Polen, so nah und doch so fremd. Zwischen Polen und Deutschland, manchmal auch in der DDR.

Ein polnischer Pilot kann sogar ein Scheunentor fliegen

Viele der berühmten Piloten waren Polen. Zum Beispiel der Stanisław Skarżyński, der als erster den Südatlantik mit einer kleinen, einmotorigen Maschine (RWD-5bis) durchquert hat (dabei flog er im Abendanzug, um Gewicht der Ersatzkleidung zu sparen :lol:), bis heute schaffte keiner in einem kleineren Flugzeug diese Strecke. Oder der Franciszek Żwirko, der Challenge 1932 in Berlin mit RWD-6 gewann. Legendär sind die Verdienste polnischer Piloten in der Luftschlacht um England. So entstand der Spruch, dass ein polnischer Pilot so gut sei, dass er sogar ein Scheunentor fliegen kann. Später wurde es auch bestätigt, als die Polen die meisten (13 pro 20) Weltmeisterschaften im Präzisionsfliegen mit Abstand gewannen.

RWD-5bis, ZTS Plastyk, Skala: 1:72

RWD-5bis aus Skarżyński's Südatlantikflug (Modell)

Was hat es aber mit dem vorherigen Mikado-Stab zu tun? Fliegen (wie viele andere Tätigkeiten auch) ist heutzutage weniger die Sache des Könnens, mehr aber der Einhaltung der Vorschriften und Prozeduren. Und damit haben viele Polen Probleme. Und wir sind wieder beim können/dürfen.

Jeder Leser, der sich für das Geschehen in der Welt interessiert, kann sich sicher an diese Bilder erinnern. 10.04.2010, die polnische Regierungsmaschine liegt in Trümmern im Wald beim Smolensk. Schwer zu glauben, es war aber auch die Folge des können/dürfen Missverständnisses. Aber in der Reihe nach.

Katastrophe polnischer Regierungsmaschine in Smolensk

Katastrophe polnischer Regierungsmaschine in Smolensk Quelle: {a href="http://www.prsteam.net/"]PRSteam.net{/a] via Wikipedia

Es ist eine so blamierende Geschichte, dass es für mich peinlich ist, sie den ausländischen Lesern zu erzählen. Wieder berühren sich an diesem Punkt viele Mikado-Stäbe, ich versuche aber die Anderen möglichst wenig anzufassen, zu diesen komme ich später.

Es ging so: Der damalige Präsident Lech Kaczyński (Stab momentan in Ruhe lassen), wollte nach Katyń fliegen. In Katyń wurden 1941 tausende polnische Offiziere von Sowjeten ermordet, für die polnischen Patrioten, insbesondere die rechtsorientierten, ist es ein fast heiliger Ort (Stab vorläufig nicht berühren). Der nächste Flugplatz liegt beim Smolensk, ist aber seit mehreren Jahren stillgelegt. Übrigens: Es war ein Militärflughafen.

Ein paar Tage davor gab es ein offizielles Treffen von dem polnischen Ministerpräsidenten Tusk (Finger weg von dem Stab) und seinen russischen Pendant Putin in Katyń. Dafür wurde der Flugplatz entsprechend ausgestattet , auch mit ILS und jedem Schnickschnack, für den einen Tag wieder geöffnet, aber danach wurde alles demontiert.

2010 war ein Wahljahr, so wollten die Gebrüder Kaczyńscy (ich muss der Versuchung widerstehen, diesen Stab gleich mitzunehmen)  bei seinen Wähler mit diesem Besuch punkten. Weil sie dem Rechtskonservativen und patriotischen Lager angehören (und alle seine Mitstreiter und Beamten auch), ging alles in bester Tradition der polnischer Wirtschaft vor sich:

