn versuchen, sich zurückzuziehen).

In Kombination mit Artillerieunterstützung kann dies zu einigen Ergebnissen führen. Und so machten Jewgeni Prigoschin und seine berüchtigte Wagner-Sträflingsfirma, die zum Kanonenfutter wurde, Fortschritte in der Nähe von Bachmut. Zum Zeitpunkt des Schreibens gehen ihm die Sträflinge und auch die Munition aus – wie er selbst immer wieder in seinen emotionalen öffentlichen Äußerungen ankündigt.

In seiner Fehde mit Schoigu veröffentlichte Prigoschin ein Foto von einem Haufen toter Wagnersoldaten, die an nur einem Tag – dem 21. Februar – getötet wurden. Er sagt, die Hälfte von ihnen wäre noch am Leben, wenn es nicht den „Munitionshunger“ gäbe, der – wie er behauptet – durch Schoigu verursacht wurde, der ihn boykottiere. Andere russische Blogger wie Chodakowski, einer der Kommandeure der glorreichen Wuhledar-Offensive, dementierten diese Aussage - Prigoschin werde endlich einfach so behandelt, wie die alle anderen auch.

Beachten Sie, dass einige Körper halb nackt sind. Wagnersoldaten beraubten ihre eigenen Toten der warmen Kleidung. Der Tod ist schließlich kein Grund, eine noch intakte Baumwolljacke zu verschwenden!

Ein Haufen toter Wagnersoldaten. Aus dem Twitter-Kanal von Anton Gerashchenko. Ich habe sein modifiziertes Foto verwendet, weil die Pixelierung es etwas weniger grausam macht. Jeder Interessierte kann die Originalversion leicht finden. Probieren Sie die wagenerite-Telegrammkanäle aus, wenn Sie wirklich das vollständige unzensierte Bild sehen möchten.

Anscheinend schien dieses blutige Bild zu funktionieren, denn schon am nächsten Tag verkündete Prigoschin, er habe einen weiteren Munitionsvorrat bekommen. Aber selbst wenn er Bachmut endlich einnimmt, wird es ein Erfolg? Die neue Frontlinie wird direkt hinter der Stadt errichtet, also wird dies höchstens ein 6-monatiger Kampf um 5 Kilometer Fortschritt. Bei dieser Geschwindigkeit werden die Russen Kiew nicht vor Ende des Jahrhunderts erreichen.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (7) – Joe Biden in Warschau

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/joe-biden-in-warsaw

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Joe Biden in Warschau

Das Königsschloss als Symbol

Screenshot vom polnischen Fernsehen TVN24. Die Bildunterschrift lautet: Angriff auf ein NATO-Mitglied sei Angriff auf alle, es sei ein heiliger Eid.

Hallo! Dies wird ein Quick’n’Dirty-Kommentar zum POTUS-Besuch in Warschau sein. Wenn Sie sich die Fotos ansehen, ist die Kulisse von Bidens Rede ein wunderschönes Renaissanceschloss, das für diesen Abend mit polnischen, ukrainischen und amerikanischen Farben geschmückt ist.

Technisch gesehen ist es keine Renaissance. Als Symbol der polnischen Unabhängigkeit wurde das königliche Schloss zuerst von den Deutschen im 2. Weltkrieg, dann von den kommunistischen Behörden, die gegen den Wiederaufbau waren, dem Erdboden gleichgemacht.

Das Königsschloss in Warschau im Jahr 1945. Public domain (aus Wikipedia).

Ein Vierteljahrhundert lang gab es an dieser Stelle keine Burg. Der Schutt wurde geräumt und so entstand ein seltsames Viertel. Zumindest die Sigismundsäule - die Überreste sind im Vordergrund zu sehen - wurde rekonstruiert.

1970 löste nach gewalttätigen Ausschreitungen ein kommunistisches Kabinett das andere ab. Das neue Schloss musste dringend der Bevölkerung gefallen, also wurde 1971 die Entscheidung getroffen, das Schloss wieder aufzubauen und zu versuchen, es so authentisch wie möglich zu machen.

Während die Behörden bereit waren, für den Wiederaufbau zu zahlen, traf Professor Stanislaw Lorentz (der für dieses Unterfangen verantwortlich war) die Entscheidung, die meisten Mittel durch Crowdfunding zu sammeln, um die polnische Gesellschaft zum eigentlichen „Eigentümer“ des Schlosses zu machen.

Panoramablick auf das Schloss und die gotische Innenstadt. Foto: Olaf1541, CC BY-SA 3.0

Ich glaube, dieser Ort wurde nicht zufällig ausgewählt. Hier steckt eine tiefe Symbolik. Wenn wir ukrainische Städte sehen, die von der russischen Barbarei zerstört wurden, denken wir an unsere zerstörten Städte im Jahr 1945. Wir haben sie wieder aufgebaut. Wir hoffen, dass die Ukraine dasselbe tut, und wir helfen gerne weiter.

Ist es da verwunderlich, dass wir uns für die Ukrainer einsetzen, nicht für die Eindringlinge?

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff: ,

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (6) – Der Mythos des Donbass-Separatismus

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/the-myth-of-the-donbas-separatism

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Der Mythos des Donbass-Separatismus

"Cause I'm TNT, I'm dynamite. TNT, and I'll win the fight"[*]

In der alten Tradition der guten Debatte, wo man die These des Gegners zuerst zusammenfassen soll – um sicherzustellen, dass man sie richtig versteht – und versucht, sie anschließend zu widerlegen, werde ich mit der Zusammenfassung des „Separatismus-Mythos“ beginnen.

Die Menschen im Donbass wollten sich schon lange von der Ukraine abspalten. 2014 taten sie es, rebellierten und riefen ihre eigenen Republiken aus. Die Ukraine ist böse, weil sie sie nicht anerkannt hat und Russland jedes Recht hat, ihnen zu helfen.

Das Lustigste ist, dass dieser Mythos nur im Westen existiert. Es gibt einen großen Unterschied zwischen „Export“- und „Inlands“-Versionen der russischen Propaganda. Die "inländische" Version, wenn sie über den Krieg im Donbass (2014-2022) schreibt, versucht sie gar nicht zu verbergen, dass es eigentlich keine lokale Rebellion gegeben hat. Sie beschreiben es als eine Aktion einer paramilitärischen Gruppe, angeführt von Igor Girkin – einem Mann, der keine persönliche Verbindung zur Ukraine oder zum Donbass hat (er lebt in Moskau, wo er wahrscheinlich geboren wurde).

Girkin wurde von den russischen Geheimdiensten mit einer Gruppe Schläger in die Ukraine geschickt. Er griff die Regierungsgebäude in Slawjansk an, nahm die Angestellten als Geiseln und rief die separatistische Republik aus. Anschließend wurde er aus der Stadt vertrieben, aber als seine Bande Hilfe aus Russland erhielt, gelang es ihnen, eine Kontaktlinie aufzubauen, die bis 2022 ziemlich Bestand hatte (und bis heute in der Nähe von Donezk änderte sich nicht viel).

Wo sind also die lokalen Separatisten in dieser Erzählung? Nirgends. Sie haben einfach nie existiert (als politische Bewegung, nicht als Witz, wie amerikanische Studenten, die ihren Campus zu einem unabhängigen Staat erklären).

aus redbubble.com

Letzte Woche wurde in Luhansk unter düsteren Umständen ein gewisser Igor Manguschew getötet, eine Person, die selbst für russische Verhältnisse besonders widerlich ist. Anscheinend wurde ihm aus nächster Nähe in den Kopf geschossen, Hinrichtungsstil. Jemand hat ihn im Krankenhaus abgesetzt, wo er starb. Zum Zeitpunkt als ich es schreibe ist nichts Genaueres bekannt (aber das russische Internet ist voller Gerüchte).

Er erlangte internationale Berühmtheit, als er in der Anfangsphase der Invasion, als sie noch glaubten, sie würden gewinnen, während eines Rockkonzerts ein seltsames Stand-up vorführte und sich über den Schädel eines gefallenen ukrainischen Soldaten lustig machte (oder zumindest behauptete er, es solle einer sein - vielleicht hat er nur ein zufälliges Grab ausgeraubt).

aus youtube.com

Anscheinend war Manguschew der Drahtzieher hinter der Verwendung der Buchstaben Z, O und V als militärische Symbole der Invasion. Das beliebteste war das erste und wurde zum Symbol des russischen Imperialismus. Es war seine Idee, lateinische Buchstaben anstelle ihrer kyrillischen Entsprechungen zu verwenden, vielleicht weil er verstand, dass die russische Propaganda Menschen überzeugen soll, die kein Kyrillisch lesen.

Manguschew war wichtig genug, um eine Reihe berührender, persönlicher Nachrufe von Militärbloggern, offiziellen russischen Medien und Veteranen der vorherigen Invasion von 2014 zu inspirieren. Diese Nachrufe wurden natürlich in russischer Sprache für das russische Publikum verfasst. Überprüfen Sie das Zitat unten (aus einem Nachruf, der von Roman Saponkow geschrieben wurde).

aus Telegram-Kanal des @rsaponkov

Saponkow lobt Manguschew als jemanden, der die Umwandlung der mittelmäßigen Russischen Föderation in das Russische Reich, das wahre Russland, in Gang gebracht hat, so wie sie „für die gesamte Zeit ihres Bestehens“ sein sollte. Dieser einzelne Satz sollte all jenen Anstoß zum Nachdenken geben, die sich der Wahnvorstellung von Waters-Chomsky-Musk anschließen, dass „Putin ein rationaler, demokratischer Führer sei, der lediglich die verfolgte Bevölkerung des Donbass schützen wolle“.

An dieser Stelle stimme ich eigentlich mit Saponkow überein: In diesem Krieg geht es nicht um Donbass oder Schmonbass. Es geht um die Wiederherstellung des Zarenreiches.