  • Der Besuch sollte so hochkarätig wie möglich besetzt werden. So saßen im Flugzeug mehrere Generäle, Parlamentarier (auch aus anderen Parteien), der letzte Exil-Präsident Kaczorowski und viele Angehörigen der Ermordeten. Ja, alle in einem Flugzeug.
  • Die Regierungsmaschine wird in Polen (wie in meisten anderen Länder auch) von Armeepiloten geflogen. Der Präsident ist gleichzeitig der oberste Befehlshaber, mit dabei war auch der General Błasik, der Befehlshaber der polnischen Luftstreitkräfte, direkt verantwortlich auch für die Einheit, die die Piloten bereitstellte. Er war auch ein Vertrauter der Kaczyński-Brüder und saß zusammen mit ihm gleich hinter dem Cockpit (diesen Stab nehme ich bald, noch in diesem Beitrag, mit).
  • Die Russen öffneten den Flugplatz für Paar Flüge an diesem Tag, die polnische Seite verzichtete auf einen russischen Lotsen an Bord. Wozu ein Russe an Bord? ILS am Flughafen wurde natürlich nicht installiert - so etwas wird nur für Putin gemacht. Macht nichts, ein polnischer Pilot kann sogar ein Scheunentor fliegen und braucht kein ILS.
  • Das Militär plante den Flug, Start wurde entsprechend früh festgelegt (6 Uhr) um eventuell in einem Ausweichflughafen landen zu können. Die Kanzlei des Präsidenten verschob den Start um eine Stunde nach hinten. Dann kam der Präsident noch eine halbe Stunde später - um 7 Uhr zu starten wäre doch unmenschlich. Macht nichts, alles wird doch gut gehen, oder?
  • Die Kanzlei bereitete keinen Plan B vor - alles wird gut gehen, oder?
  • Von der Crew hatte nur ein Mitglied alle notwendigen und aktuellen Zertifizierungen für den Flugzeugtyp und es war keiner der Piloten. Alle hatten zu wenige Schulungen gehabt, einiges davon war gefälscht. Übungen mit einem Flugsimulator gab es nicht, weil der im Russland steht. Und die Russen sind doch die Erzfeinde jeden polnischen Patrioten, bei denen zu üben wäre Schande und Verrat. Aber macht nichts, ein polnischer Pilot kann sogar ein Scheunentor fliegen.
  • Die Piloten bekamen keine Wettervorhersage für den Zielort vor dem Abflug. Wozu auch? Alles wird gut gehen, oder?
  • Dafür gibt es keine Beweise, nur starke Indizien, aber: Vor dem Flug meldete der General Błasik die Bereitschaft der Maschine dem Präsidenten, nicht der Flugkapitän (Arkadiusz Protasiuk), wie es üblich ist. Die beiden stritten wahrscheinlich vorher darüber. Aber der General wollte noch mehr bei dem Präsidenten punkten und hat sich durchgesetzt. Was ist Vorschrift gegenüber eigener Karriere?
  • Während des Fluges war die Tür zwischen Cockpit und Präsidentensalon ständig geöffnet. Die Piloten hatten also die zwei obersten Glieder der Befehlskette ständig am Kragen. Etwas Kontrolle hat noch keinem geschadet, oder? Und wenn jemand so gut ist, dass er sogar ein Scheunentor fliegen kann, braucht keine Angst zu haben, nicht wahr?
  • Nur der Kapitän konnte etwas Russisch und konnte sich mit russischer Flugführung verständigen (was normalerweise nicht zu seinen Aufgaben gehört). Russische Militärprozeduren kannte er nicht. Wozu aber - ein polnischer Pilot...
  • Während sie flogen, stieg im Smoleńsk dichter Nebel auf. Eine polnische Maschine mit Journalisten, die früher gestartet war, schaffte aber eine Landung. Gegen alle Vorschriften und Verbote aus dem Tower. Ein polnischer Pilot... Danach wollte noch ein russischer Transportflugzeug dort landen (auch gegen Vorschriften), gab es aber nach zwei Versuchen auf. Die Russen können eben nicht fliegen.
  • Inzwischen wurde der Präsident benachrichtigt, die Landung sei unmöglich. Er sollte entscheiden, was weiter gemacht wird. Es liegt eigentlich in der Verantwortung des Kapitäns, aber Vorschriften werden nicht für Große Staatsmänner geschrieben. Der Präsident rief also seinen Bruder an (wieder ein Stab, nicht jetzt!) Es gibt keine Aufnahme dieses Gesprächs (es sei denn, die Amerikaner haben mitgehört und mitgeschnitten), wahrscheinlich aber hat der Bruder die Landung in Smoleńsk gefordert. Der Präsident sagte nichts und der Kapitän hatte Angst (berechtigterweise, dazu später mehr) nicht zu landen. Na ja, eben ein polnischer Pilot...
  • Der Pilot dürfte nach seinem Zertifikat bei dieser Sicht nicht tiefer als 120m fliegen, von Tower bekam er Erlaubnis bis 100 m. Und was machte er? Nach falscher Prozedur ein Landeanflug anfangen. Ein polnischer Pilot, kann eben sogar ein Scheunentor fliegen.

Ist es jetzt klar, was es mit können/dürfen Unterschied zu tun hatte? Alle konnten etwas, keiner dachte, ob er es darf. Alle Vorschriften und Regeln waren nichts, man konnte alles. Und die Folge: 96 Tote.

Bierki-005

Und es war kein Einzelfall - das ganze hatte ein Vorspiel (eigentlich mindestens zwei). Die wichtige Frage ist, warum der Pilot nicht einfach wo anders landen wollte.