Laut Saponkow war Manguschew die Schlüsselperson, warum die gesamte Donbass-Operation im Juli 2014 nicht zusammenbrach. Als Strelkow[**] (Girkin)-Truppen die Kontrolle über Slowjansk, ihre ursprüngliche Hauptstadt, verloren, rettete Manguschew sie mit seinen Vorräten. Ohne ihn wäre der „Russische Frühling“ (wie viele Russen die erste Invasion im März 2014 nennen) im „März 2014“ zu Ende gegangen.

Ich verstehe, dass dies ein Nachruf ist, daher werden die Verdienste der verstorbenen Person übertrieben, weil „de mortuis yadda yadda“, aber Saponkow es nicht vollständig erfunden haben kann. Schließlich haben andere Leute, die sich an diese Zeit erinnern, die mit Strelkow/Girkin in Slawiansk waren (wie Simon Pegow / WarGonzo), dies gelesen und mit Saponkow zusammengearbeitet. Girkin liest dies auch. Und seine Geschichte stimmt mehr oder weniger mit anderen Nachrufen für Manguschew überein. Also, lassen Sie mich wiederholen. Der ganze Separatismus wäre zu Ende gewesen, bevor er überhaupt begonnen hatte, wenn nicht ein in Moskau geborener Moskauer Manguschew wichtige Vorräte an einen in Moskau geborenen Moskauer Girkin geliefert hätte. Was ist das für ein Separatismus?

Natürlich, wenn ich sage „vor Girkins Invasion gab es keinen Separatismus“, bekomme ich einen vorhersehbaren Kommentar von einem vorhersehbaren Kommentator, der hastig irgendeinen Iwan Iwanowitsch Iwanow googeln würde, der auch ein Separatist war. Wenn man die Erwartungen niedrig genug setzt, findet man jemanden, der jede Nebensache unterstützt.

Auf meinen Reisen nach Amerika traf ich tatsächlich Leute, die scherzhaft von „Volksrepublik Berkeley“ sprachen oder sogar T-Shirts mit diesem Slogan trugen. Bedeutet das, dass es in Kalifornien einen Berkeley-Separatismus gibt?

Ich war noch nie in Montana, aber ich habe von rechtsextremen Milizlagern dort gehört. Und manchmal lehnen sie die Bundesregierung tatsächlich ab, und das ist kein Scherz. Aber bedeutet das trotzdem, dass der rechtsextreme Separatismus eine tatsächliche Kraft in der Politik von Montana ist – können sie ihre Repräsentanten, Senatoren, Sheriffs, Bürgermeister wählen? Schulbehörde vielleicht?

Ich würde ein Kriterium des gesunden Menschenverstands vorschlagen, dass, um von einer echten separatistischen Bewegung zu sprechen:

  • (a) es eine tatsächliche Organisation mit einem Namen und einer Struktur sein muss, wie Basque National Liberation Movement, Scottish National Party oder Corsica Libera
  • (b) Separatismus muss eines der vorrangigen politischen Ziele dieser Partei/Bewegung sein,
  • (c) sie sollte eine der wichtigsten Parteien in der Kommunalpolitik sein, Abgeordnete, Bürgermeister usw. wählen; oder - falls in einer Diktatur - in der Lage sein, eine Guerilla oder zumindest eine friedliche humanitäre Organisation zu gründen, die in der Lage ist, Lebensmittel und Kleidung zu sammeln (anscheinend brauchte Girkin Manguschew, um selbst die banalsten Vorräte zu beschaffen).

Ich bin offen für die Kriterien anderer Leute, aber wenn wir irgendeinen zufälligen Kerl akzeptieren, der schreit: „Ich hasse die Regierung, ich will mich abspalten“, werden wir die Welt voller Mikrostaaten finden, die sich abspalten wollen. Ich wette, jemand, der gerade in einem Pub in Birmingham sitzt, erklärt seinen Willen, sich von Großbritannien zu trennen. Prost, Kumpel!

Keine der oben genannten Bedingungen wurde im Donbass vor 2014 erfüllt. Die wichtigste „pro-russische“ Partei war die Partei der Regionen. Separatismus stand weder in ihrem politischen Programm noch in den anderen „pro-russischen“ Parteien, die vor 2014 aktiv waren.

Es gab Leute, die über Sezession diskutierten, aber sie bildeten nie eine Partei, die stark genug war, um ein ernstzunehmender Konkurrent in der lokalen Politik zu sein. Und schließlich: Es scheint, dass diese Leute nicht in der Lage oder nicht bereit waren, mit ihren eigenen Mitteln einen Aufstand zu schaffen, sie brauchten in Russland geborene und in Russland ansässige Leute, die dies für sie taten, und später reguläre russische Truppen in nicht gekennzeichneten Uniformen, um die Kontaktlinie aufrechtzuerhalten.

Warum brauchte Putin diese Scharade? Damals wollte er einen Kuchen haben und einen Kuchen essen. In ein Land einmarschieren, während du so tust, als würdest du es nicht tun.

Indem er Girkin-Schläger in die Ukraine schickte, verletzte er mehrere internationale Verträge. Nicht nur das berühmte Budapester Memorandum, sondern auch den russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrag von 1997 und eine ganze Reihe von Verträgen, die Gebietsgewinne durch Invasion grundsätzlich verbieten. Die Sanktionen, die Russland 2022 erhielt, sollten eigentlich schon 2014 verhängt werden, nur wegen der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine. Das ist ein großes No-Go im Völkerrecht.

März 2014: Die sehr lokalen Separatisten, die so natürlich aussehen, dass sie sich leicht in die Menge der Fußgänger einfügen. Ukrainische Separatisten jubeln ihnen mit Plakaten zu, auf denen steht: „WIR WOLLEN UNS TRENNEN“, „WIR LIEBEN PUTIN“, „WIR HASSEN BORSTSCH“. Foto: Sergey Ponomarev über Medusa. HINWEIS für Sehbehinderte: Ich bin sarkastisch.

Die Scharade war albern, denn die Invasionstruppen waren eindeutig genau das: Invasionstruppen. Es war unmöglich, so zu tun, als wären sie ein lokaler Aufstand. Sie trugen russische Ausrüstung und Kleidung, fast so, als hätten sie eine einzige Versorgungsquelle (könnte diese Quelle Manguschew sein? Nein, lokale Separatisten, ganz sicher!).

Russland bestritt, irgendetwas mit den Eindringlingen zu tun zu haben, aber woher könnten sie kommen? Aus dem Weltall? Sie wurden von den internationalen Medien als „grüne Männchen“ bezeichnet.

8 Jahre hat es funktioniert. Es war Unsinn für jeden, der in der Nähe wohnte, aber es war gut genug, um Roger Waters zu täuschen und bezahlten Verrätern wie Gerhard Schroeder eine plausible Leugnung zu liefern.

Wenn die zweite russische Invasion im Jahr 2022 etwas Gutes gebracht hat, dann war es Russlands Scooby-Doo-Moment. Masken ab.

Von seinen Beratern in die Irre geführt, glaubte Putin wahrscheinlich tatsächlich, dass russischsprachige Ukrainer seine Armee mit Blumen begrüßen würden. Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist das nie passiert.

Nehmen wir den Fall von Oleksandr Wilkul – dem Bürgermeister der weitgehend russischsprachigen Stadt Krywyj Rih. Selenskyj stammt aus dieser Stadt und wuchs in einer russischsprachigen Familie auf. So auch Wilkul, jedoch gewann er die Wahl von einer Partei, die sich gegen Selenskyj stellte. Er war genau der Typ, auf den die Russen gehofft hatten. Am ersten Tag der Invasion erhielt er Anrufe von seinen ehemaligen Freunden, die vor langer Zeit nach Russland übergelaufen waren – sie forderten ihn auf, die Stadt aufzugeben und zusammenzuarbeiten.

Stattdessen half er bei der Organisation der ersten improvisierten Verteidigung der Stadt, überzeugte einflussreiche Einheimische (wie Geschäftsinhaber), zu bleiben und zu kämpfen, und er nutzte sein Fachwissen eines Bergbauingenieurs, um die Brücken auf dem Weg zur Stadt zu sprengen. Es funktionierte, die Stadt hielt – genau wie viele andere ukrainische Städte, die von der lokalen Bevölkerung verteidigt wurden, bevor die Armee kam.

Leute wie Wilkul verwandelten den anfänglichen Blitzkrieg in einen Morast. Er begrüßte die Russen nicht mit Blumen, sondern mit „2 Tonnen TNT“.

Warum? Vor dem Krieg gab es einen Witz über zwei alte Männer in Odessa. „Weißt du, Sascha, heutzutage habe ich zu viel Angst, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen.“ „Wegen der Repressionen?“ „Nein, weil ich Angst habe, dass Russen kommen könnten, um mich zu befreien.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

Der Autor der Texte war in der Zeitung für populäre Kultur verantwortlich, deswegen sind seine Texte voll von Anspielungen an Lieder, Filme und Bücher. Ich kann mir vorstellen, dass viele deutschsprachige Leser nicht so einfach die Quellen der englischsprachigen Zitate erkennen können.  Wenn es keine deutsche Version von dem Werk gab, habe ich solche Zitate nicht ins Deutsche übersetzt - dann wären sie erst recht nicht erkennbar. Ich erkläre die Quellen aber:

[*] - es ist ein Zitat aus dem AC/DC Lied "TNT"

[**] - "Igor Iwanowitsch Strelkow" ist ein Pseudonym von dem Igor Girkin, er wird mal mit seinem richtigen Namen, mal mit dem Pseudonym genannt

Ich möchte noch zwei Sachen hinzufügen:

Erstes: Falls es in Donezk eine richtige separatistische Partei oder Organisation geben sollte, wäre ihr Anführer ein natürlicher Kandidat für die Leitung der neuen Republik. Wer ist dieser Leiter? Wer ist der beste Mann, den die Russen finden könnten?

Er heißt Denis Puschilin, und stammt tatsächlich von Region Donezk. Er war früher an einer Finanzpyramide beteiligt, dann war er in einer Partei, die aus dieser Finanzpyramide heraus gegründet wurde. 2013 kandidierte er für ein Parlamentsitz in Kiew-Region, und bekam insgesamt 77 Stimmen. Separatismus war bei ihm kein Thema zu dieser Zeit.

Tatsächlich, der reine Separatist und der populäre Politiker.

Zweite Sache: Das Manöver mit Hilfe an "Separatisten" oder "Unterdrückte" ist eine gängige Masche, die die Russen bei einem Angriffskrieg fahren. Und nur äußerst selten werden tatsächliche Gruppierungen in dem Zielland gefunden, die wirklich Russland zur Hilfe rufen. Das stört aber nicht - Russland macht sich solche Gruppen selber, meistens nicht in dem zu angreifenden Land, sondern bei sich, meistens gleich in seiner Hauptstadt. Und das läuft so seit paar hundert Jahren.

Gegen Polen wurde diese Strategie zweimal gefahren. Einmal war es 1944, als die Rote Armee auf die Gebiete kam, die nach dem Krieg zu Polen gehören sollten. Damals gab es eine polnische Exilregierung in London, die Russen haben aber den Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung in Moskau gegründet, und als die neue, legitime Regierung dargestellt, die später die Macht in Polen übernahm.

Ähnliches passierte viel früher, 1792 (ja, so lange läuft es schon), als Katharina die Größe mehrere polnischen Verräter in Petersburg die "Konföderation von Targowica" unterschreiben ließ, in der eine Bitte stand, dass Russland die Verfassung vom 3. Mai 1791 rückgängig zu machen helfen solle. Die Geschichte endete mit einem Krieg und der zweiten Teilung Polens.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (5) – „Was Roger Waters immer noch nicht begreifen kann“

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/what-roger-waters-still-cant-get

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Was Roger Waters immer noch nicht begreifen kann

Von Zatybrze zu Saporischschja

Ähnlich wie Agent Mulder möchte ich glauben, dass Menschen wie Roger Waters in gutem Glauben handeln und nicht absichtlich Desinformationen verbreiten, nur für eine Handvoll Rubel. Deshalb habe ich diesen Blog gestartet – einen professionellen Lügner kann man nicht überzeugen, aber vielleicht gibt es Hoffnung für jemanden, der einfach kein Russisch spricht, wie Herr Waters, und daher direkte Quellen wie Putin-Reden nicht überprüfen kann?

Tomasz Kurianowicz, Max Kühlem. Roger Waters: „Bringt eure Regierungen dazu, den Krieg zu beenden“. Berliner Zeitung, 03.02.2023. Von rogerwaters.com abgerufen.

Lassen Sie mich mit dem berüchtigten Interview von Roger Waters vom 5. Februar beginnen. Sie sehen einen Ausschnitt, wo der große Musiker behauptet: „Putin hat immer betont, dass er kein Interesse daran hat, die Westukraine zu übernehmen – oder in Polen oder irgendein anderes Land jenseits der Grenze einzumarschieren. Was er sagt, ist: Er wolle die russischsprachige Bevölkerung schützen.“ Es ist offensichtlich, dass Herr Waters sich nie die Mühe gemacht hat, echte Putin-Reden zu lesen, nicht einmal in englischer Übersetzung – geschweige denn sie anzusehen oder anzuhören. Wahrscheinlich kein einziger von ihnen, und definitiv keine Stichprobe, die groß genug ist, um zu behaupten, daß „Putin immer etwas betont hat“. Diese Reden sind vage. Angeblich: Sie sind absichtlich vage. Nach einem Jahr der Invasion wissen wir immer noch nicht, was das Ziel war.

aus Youtube-Kanal von Julia Davies

Am 7. Februar erklärte Margarita Simonjan (Leiterin des Fernsehsenders Russia Today) ihrem Publikum, dass die Ziele der Invasion unklar seien – und das ist gut so. Die Leute fragen sie: „Was sind unsere Ziele? Nehmen wir Kiew oder nicht? Fahren wir weiter nach Berlin und vielleicht nach Lissabon?“. Ihre Antwort: „Es ist aus einem bestimmten Grund vage. Ziele ändern sich je nach Fähigkeiten“. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist Russland nicht in der Lage, die kleine Stadt Wuhledar einzunehmen, die seine Elitetruppen seit Monaten stürmen. Aber es ist ziemlich klar, dass sie Kiew einnehmen und weitermachen würden, wenn sie nur Fähigkeiten dazu hätten (deshalb sind die Länder, die „die Nächsten an der Reihe“ sein könnten, die leidenschaftlichsten Unterstützer der Ukraine). In den russischen Medien hört man ziemlich oft, dass das Ziel der „Speziellen Militärischen Operation“ darin besteht, den Atlantik / den Ärmelkanal / Washington DC zu erreichen. Unten sehen Sie einen Ausschnitt aus dem Interview des Leiters der Wagner-Söldnerkompanie und engen Freunde Putins, Jewgeni Prigoschin, mit Semen Pegov (alias „WarGonzo“), in dem ersterer behauptet, einen Plan zu haben, „wie man Ärmelkanal erreicht“. Wenn Sie versuchen möchten, Ihre Kyrillischkenntnisse aufzufrischen, ist das letzte Wort „La Manche“ in russischer Transliteration.

Der russische Top-TV-Moderator Wladimir Solowjow hat häufig Wutanfälle vor einer Live-Kamera, in denen er davon fantasiert, die USA, Großbritannien, Deutschland, Polen (aber manchmal auch Moldawien, Kasachstan oder einfach jedes andere Land, das sich geweigert hat, Russland zu unterstützen) innerhalb von 24 Stunden zu bombardieren. Es ist oft ziemlich theatralisch – er fantasiert davon, westliche Führer wie Scholz, Macron oder Pistorius zu foltern, er gibt vor, das sie um Gnade schreien (mit einem falschen deutschen Akzent, ja, wirklich!), und dann schreit er als er selbst („Magst du es nicht, eh? Schade, keine Gnade für dich, Swolotsch!").

Der weltberühmte „wütende Solowjow“, aus Youtube-Kanal von Julia Davies

Natürlich spreche ich noch nicht von Putin – nur von den Menschen aus seinem engsten Umfeld. Aber wenn Sie ein russischer Fernsehjournalist sind, können Sie einfach nichts gegen die Parteilinie sagen. Dies ist nicht Amerika, wo Sie Ihren Präsidenten zur Hauptsendezeit offen verspotten können. Sollten Simonjan, Solowjow, Pegov oder ihre Gäste etwas sagen, was der Kreml nicht gutheißt, würden sie einfach aus den Medien (und vielleicht sogar von dieser Welt) verschwinden. Nun zurück zu Putin. Am 23. Februar, kurz vor dem Krieg, hielt er eine öffentliche Rede, in der er über den „Lenins Fehler“ sprach, den er gleich korrigieren werde. Es war ein Fehler, den vom russischen Imperialismus eroberten Nationen das Recht auf Selbstbestimmung einzuräumen. Als das Russische Reich 1917 zerfiel, bildeten viele dieser Nationen tatsächlich ihre provisorischen Regierungen und erklärten ihre Unabhängigkeit. Dazu gehört die Ukraine – aber auch Finnland, Polen, Georgien, Armenien, Litauen, Estland usw. Es ist verständlich, dass wir – Menschen, die in diesen Ländern leben – dieser Rede sehr aufmerksam zugehört haben. Sehr, sehr sorgfältig. Ich glaube, ich könnte es mit der Aufmerksamkeit vergleichen, mit der ich in meiner Jugend Pink FloydsThe Wall“ gehört habe. Wenn Putin den „Lenins Fehler“ korrigieren will – und genau das hat er am Vorabend der Invasion erklärt – kann das nur bedeuten, dass wir die nächsten auf Putins Liste sind. Und Roger Waters liegt mit seiner Bemerkung „Putin hat immer betont“ zutiefst falsch.

aus Youtube-Kanal von Julia Davies

Natürlich können wir uns sicher fühlen, solange Putin nicht einmal Wuhledar einnehmen kann. Aber wie Simonjan es ausdrückte, die russischen imperialen Ziele werden von den russischen Fähigkeiten bestimmt. Wenn russische Fernsehmoderatoren davon phantasieren, London anzugreifen und westliche Politiker zu foltern, wenn Putin in seinen Reden häufig von seinem Willen spricht, das Zarenreich wieder aufzubauen - der einzige Weg für uns, uns sicher zu fühlen, besteht darin, dafür zu sorgen, dass seine Offensivfähigkeiten zunichte gemacht werden. Und sogar die Annexionen vom September widersprechen Herrn Waters Worten. Wenn Putins Ziel lediglich darin besteht, „die russischsprachige Bevölkerung des Donbass zu schützen“, warum dann Saporischschja annektieren? Es war eine sehr seltsame Annexion – zum ersten Mal in der Geschichte behauptete ein Land, ein Gebiet zu „annektieren“, über das es keine physische Kontrolle hatte. Bis heute kontrolliert Russland keine der vier „annektierten“ Regionen zu 100 %. Der Fall von Saporischschja ist der eigenartigste. Zum Zeitpunkt der „Annexion“ hatten die Russen zumindest die Kontrolle über die Stadt Cherson, aber sie verloren sie etwa einen Monat später. Sie erreichten jedoch nie die Stadt Saporischschja, in der etwa die Hälfte der Bevölkerung des Gebietes lebt. Stellen Sie sich nur vor, jemand würde ein Referendum im Bundesstaat New York abhalten, ohne die Kontrolle über New York City oder sogar Albany, nur über einige dünn besiedelte Waldgebiete im Hinterland. Und diese Abstimmung wäre für das ganze Bundesland gültig!