Und es war wieder eine können/dürfen Geschichte. Der Kapitän Protasiuk aus dem Flug nach Smoleńsk flog etwas mehr als ein Jahr zuvor (2008) mit dem Präsidenten als zweiter Pilot nach Georgien. Während des Fluges wollte der Kaczyński wo anders als geplant landen und der Kapitän weigerte sich die Flugroute zu ändern. Es wäre doch gegen Sicherheitsvorschriften, es war doch Kriegszone. Kaczyński wollte sich als Oberbefehlshaber der Streitkräfte durchsetzen, der Kapitän blieb aber unbeeindruckt.

Solches Verhalten lassen die Kaczyński Brüder nicht zu. Für sie gibt es kein darf man nicht. Der Flugkapitän wurde öffentlich als Feigling bezeichnet und hatte viele Probleme im Dienst. Ein Abgeordneter aus dem Kaczyńskis Lager verlangte offiziell nach seinem Entlassen. Protasiuk sah das alles genau und er hatte eine Frau und zwei Kinder zu versorgen. Brauche ich es weiter zu erklären?

Gehen wir noch weiter zurück: Januar 2008. 16 Kommandanten der polnischen Luftstreitkräfte und 4 Besatzungsmitglieder fliegen mit einer Militärmaschine der Marke CASA nach Hause. Alle nahmen an einer Konferenz teil, das Thema war - ironischerweise - Flugsicherheit bei der Luftstreitkräften. Beim Anflug an Militärflughafen in Mirosławiec, bei schlechten Sichtverhältnissen crashte die Maschine. Alle tot. Der gesamte Ablauf und die Ursachen der Katastrophe waren der Smolensk-Ereignisse ziemlich ähnlich. Schlechte Ausbildung der Piloten, Nichteinhalten der Vorschriften und Prozeduren usw.

Jetzt das bizarrste und traurigste: Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte war damals der General Błasik, nominiert von Präsident Lech Kaczyński und sein Vertrauter. Er müsste eigentlich die politische Verantwortung wahrnehmen und gehen, der Präsident stand aber fest hinter ihm. So blieb er auf seinem Posten. Er versprach die Zustände bei den Luftstreitkräften zu verbessern, alles blieb aber beim Alten. Und der Błasik würde danach natürlich alles für Kaczyńskis tun, egal ob man es darf, oder nicht. Manche Leute lernen nie etwas.

Im Smolensk-Unfall fand auch der Abgeordnete aus Kaczyńskis Lager tot, der offiziell im Parlament verlangte, den Georgien-Piloten wegen Feigheit zu entlassen. Manches darf man einfach nicht, manche begreifen es nie. Oder zu spät.

Aber warum ist es so? Oh! Das ist ein meiner Lieblingsstäbe! Den ziehe ich in nächster Folge heraus!

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Kategorien:Polnisches Mikado

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3 Kommentare do “Ein polnischer Pilot kann sogar ein Scheunentor fliegen”

  1. dasmaulwurfchen sagt:

    Smolensker Katastrophe? Shitstorm in 3… 2… 1…
    Man könnte auch etwas über Kapitän Wrona schreiben, glaube ich. Und noch ein paar Kleinigkeiten:
    – die polnischen Soldaten wurden von Sowjeten ermordet, nicht durch
    – sie flogen mit der CASA, nicht fliegen (dummer Fehler)
    – warum „Tower” statt „Kontrollturm”? Ist die deutsche Sprache mit unnötigen Lehnwörtern tatsächlich so vermüllt?

    • cmos sagt:

      Shitstorm in 3… 2… 1…

      ich bin es gewöhnt, ich habe schon in Verschwörungsforen getrollt.

      – die polnischen Soldaten wurden von Sowjeten ermordet, nicht durch

      OK, stimmt.

      – sie flogen mit der CASA, nicht fliegen (dummer Fehler)

      Nein, es ist ein kurzzeitiger Wechsel zum Präsens, beabsichtigt. Man kann sich natürlich streiten, ob es mir stilistisch gelungen ist.

      – warum „Tower” statt „Kontrollturm”? Ist die deutsche Sprache mit unnötigen Lehnwörtern tatsächlich so vermüllt?

      Tower steht sogar im Duden. Ich wohne nicht weit von FRA, hier wird es eben Tower genant.

      Man könnte auch etwas über Kapitän Wrona schreiben,

      Ich habe es nicht so genau verfolgt, war es aber nicht so, dass Kapitän Wrona wie ein Held ein Problem gelöst hat, das er vorher selbst verschuldet hat?

  2. brytnej sagt:

    – die polnischen Soldaten wurden von Sowjeten ermordet, nicht durch

    OK, stimmt.

    Weder-noch. „von Sowjets“. „Durch Sowjets“ ginge m.E. auch, falls Sowjets i.e.S., also (Arbeiter- und Soldaten-) Räte, nicht die Bürger der S’union gemeint waren.

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