Verrückt? Genau so verrückt wie Mr. Waters Eingeständnis der falschen Referenden. Ich würde sogar sagen: „over the rainbow he is crazy[*]. Während das Wort „Saporischschja“ wie ein weiterer seltsamer slawischer Zungenbrecher klingt, ist es für jeden Slawen eigentlich ziemlich einfach. Sie müssen es nur im Zusammenhang mit unseren berühmten Präfixen und Suffixen verstehen. Das Präfix „sa-“ bedeutet „hinter, nach“. Suffixe „-zchia, -schia, -schtsche“ weisen darauf hin, dass es sich um einen Ortsnamen handelt (die genaue Wahl hängt vom letzten Konsonanten des Wortstamms ab). „Whateverischia“ könnte also „Bereich von Was auch immer“ bedeuten. Das berühmte römische Viertel Trastevere heißt auf Polnisch „Zatybrze“ („zahinter“ + „tybrtiber“ + „rzeGebiet“). Der Wortstamm von Saporischschja ist hier „porohy“, ukrainisch für „Stromschnellen“. Dieser Name bedeutet also einfach „das Gebiet hinter den Stromschnellen [am Fluss Dnipro]“. Auf Polnisch und Russisch haben wir sehr ähnliche Wörter für Stromschnellen, also ist es „Zaporosche“ in der russischen Transliteration. Wenn Sie sich jetzt eine Karte ansehen, macht dieser Name Sinn, wenn Sie von Kiew aus auf Saporischschja schauen - aber nicht, wenn Sie von Moskau aus schauen. Aus dem Osten gesehen liegt Saporischschja nicht „hinter“ Dnipro, sondern davor. Durch die Verwendung dieses Präfixes erkennen die Russen stillschweigend an, dass Saporischschja ukrainisch ist. Was war dann der Sinn dieser Schein-„Annexion“? Niemand weiß. Die Ziele der Invasion sind unklar, und – wie Simonjan im Fernsehen sagte – hat dies einen Grund. Noch im September hielt sich Putin für „fähig“, Cherson zu halten und Saporischschja zu erobern.

Wenn sie in Zukunft ihre „Fähigkeiten“ verbessern: Werden sie Kiew annektieren? Odessa? Charkiw? Nikolajew? Wieder einmal weiß es niemand. Vor allem in der Anfangsphase des Krieges veröffentlichten russische Medien häufig „Karten der Ukraine nach dem russischen Sieg“. Oben sehen Sie die letzte, die mir bekannt ist, von Ende Dezember 2022 (veröffentlicht von „Prawda“). Die ersten Karten enthielten überhaupt keine Ukraine - alles wurde annektiert, einschließlich Kiew. Die letzte enthält zumindest ein kleines Gebiet um Kiew - da es gezeichnet wurde, nachdem die verprügelten Russen Charkiw und Cherson verloren hatten, und teilweise zur Besinnung kamen. Später haben sie aufgehört, solche Karten zu veröffentlichen, und heute sprechen sie tatsächlich hauptsächlich vom Donbass - aber nicht, weil „Putin immer betont hat, er will nichts anderes annektieren“, aber weil je mehr russische Panzer in der Nähe von Wuhledar brennen, desto mehr surreal ist die Vision von russischen Panzern, die in Kiew (ganz zu schweigen von Warschau) einmarschieren. Aber leider bedeutet dies, dass sich selbst Roger Waters in seiner millionenschweren Villa nicht so sicher fühlen sollte. Bei ausreichenden Fähigkeiten können sie ihre Ziele jederzeit ändern und auch sie annektieren.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

Der Autor der Texte war in der Zeitung für populäre Kultur verantwortlich, deswegen sind seine Texte voll von Anspielungen an Lieder, Filme und Bücher. Ich kann mir vorstellen, dass viele deutschsprachige Leser nicht so einfach die Quellen der englischsprachigen Zitate erkennen können.  Wenn es keine deutsche Version von dem Werk gab, habe ich solche Zitate nicht ins Deutsche übersetzt - dann wären sie erst recht nicht erkennbar. Ich erkläre die Quellen aber:

[*] - "Uber dem Regenbogen ist er verrückt" -Es ist ein Zitat aus dem Roger Waters's Text des Liedes "The Trial" aus dem Konzeptalbum "The Wall"

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (4) – Über das NATO-Versprechen an Gorbatchow…

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/about-the-nato-promise-to-gorbachev

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Über das NATO-Versprechen an Gorbatschow...

Komisch, ich liebe Roger Waters immer noch (als Musiker)

Meine persönliche Enttäuschung Nr. 1 in diesem Krieg sind die „progressiven“ Intellektuellen. Es stellt sich heraus, dass ihr Antiimperialismus nicht auf Osteuropa anwendbar ist.

Überprüfen Sie die Art und Weise, wie Noam Chomsky die Erzählung über „NATO-Osterweiterung“ formuliert (Auszug aus CounterPunch). Es ist ihm völlig egal, ob Polen der NATO beitreten „will“. In seinen Augen sind wir nur hirnlose Schachfiguren, die von Clinton in die NATO gezerrt wurden, der „zugab“, dass er es nur aus „innenpolitischen Gründen“ getan hatte.

Chomsky in CounterPunch

„George H. W. Bush … hat Gorbatschow ausdrücklich versprochen, dass sich die NATO nicht über Ostdeutschland hinaus ausdehnen würde, absolut eindeutig. Sie können die Dokumente nachschlagen. Es ist sehr klar. Bush hat sich daran gehalten. Aber als Clinton auftauchte, fing er an, dagegen zu verstoßen. Und er hat Gründe genannt. Er erklärte, dass er dies aus innenpolitischen Gründen tun müsse. Er musste die polnischen Stimmen bekommen, die ethnischen Stimmen. Also würde er die sogenannten Visegrad-Staaten in die Nato lassen. Russland akzeptierte es, mag es nicht, aber akzeptierte es.“

Die letztere Behauptung ist besonders seltsam. Würde irgendein Politiker so etwas wirklich zugeben? In seinem nächsten Interview verwässerte er diese Behauptung auf eine schmackhaftere Version: „Einige haben spekuliert“. Und wieder keine Erklärung, warum Ungarn und Tschechien am selben Tag aufgenommen wurden. Auch aus „innenpolitischen Gründen“?

Er [GW Bush] hat die baltischen Staaten und andere eingebracht“, sagt Chomsky später. Was für ein süßer Spruch! „Eingebracht“, wie Gefangene zum Verhör. Es scheint, dass nichts Noam Chomsky davon abhalten kann, sich Osteuropa als wilde Bestien vorzustellen, die keine eigenen Entscheidungen treffen können. Er muss die Bürde des Westlichen Mannes besonders schwer spüren!

OK, gehen wir also zurück zum „Versprechen“. Warum sehen wir „Ostdeutschland“ in diesem Zitat so, als wäre es ein eigenes Land? Denn zu der Zeit, als James Baker (nicht gerade GHW Bush selbst) dieses Versprechen gab, existierte die DDR noch. Überprüfen Sie die ausgezeichnete Zusammenfassung „Was Gorbatschow gehört hat?“ für eine detaillierte Analyse.

Wie das berühmte Zitat sagt, gibt es Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und Monate, in denen Jahrzehnte passieren. 1990 war voll von solchen Monaten.

Als Gorbatschow im Februar 1990 dieses Versprechen hörte, war die Berliner Mauer bereits gefallen, aber die Deutsche Demokratische Republik wurde noch von der kommunistischen SED regiert. Die sowjetische Armee war in der DDR noch stationiert, ebenso wie in den anderen Ländern des Warschauer Paktes (der damals noch felsenfest wirkte).

Die ersten freien Wahlen in der DDR waren für nächsten Monat geplant und der Ausgang war zu diesem Zeitpunkt ungewiss. Wie wir heute wissen, führte dies zu einem erdrutschartigen Sieg der antikommunistischen, wiedervereinigungsfreundlichen „Allianz für Deutschland“, aber bis zum letzten Tag erwarteten viele westliche „Experten“ einen Sieg der Kommunisten, weil sie behaupteten, die Ostdeutschen würden ihr System tatsächlich mögen (Jonathan Steele, der einst der Schlüsselexperte des „Guardian“ für alles Östliche war, schrieb 1975 ein Buch, in dem er mit der DDR sympathisierte).

Ende 1990 wurde die DDR aufgelöst. Ende 1991 passierte es auch mit Sowjetunion.

Hier kommt die Frage Nr. 1: Ist ein Versprechen an den Führer eines nicht existierenden Landes bezüglich eines anderen nicht existierenden Landes immer noch für die tatsächlich existierenden Länder bindend?

Wird es für immer gelten? Im Jahr 2050? Im Jahr 2150? Im Jahr 2525? Wenn ein Großdoge der Venezianischen Republik dem Herzog von Bamberg, sagen wir, 1225 ein Versprechen gab – ist es dann immer noch bindend für das heutige Deutschland und Italien?

Noch seltsamer wird es bei Frage Nr. 2: Was hat Gorbatschow im Gegenzug versprochen? Finden Sie es nicht seltsam, dass bei all dem Gerede über „was die NATO versprochen hat“, kaum jemand über das spricht, was die Sowjetunion versprochen hat?

Nichts? Das wäre wirklich seltsam. Als Führer eines zerfallenden Imperiums war Gorbatschow nicht in der Lage, einseitige Forderungen zu stellen. Die Tatsache, dass wir nicht über das gegenseitige sowjetische Versprechen sprechen, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gut die russische Propaganda das Narrativ kontrollieren kann.

Sie können diese Versprechen selber finden, googeln Sie einfach nach Gorbatschows Reden von 1988-1990. Zum Beispiel seine Rede vor den Vereinten Nationen, insbesondere die Erklärung, dass die zentralen Grundsätze der sowjetischen Politik „Wahlfreiheit“ und „Selbstbestimmung“ sein werden.

Es klingt wie ein Klischee, aber im Osten haben wir mit großem Interesse zugehört (deshalb erinnere ich mich an diese Versprechen). Sie müssen bedenken, dass, obwohl kein Land jemals gezwungen wurde, der NATO beizutreten, beim Sowjetblock genau das Gegenteil der Fall war. Kein Land meldete sich freiwillig. Wir wurden alle gewaltsam „hineingebracht“ und gegen unseren Willen festgehalten.

Budapest 1956
Budapest 1956 nicht mehr neutral. Foto: FORTEPAN / Nagy Gyula, CC BY SA 3.0

1956 versuchte Ungarn unter einem reformistischen kommunistischen Führer, Imre Nagy, den Sowjetblock zu verlassen und die Neutralität zu erklären. Die Sowjets reagierten mit einer Invasion des Landes, töteten Tausende von Zivilisten, entführten Imre Nagy, folterten ihn zwei Jahre lang und hängten ihn wegen des Verbrechens der Neutralität auf.

1968 versuchte die Tschechoslowakei unter einem reformistischen kommunistischen Führer, Alexander Dubcek, eine vorsichtigere Herangehensweise: Sie trat ausdrücklich NICHT aus dem Sowjetblock aus, wollte dem Sozialismus nur „ein menschliches Gesicht“ geben: nur einige grundlegende Freiheiten, wie Redefreiheit oder Freiheit, ein Kleinunternehmen zu gründen .

Die Sowjets antworteten mit - was sonst? - Einmarsch in das Land. Überraschung, oder? Aber dieses Mal waren sie ziemlich nachsichtig. Nur 137 Zivilisten wurden getötet, nach russischen Maßstäben ist das nichts. Dubcek wurde entführt und zum Rücktritt gezwungen, aber sein Leben wurde verschont.

Allerdings wurde jetzt klar, dass wir im Ostblock keine Wahlfreiheit und kein Recht auf Selbstbestimmung haben. Es wurde informell Breschnew-Doktrin genannt.

Gorbatschows Reden schienen es aufzuheben. Diese Frage stellten wir uns immer wieder – inwiefern? Wenn wir die Freiheit der Wahl und Selbstbestimmung haben, können wir uns dann dafür entscheiden, den Sowjetblock zu verlassen und  NATO beizutreten? „Du forderst dein Glück heraus, kleiner Genosse!“.

Michail und Raisa Gorbatschow
Mikiahil und Raisa Gorbatschow – sie tun so, als würden sie nicht verstehen, dass sie die Pointe des Witzes sind, Bildschirmfoto von TVP Historia

1988 besuchte Gorbatschow Polen. Er sprach mit den kommunistischen Führern und Journalisten, aber auch mit einigen Gelehrten, die mit der demokratischen Opposition in Verbindung standen. Er hörte immer wieder die gleiche Frage: „Gilt die Breschnew-Doktrin noch“? Er hörte es sogar während der Abendunterhaltung, als sich herausstellte, dass der Star des Abends ein sehr beliebter Sänger/Komiker Andrzej Rosiewicz war, dessen Lied[*] im Grunde dieselbe Frage stellte, aber in einer Art Pidgin-Russisch formuliert. Gorbatschow bewahrte sein tapferes Gesicht, aber wie wir heute wissen, war er wütend auf seine Berater, die es versäumt hatten, ihn auf dieses Maß an Offenheit vorzubereiten. Er gab einige vage Antworten, die wir als Bestätigung des UN-Versprechens werteten: „Ja, du bist souverän, du kannst tun, was du willst“. Der Kommunismus in Polen war in einem Jahr verschwunden.

Im Oktober 1989 erklärte Gorbatschows Sprecher Gerasimov scherzhaft, von nun an gebe es nur noch die Sinatra-Doktrin – alle Länder könnten „ihren Weg gehen“. Dies ist der Hintergrund für die „NATO-Versprechen“ von 1989-1991: Es wurde als Reaktion auf Gorbatschows Versprechen gemacht, dass die Sowjetunion von nun an diese üble Gewohnheit der Invasion von Nachbarländern aufgeben wird.

Ich hoffe, dass sogar Noam Chomsky zustimmen würde, dass dieses Versprechen seitdem mehrfach von der Sowjetunion und Russland gebrochen wurde und daher das Versprechen „keine NATO-Erweiterung“ zunichte gemacht ist. Auch wenn Chomsky aufgrund einer verdrehten Logik denkt, dass das dem Führer der UdSSR in Bezug auf Ostdeutschland gemachte Versprechen irgendwie gültig und bindend für das heutige Russland und die Ukraine ist.

Gorbatschow selbst hat sein eigenes Versprechen bereits im Januar 1991 gebrochen. Damals waren die baltischen Staaten noch nicht einmal formell unabhängig, sie gehörten zur Sowjetunion. Ihre lokalen Obersten Sowjets erklärten jedoch Anfang/Mitte 1990 einseitig die Unabhängigkeit. Anfangs wurde sie von keinem anderen Land anerkannt, nicht einmal von den USA, und führte zur Wirtschaftsblockade von der Seite der Sowjetunion in der Hoffnung, dass diese lästigen Balten einmal wirklich hungrig werden und wegen Kälte im Winter zu Mutter Russland zurückkehren.

Es geschah nicht, also reagierte die Sowjetunion im Januar 1991 … wie? Nun, Sie haben drei Versuche um es zu erraten.

Diesmal töteten sie 13 unbewaffnete Zivilisten. Bitte beachten Sie, dass die litauische Bevölkerung zehnmal kleiner war als die tschechoslowakische, also ist es nicht so, dass sie humanitärer geworden wären. Diesmal sind sie nur in ein wirklich kleines Land eingedrungen.

Das Massaker in Vilnius führte zu Massendemonstrationen zur Unterstützung Litauens in allen postsowjetischen Ländern, einschließlich Polen. Ich bin ein winziges Detail auf dem Foto unten!

Pro-litauische Demonstration in Warschau. Foto: PAP/ Cezary Słonimski

Es war uns allen (Polen, Rumänien, Ungarn usw.) eine Lehre, dass sowjetisch-russische Versprechungen wertlos sind. Sie versprechen, dass sie dich deinen eigenen Weg gehen lassen, sie versprechen, deine Wahl zu respektieren, sie mögen witzig und charmant sein und Frank Sinatra zitieren … und sie werden immer noch dich überfallen und deine Zivilisten töten, denn so ticken sie, so sind sie, dies ist der russische Weg seit Iwan dem Schrecklichen.

Kein Wunder also, dass sich die postsowjetischen Staaten so schnell wie möglich bei der Nato bewerben wollten. Die Unterstützung war nahezu einstimmig. Als Lech Walesa eine unkluge Bemerkung machte, dass die postsowjetischen Länder vielleicht ihre eigenen Bündnisse gründen sollten, anstatt sich bei der NATO und der Europäischen Gemeinschaft zu bewerben, wurde er von allen kritisiert, einschließlich seiner glühendsten Unterstützer.

Im Mai 1992 verabschiedeten Polen, Tschechien und Ungarn eine gemeinsame Erklärung, dass dies unser gemeinsames Ziel ist. Die NATO wollte uns nicht unbedingt reinlassen, sie wollte wissen, ob Russland damit einverstanden ist.

Während des Besuchs von Boris Jelzin in Warschau im Jahr 1993 war es die ihm am häufigsten gestellte Frage:  „Werden Sie einmarschieren, wenn wir versuchen, der NATO beizutreten?“. Okay, vielleicht nicht genau in diesem Wortlaut, aber das war wirklich das einzige, was wir von Russland wollten. Die beste Belohnung, die Russland den Ländern im russischen Einflussbereich anbieten kann, ist die Erlaubnis, den russischen Einflussbereich zu verlassen. Kein Gas, kein Öl, kein Gold kann den Mangel an Freiheit kompensieren.

Lech Wałęsa und Boris Jelzin unterzeichneten gemeinsam eine Erklärung, dass Russland den polnischen Wunsch, der NATO beizutreten, „versteht“. Dies kann natürlich auf zwei Arten gelesen werden – „versteht und akzeptiert“ oder „versteht und lehnt ab“. Russland veröffentlichte sofort eine Erklärung, dass nur die letztere Version korrekt sei, und die russische Propaganda verbreitete ein Gerücht, dass Jelzin nicht in seiner besten Verfassung war, als er dieses Dokument unterzeichnete, weil Wałęsa ein erfahrenerer Trinker war, der Alkohol besser vertragen konnte (ich bezweifle es aus mehreren Gründen).

Als Reaktion darauf schuf die NATO ein Programm namens „Partnerschaft für den Frieden“, zu dem alle postsowjetischen Länder eingeladen wurden – einschließlich Russland. Für einige Länder stellte es sich als ein Überholspur zum Nato-Beitritt heraus, andere waren mit ihrer Rolle als bloße Beobachter zufrieden.

Das Programm sollte gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Wenn Sie teilnehmen, können Sie sagen: „Alter, was macht diese Panzerdivision so nahe an meiner Grenze?“ und Sie können Ihre Inspektoren schicken, um es selbst zu überprüfen.

Russland trat am 22. Juni 1994 bei (ein symbolisches Datum: Jahrestag des deutsch-sowjetischen Krieges).

Bitte lassen Sie mich wiederholen: Russland ist dem NATO-geführten Programm beigetreten. Wann haben sie aufgehört? Niemals. Technisch gesehen sind sie immer noch Mitglied, obwohl sie alle ihre Aktivitäten eingefroren haben.

Partnership for Peace
Partnerschaft für den Frieden (Wikipedia-Ausschnitt)

Nun, hier ist ein spezieller Absatz, der all jenen gewidmet ist, die rhetorische Fragen stellen wie „Würden die USA es akzeptieren, wenn Mexiko/Kanada sich Russland/China anschließen und ihre Militärbasen an der US-Grenze haben würden“. Um es relevant zu machen, müssten wir uns auch vorstellen, dass Russland/China ein Äquivalent zum Programm „Partnerschaft für den Frieden“ hat, das es den US-Verbindungsbeamten ermöglicht, zu überprüfen, was in diesen Stützpunkten vor sich geht und was ihr wirklicher Zweck ist. Wenn dies der Fall wäre … warum nicht?

Wenn jemand, der dies liest, Zugang zu Noam Chomsky hat: sagen Sie ihm bitte, dass, wenn Russland sich wirklich von der NATO „bedroht“ fühlt, sie einfach Partnership For Peace verwenden kann, um zu überprüfen, was in jeder NATO-Basis vor sich geht.

Aber seien wir ehrlich. Gorbatschow marschierte im Januar 1991 nicht in Litauen ein, weil er sich von Litauen bedroht fühlte. Breschnew marschierte im August 1968 nicht in die Tschechoslowakei ein, weil er sich von der Tschechoslowakei bedroht fühlte. Chruschtschow marschierte nicht in Ungarn ein, weil er sich von Ungarn bedroht fühlte.

Sie marschieren ein, weil sie es können. Deshalb sind wir trotz aller Unterschiede in Polen und den Nachbarländern mehr oder weniger einig in dem Ziel, dafür zu sorgen, dass sie es nicht mehr können.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

[*] - Das Lied war auch in Deutschland bekannt, jemand hat es als ein eigenes Werk dargestellt, das ganze endete in einem Rechtsstreit. Ich kann aber im Moment nicht finden, wer es war, für Hinweise wäre ich dankbar. Dann hat es noch die Nina Hagen in "Michail, Michail, Gorbachev Rap" zitiert.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (3) – „Warum unterstützt kein slawisches Land Russland?“

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/why-no-slavic-country-support-russia

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Warum unterstützt kein slawisches Land Russland?

Ja, ich weiß, Weißrussland. Aber sie können nicht frei wählen, oder?

Kiew - Moskau Zeitachse

Im Februar 2022 postete die US-Botschaft in Kiew das obige Meme auf ihrer Facebook-Seite, was für einigen Applaus, aber auch für Aufruhr sorgte. „Sie schaffen Spaltungen in der slawischen Welt!“ - sagten einige Leute, die sich klar eine Märchenwelt vorstellten, in der alle slawischen Nationen vereint sind.
Es war nie so. Es gab eine kurze Periode von 1945 bis 1948, als Stalin scheinbar alle slawischen Nationen unter seinem Joch hatte, aber seine Kontrolle über Jugoslawien war bestenfalls nominell, und sie endete nach seinem Bruch mit Tito.

Die Frage, warum wir nicht in einem gemeinsamen panslawischen Land leben wollen, ist berechtigt. Ich verstehe, warum die Leute im Westen danach fragen - ich fand es auch immer schwer zu verstehen, warum es Spanien und Portugal gibt. Oder Schweden und Norwegen. Oder USA und Kanada. Aus unserer Perspektive scheinen auch Kulturen dieser Länder sehr ähnlich zu sein.

Bevor ich zu antworten versuche, schauen Sie auf die Karte unten. Sie zeigt das größte Gebiet, das jemals von Kiewer Rus kontrolliert wurde – einem mittelalterlichen Reich, das gemeinhin als Wiege der russischen Kultur gilt. Diese Karte zeigt es am Ende ihres Ruhms, bald wird die mongolisch-tatarische Invasion der Goldenen Horde sie für immer von der Karte löschen.

Bereits vor der Invasion zerbröckelte Kiewer Rus unter der feudalen Zersplitterung – man sieht, wie einige Splitterstaaten entstehen. Bitte bemerken Sie die Abwesenheit von Moskau.

Kiewer Rus Karte
Yuri Koryakov CC BY SA 2.5

Zunächst einmal: Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass zu diesem Zeitpunkt westlich dieses Gebiets bereits slawische Staaten existierten. Das heutige Polen, Tschechien, Serbien, Kroatien usw. behaupten, ihre direkten Nachkommen zu sein. Sogar die Slowakei, obwohl es vor 1939 nie einen Staat mit diesem Namen gab, behauptet, ein Nachkomme des Fürstentums Nitra zu sein.

Diese Behauptungen sind mehr oder weniger zweifelhaft. Im Gegensatz zu Frankreich oder England kann kein zeitgenössisches slawisches Land eine ununterbrochene Kontinuität mit seinem Vorgänger aus dem 9. Jahrhundert beanspruchen. Nicht einmal Russland!

Wir alle hatten eine Zeit, in der wir „von der Landkarte abwesend“ waren – überrannt, geteilt, unterworfen von den Habsburgern, Osmanen, Deutschen, Russen, Schweden (verrückt! Ich weiß!) und so weiter. Unsere wichtigsten literarischen Werke beschäftigen sich oft mit diesem Thema – wie „wir“ unsere Staatlichkeit verloren, wie „wir“ den nationalen Geist in der Zeit der Unterdrückung bewahrten und wie „wir“ unser wohlverdientes Comeback errangen.

Ich setze „wir“ in Anführungszeichen, denn wenn ein Land von der Landkarte verschwindet und Jahrhunderte später wieder auftaucht, ist es immer noch dasselbe Land? Das ist hier eigentlich irrelevant, denn – wie der Dichter Rittersporn/Jaskier im „Witcher“-Franchise gerne sagt – es ist egal, was passiert ist, was zählt ist, wie ich es in meiner Ballade beschreibe. Ein sehr slawischer Ansatz!

Geralt und Rittersporn
Rittersporn (Jaskier) und Geralt The Witcher. ©Netflix.

Während es keine direkte Kontinuität zwischen dem mittelalterlichen Königreich Polen und der heutigen Republik Polen gibt (dasselbe gilt für Kroatien, Serbien, Tschechien usw.), „fühlen“ wir uns emotional mit „unseren“ Vorfahren verbunden. Dies ist ein sehr wichtiger Faktor, wenn man versucht, die mittelosteuropäische Politik zu verstehen.

Der durchschnittliche Deutsche hält nicht allzu viel von Heinrich dem Ersten. Aber in den slawischen Ländern setzen wir unsere mittelalterlichen Könige auf unsere Banknoten, wir benennen unsere Straßen nach ihnen und schmücken sie mit ihren Denkmälern, und das Wichtigste von allem: Unsere Bestseller-Bücher und Blockbuster-Filme handeln oft von ihrer Zeit.

In London gibt es keine Straße von William The Conqueror, aber in den meisten polnischen Städten finden Sie eine Straße von Boleslaw dem Tapferen. Wir hätten wahrscheinlich sogar Æthelred dem Unberatenen eine kleine Gasse gewidmet, wenn er unser König gewesen wäre.

Das geht bis ins kleinste Detail. Sollten Sie jemals Krakau besuchen, werden Sie zwei Dinge bemerken. Einer davon ist der Trompetenruf, der stündlich vom höchsten Turm der gotischen Kathedrale gespielt wird. Die Melodie endet abrupt mit einem falschen Ton.

Es gibt eine Legende, dass dies getan wird, um den Stadtwächter zu ehren, der den Ruf spielte, um die Menschen vor der bevorstehenden mongolischen Invasion im 13. Jahrhundert zu warnen. Sie schossen mit einem Pfeil auf ihn, aber die Krakauer hatten Zeit, die Tore zu schließen.

Diese Legende ist komplett gefälscht. Es wurde zuerst von einem Amerikaner in Krakau gemeldet, der von den Einheimischen zum Narren gehalten wurde. Zunächst einmal wurde Krakau 1241 von den Mongolen geplündert. Leider gab es keinen Trompeter, der den Tag retten konnte.

Genau wie in den Balladen von Rittersporn – die Wahrheit spielt hier keine Rolle! Wichtig ist, dass jedes Kind in Polen die Legende kennt. Jeden Tag genau um 12.00 Uhr wird der Trompetenruf live von Radio Warschau Eins aus Krakau übertragen (natürlich auch eine mittelalterliche Tradition!), und wir haben früher unsere Uhren nach diesem Signal gestellt. In Zeiten des Internets macht das wenig Sinn, aber die Abschaffung dieser Tradition würde zu Straßenunruhen führen.

Wenn Sie also in Polen sind, werden Sie diese Melodie wahrscheinlich mittags in einem Café oder Restaurant hören, vorausgesetzt, das Radio ist auf Warschau Eins eingestellt. Lernen Sie außerdem Lajkonik kennen - es ist ein halboffizielles Maskottchen von Krakau, ein seltsamer Typ mit einem hölzernen Pferd, gekleidet in orientalisch anmutende Kleidung und mit falschem Bart.

Lajkonik
Wandbild mit Lajkonik. Foto: Mateusz Drożdż, CC BY SA 4.0

Diese Legende ist mittelalterlich (diesmal wirklich: es gibt Quellen, die sie bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen). Lajkonik ist Ihr freundlicher Eindringling, der zum Plündern und Vergewaltigen kam und für die Party blieb. Krakau ist voll von seinen Bildern und die Leute, die ihn auf der Straße von Krakau cosplayen, bieten Ihnen eine großartige Gelegenheit zum Fotografieren (für etwas Kleingeld).

Und es ist nicht so, dass wir nur dieser mongolischen Invasion aus dem 13. Jahrhundert gedenken. Wir widmen den nachfolgenden Invasionen, Kriegen und Aufständen aus dem 14., 15., 16., 17., 18., 19. und natürlich dem verdammten 20. Jahrhundert viel Aufmerksamkeit.

Über all das machen wir uns jeden Tag viele Gedanken. Wir tun dies sogar bei so alltäglichen Aufgaben wie dem Einsteigen in einen Zug (Intercity Lajkonik Gdynia-Krakau) oder dem Stellen der Uhr. Bildlich gesprochen sind unsere Uhren auf die Zeitzone 1241 eingestellt.

Dies gilt mehr oder weniger für alle slawischen Nationen, sogar für Russland. Westliche Politiker vergessen das oft. Sie sprechen gerne über die Gegenwart und die Zukunft, und wir haben immer das Bedürfnis, über unsere Vergangenheit zu sprechen (beachten Sie, ich tue es gerade jetzt!). Sollten Sie jemals einen Deal mit einem zentralöstlichen Land aushandeln, erwägen Sie, Ihren Angebot wie folgt aufzubauen: „Ihr großer König Tomislav würde den Deal, den ich anbiete, sicherlich genehmigen“ (HINWEIS: Beziehen Sie sich nicht auf einen kroatischen König, wenn Sie in Serbien sind, an einen serbischen in Bosnien usw.).

Nachfolgend finden Sie eine Erinnerung an eine äußerst erfolgreiche Werbekampagne von 1990, als ein modernes Waschpulver auf sehr verdrehte, aber lustige Weise mit dem polnisch-schwedischen Krieg von 1655 in Verbindung gebracht wurde. Es inspirierte eine Reihe von Nachahmern, zunehmend verdreht und immer weniger lustig.

Opritschniki

Kehren wir zu unserer Karte von Rus zurück. In den Jahren 1236-1241 zerstörte die Invasion von Batu Khan fast alle Splitterstaaten und Rus verschwand für immer von der Landkarte.

Warte, was!? Für immer? Ja. Russland ist nicht dasselbe wie Rus (Ruthenien). Jede europäische Sprache hat eine Möglichkeit, sie zu unterscheiden (im Russischen ist dies „Rossiya“ versus „Rus“).

Rus ist ein breiter Name für alle Nationen mit ruthenischer Kultur - derzeit Weißrussland, Ukraine und Russland. Russland ist aus dem Großfürstentum Moskau hervorgegangen, einem Splitterstaat des Fürstentums Wladimir-Susdal, der selbst ein Splitterstaat der Kiewer Rus war.

Es gibt sogar ein drittes Wort: Russinnen. Es bezeichnet die Menschen mit ruthenischer / ostslawischer Kultur, die sich nicht mit einer slawischen Mainstream-Nation identifizieren. Während der zahlreichen ethnischen Säuberungen im letzten Jahrhundert wurden sie gezwungen, die Wahl („Bist du Pole oder Ukrainer?“) buchstäblich mit vorgehaltener Waffe zu treffen, so dass nur sehr wenige von ihnen übrig bleiben.

Die Russen sehen sich als die einzigen legitimen Nachfolger der Kiewer Rus, aber das kann man weder beweisen noch widerlegen. Es ist nicht wissenschaftlich. Es ist nur eine Ballade, die von ihren Rittersporns gesungen wird, während unsere Rittersporns andere Lieder singen.

Wie genau erschien das Großfürstentum Moskau auf der Karte? Ihr Rittersporn singt ein Lied davon, wie Alexander Newski und Iwan Kalita ein schlaues Spiel mit den mongolischen Invasoren spielten. Mehr als zwei Jahrhunderte lang gaben sie vor, die treuen Vasallen des Khans zu sein, die auf den richtigen Moment warteten, der 1480 kam. Sie befreiten sich vom mongolischen Joch und vereinten anschließend die meisten ruthenischen Länder (aber nie alle, da in den in der Zwischenzeit eroberte die polnisch-litauische Union Weiß- und Rotruthenien und bewahrte die Kerne des zukünftigen Weißrusslands und der Ukraine).

Unsere Balladen sind anders. Wir betonen die Tatsache, dass das Großfürstentum Moskau seinen Wohlstand den mongolischen Eindringlingen verdankte. Die Fürsten von Moskau waren die Favoriten des Khans – bis zu dem Punkt, an dem sie ihre Armeen entsandten, um dem Besatzer zu helfen, die antimongolischen Aufstände in den anderen ruthenischen Städten zu befrieden.

Russen töten Russen im Namen der Mongolen! Das ist ein großes No-Go in der slawischen Kultur. Wir schätzen die Helden, die lieber sterben als sich vor dem Besatzer beugen, wie den tapferen Prinzen Michail von Twer, der 1318 von den Mongolen hingerichtet wurde. Der Gehorsam der Fürsten von Moskau erscheint uns leicht … wie soll ich sagen? Unslawisch.

Der in den anderen slawischen Sprachen (insbesondere in Polen und der Ukraine) beliebte ethnische Schimpfwort für die Russen lautet „Katsaps“ (auf polnisch wird es im Singular "kacap" geschrieben) . Angeblich leitet es sich von einem türkischen Wort für einen Tatarenbart ab und enthält somit eine nicht ganz so subtile Anspielung darauf, dass „das nicht einmal echte Slawen sind!“. Ich bin natürlich gegen jegliche Verwendung von Schimpfwörtern, ich erwähne es nur als Hinweis.
Übrigens: Alle hierin enthaltenen Erwähnungen von „Mongolei“ oder „Tataren“ beziehen sich ausschließlich auf das Mittelalter. Der gegenwärtige mongolische Staat ist friedlich und demokratisch, ein leuchtendes Beispiel, dem man folgen sollte. Und die zeitgenössischen Tataren sind die beliebteste ethnische Minderheit in den slawischen Ländern, insbesondere in Polen.

Wenn sich Menschen im Westen die Frage stellen „Wie ist es möglich, mit islamischen Minderheiten zusammenzuleben“, haben wir über 5 Jahrhunderte friedlichen Multikulturalismus mit den polnischen Tataren. Nachdem sie dieses Plünderungsding aufgegeben und sich niedergelassen hatten, erwiesen sie sich als sehr nette Kerle. Vielleicht steckt also ein Körnchen Wahrheit in der Legende von Lajkonik?

Inzwischen in Moskau... Der Status der „bevorzugten Prinzen des Khans“ ermöglichte den Herrschern von Moskau, die meisten anderen ruthenischen Städte zu erobern. Mitte des 15. Jahrhunderts waren sie mächtig genug, um sich die Herrscher der gesamten Rus zu nennen.

Prinz Iwan III. heiratete die letzte byzantinische Prinzessin Zoe Palaiologos und ernannte sich selbst zum Kaiser (Zar), dem Erben des gefallenen Byzantinischen Reiches. Er übernahm das byzantinische Wappen (Doppeladler) und – entscheidend – die byzantinischen Hofrituale, in denen der Kaiser wie eine Gottheit verehrt wurde.

Opritschniki von Nikolai Nevrev (1888). Iwan der Schreckliche genießt die Hinrichtung.

Damit haben sie sich weiter vom Rest der slawischen Welt entfremdet. Sehen Sie, wir mögen es, wenn unsere Könige, unsere Präsidenten und sogar unsere Militärdiktatoren „wie der Rest von uns“ sind (oder zumindest so tun). Wir wollen, dass sie „die Ersten unter Gleichen“ („primus inter pares“) sind.

Wir vergöttern die Kriegerkönige, die das Zelt mit ihren Truppen teilten, oder die Städterkönige, die durch die Straßen gingen und mit dem einfachen Volk sprachen. Der polnische Militärdiktator der 1920er Jahre bestand bekanntermaßen darauf, im regulären Zug im Abteil der zweiten Klasse zu reisen. Nochmals: Das sind nur die Balladen, die unsere Rittersporns singen, aber sie zeigen, welche Art von Anführern wir haben wollen.

Wenn wir Putin am königlichen Ende seiner langen Tafel sitzen sehen, sehen wir etwas entschieden Unslawisches. Die zeitgenössischen russischen Führer erbten die Bräuche der bolschewistischen Führer, die die Bräuche der Zaren erbten, die auf einer Verschmelzung von mongolischen/tatarischen Khans und den byzantinischen vergötterten Kaisern basierten.

Putin am Tisch

Wenn der Zar seine Untertanen empfing, sollten sie sich in niedergestreckter Haltung (Arme ausgestreckt, Gesicht nach unten) hinlegen und mit der Stirn auf den Boden schlagen. Wir hatten unser slawisches Wort für Headbangenczołobitnosc – lange bevor die Heavy-Metal-Musik im Westen erfunden wurde!

Zar Paul I. dehnte dieses Ritual im Jahr 1800 (berüchtigterweise) auf alle aus, die das Pech hatten, ihm auf der Straße zu begegnen. Egal wie schmutzig es war, sie sollten mit dem Gesicht nach unten in den Schlamm fallen, um ihren Respekt vor dem sakrosankten Tyrannen zu zeigen. Ist es so seltsam, dass wir, die anderen Slawen, solche Anführer nie haben wollten? Möchten Sie so einen haben?

Im 19. Jahrhundert, als Polen noch nicht auf einer Landkarte war (erinnern Sie sich?), wurde das Wort „byzantinisch“ von den polnischen Schriftstellern verwendet, um die russische Zensur zu umgehen. „Sag mir, dass du Russland kritisierst, ohne mir zu sagen, dass du Russland kritisierst.“ „Sicher, Kumpel – Gott, ich hasse Byzanz!“.

Noch heute wird „Byzantinisch“ im allgemeinen Sprachgebrauch als Metapher für entfremdete, arrogante, missbräuchliche Macht verwendet. Wenn Sie unsere Geschichte nicht kennen, könnten Sie sich fragen, was Konstantinopel getan hat, um die Polen zu beleidigen, dass wir immer noch den Groll hegen.

Während die Niederwerfung vor Putin nicht mehr erforderlich ist, mischen sich die russischen Führer nie unter ihre Untertanen auf der Straße. Sie genießen spezielle Straßenspuren, die den besten Kreml-Apparatschiks vorbehalten sind. Auf dem Kutusow-Prospekt im Stau zu stehen und die leere „Nur fur Kreml“-Spur zu beobachten, kann ebenso demütigend sein.

Kreml-Spur
Kutusow Prospekt mit der Kremlgasse in der Mitte, mos.ru CC BY 4.0

Wenn Sie zu den anderen slawischen – oder sogar ruthenischen – Nationen gehören, sehen Sie es nicht als Teil Ihrer Kultur. Im Gegenteil, Sie sehen eine schreckliche Mischung aus den barbarischen Khans und den entfremdeten Kaisern - Dschingis Palaiologos, nicht den guten alten König Slawianski.

Dies ist einer der Gründe, warum pro-russische Politiker in keinem slawischen Land (einschließlich Serbien, ihrem traditionellen Verbündeten) eine Chance haben, die Wahl zu gewinnen. Der Panslawismus ist politisch tot, und er starb lange vor diesem Krieg (deshalb waren wir alle so gierig darauf, der NATO und der EU so schnell wie möglich beizutreten).

Zu Beginn des Krieges besuchte Joe Biden eine Militäreinheit in Polen und teilte eine Pizza mit den einfachen Soldaten. Sie brachten ihn dazu, Peperoni-Jalapeno zu essen, und er beendete es tapfer mit einem Lächeln (man konnte jedoch Tränen des Schmerzes in seinen Augen sehen).

Ich weiß nicht, ob es spontan war, und ich weiß nicht, wie es im Westen aufgenommen wurde – aber ich weiß, dass man so die Herzen und Köpfe in den slawischen Ländern gewinnt. Sie gewinnen sie, indem Sie eine Mahlzeit mit den einfachen Leuten teilen – nicht etwas schicki-micki, mit einem Hubschrauber aus einem Michelin-Sterne-Gourmetrestaurant „Le Pizza“ geliefert, sondern eine zwanglose 8-Dollar-Pizza, die ein durchschnittlicher Kowalski zu Mittag isst.

Ich verstehe, dass alle Politik ein Theater ist und dies wahrscheinlich von Mitarbeitern des Weißen Hauses inszeniert wurde, die sich mit der slawischen Kultur auskennen (Scholz und Macron könnten ihren Rat gebrauchen). Schauen Sie bitte, wie sich die Pizzeriabesitzer auf diese Episode beziehen.

Ostry Joe Pizza

Sie benannten diese spezielle Pizza in „Ostry Joe“ um. Doppeldeutig, denn „Ostry“ ist im gastronomischen Kontext wörtlich „scharf“, aber wenn man es mit einem Namen verbindet, sieht es aus wie ein Spitzname, irgendetwas zwischen „Joe der Scharfe“ und „Joe Messer“. Deshalb wird das Wort „Ostry“ zweimal erwähnt: einmal im Pizzanamen und einmal in Klammern („Achtung: SCHARF!“).

Die Restaurantbesitzer waren sicherlich stolz darauf, über Nacht zu einem Symbol der polnisch-amerikanischen Freundschaft geworden zu sein, sie haben einige Interviews gegeben, aber bitte beachten Sie, dass sie auf ihrer Website nicht damit prahlen. Es gibt nur eine dezente US-Flagge im Hintergrund. Es zu ernst zu nehmen wäre zu byzantinisch, ihre Stammkunden würden es nicht mögen.

Sie nannten es nicht „Präsidenten Pizza“ oder „Joe Biden’s Pizza“. Sie wählen „Joe der Scharfe“ und verwandeln es in einen Witz, der an eine Rittersporn-Ballade des legendären slawischen Kriegerkönigs „Ziutek den Scharfen“ erinnert.

Stellen Sie sich nun vor, Wladimir Putin teilt 8-Dollar-Pizza mit gewöhnlichen Soldaten. Können Sie es nicht? Ich kann's auch nicht. Herzlichen Glückwunsch, ich denke, Sie verstehen jetzt, warum keine slawische Nation der „russischen Welt“ beitreten möchte (selbst wenn sie sich selbst als Ruthenen betrachten).

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack(2) – „Die Ukraine ist wie Irland“

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/ukraine-is-like-ireland

------ Anfang des Gastbeitrages ------------------------

Die Ukraine ist wie Irland

Russisch zu sprechen, bedeutet nicht Russe zu sein

Stellen Sie sich vor, Sie surfen in den sozialen Medien, kümmern sich um Ihre eigenen Angelegenheiten und plötzlich stoßen Sie auf einen folgenden Plan für Irland:

Irland sollte mit dem Vereinigten Königreich wiedervereinigt werden. Dies ist ein historisch englisches Territorium. Die Mehrheit der Bevölkerung spricht Englisch, sie sind eigentlich Briten, die mit der nationalistischen irischen Ideologie einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Die irischen Nationalisten sind Terroristen und Nazis (erinnern Sie sich an William Joyce? Warum spricht niemand über ihn? Was versuchen die Mainstream-Medien zu verbergen?). Irland ist ein künstliches Land, es war vor 1922 nicht auf der Landkarte (Irrtum von Lloyd George!). London hat jedes Recht, Dublin zu bombardieren, um die englischsprachige Bevölkerung zu schützen.

Sie werden es wahrscheinlich für das Dümmste halten, was Sie heute gelesen haben. Auch wenn man Promi-Klatsch auf Instagram in Betracht zieht.

Herzlichen Glückwunsch, jetzt fühlen Sie sich wie die Osteuropäer, wenn uns Elon Musk, Roger Waters oder Tucker Carlson mit ihrem Expertenwissen über unsere Region aufklären. Jeder Satz in diesem Absatz ist eine direkte Parodie auf ähnliche Behauptungen in Bezug auf die Ukraine („Die Ukraine hat vor 1917 nicht existiert! Chruschtschows/Lenins Fehler! Sie sprechen Russisch! Dies sind historisch russische Länder! Und was ist mit dem Bandera?“).

Eine Behauptung finden wir besonders ärgerlich. Es ist die Annahme, dass „Russisch sprechend“ mit „Russisch“ verbunden ist (und die unmittelbare Schlussfolgerung, dass jemand, der „Russisch spricht“, es einfach nicht erwarten kann, von Putin „beschützt“ zu werden).

Irgendwie scheinen die Menschen im Westen ziemlich an die allgemeine Vorstellung gewöhnt zu sein, dass Englisch zu sprechen noch lange nicht heißt, ein Engländer zu sein. Sie könnten ein englischsprachiger Ire, ein englischsprachiger Kanadier, ein englischsprachiger Amerikaner oder vielleicht sogar ein englischsprachiger Australier sein (bei genauerem Nachdenken, streichen Sie das letzte Beispiel).

Frankophon zu sein, macht Sie nicht zu einem Franzosen. Spanisch zu sprechen macht dich nicht zum Spanier. Selbst das Sprechen von Schwedisch macht Sie nicht zu einem Schweden (es gibt eine beträchtlich große Population schwedischsprachigen Finnen).

Wenn Sie sich die Karte der heutigen Welt ansehen und sie mit einer historischen Karte von, sagen wir, 1830 vergleichen, werden Sie auf ersterer viele Länder finden, die auf letzterer fehlen. Sind sie alle „künstlich“?

Sie haben sich ihren Platz auf dieser Landkarte erobert, indem sie Kriege geführt, Aufstände organisiert und Revolutionen begonnen haben. Das gilt für die Ukraine genauso wie für Belgien oder Finnland. Wenn die Ukraine künstlich ist, dann ist jedes Land künstlich.

Ich werde es in den folgenden Beiträgen weiter untersuchen, aber erwägen Sie vorerst bitte die Verwendung des „Irland-Kriteriums“. Wenn eine Argumentation für Irland falsch ist, ist sie für die Ukraine wahrscheinlich ebenso dumm.
So wie es sehr einfach ist, sich einen irischen Nationalisten vorzustellen, der keine andere Sprache als Englisch spricht, ist es ebenso einfach, sich jemanden vorzustellen, dessen Muttersprache Russisch ist, der die orthodoxe Kirche besucht, russische Musik hört, russische Bücher liest, Banja genießt, Wodka trinkt, den Kasatschok tanzt - und sich überhaupt nicht russisch fühlt. Er fühlt sich vielleicht als Este, Moldawier oder Georgier und zeigt stolz einen Autoaufkleber „RUSSKY VOYENNY KORABL IDI NAKHOOY“ auf seinem Schiguli (natürlich in Kyrillisch).

Dieser Typ könnte jetzt sogar für die Ukraine kämpfen.

------ Ende des Gastbeitrages ------------------------

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar

Gastbeitrag aus dem Eastsplaining Substack (1) – „Warum, für wen und wofür“.

Es ist meine Übersetzung der Beiträge aus Eastsplaining Substack, der Autor dieser Texte ist mit der Übersetzung und Veröffentlichung einverstanden. Quelle (englisch): https://eastsplaining.substack.com/p/why-and-who-and-what-for

------------------- Anfang des Gastbeitrages -------------------

Warum, für wen und wofür

Ich bin kein Experte für irgendetwas, aber ich lese viel und reise viel. Besonders in Mittel- und Osteuropa, wo ich lebe. Der Krieg in der Ukraine ist wahrscheinlich eines der wichtigsten politischen Ereignisse meines Lebens (wenn nicht sogar DAS wichtigste!), daher habe ich in letzter Zeit besonders viel über dieses Thema gelesen.

Mir ist aufgefallen, dass manche Leute im Westen ein sehr vages Verständnis von osteuropäischer Politik haben. Das ist in Ordnung, ich weiß auch so gut wie nichts über Afrika oder Lateinamerika.

Der schwierige Teil ist, wenn die Westler anfangen, über unsere Region zu dozieren, indem sie den grundlegenden Mangel an Verständnis der Dinge zeigen, z.B. durch Verwechselung von „Russischsprachigen“ mit „Russen“. Wir nennen es „Westsplaining“.

Dieser Substack ist ein Versuch, Dinge für alle Interessierten zu „Eastsplainen“. Im Idealfall könnte es ein Treffpunkt für Ost und West, zum höflichen und aufschlussreichen Gedankenaustausch werden. Aber ich wurde ja auch nicht erst gestern geboren, also erwarte ich mir nicht viel von Diskussionen im Internet.

Dennoch: Sollten Sie sich entscheiden, einen Kommentar zu posten, bitte ich Sie demütig, höflich und beim Thema zu bleiben und keine ethnischen Beleidigungen (und überhaupt keine Beleidigungen) zu verwenden. Die Kommentare werden nach diesen Grundsätzen moderiert.

------------------- Ende des Gastbeitrages -------------------

Kommentare werden auch hier nach den im Gastbeitrag erwähnten Regeln moderiert.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Betreff:

Kategorie:Ostklärung

Kommentar